Audi E-Tron Quattro im Test

Audi E-Tron Quattro im Test
Kann der Elektro-SUV überzeugen?

Große Reichweite, dauerhaft atemberaubende Beschleunigung, extrem schnelle Ladevorgänge – all das soll das lange Warten auf den Audi E-Tron rechtfertigen. Jetzt soll der SUV mit zwei zusammen 408 PS starken Elektromotoren, Allradantrieb und 95-Kilowattstunden-Akku liefern.

Audi e-tron 55 Quattro Advanced, Exterieur
Foto: Rossen Gargolov

Sie spricht mit französischem Akzent. Das injiziert Sympathie in die Diskussion über die richtige Bezahlmethode – abends um 22 Uhr an einem Autobahnrasthof. Drum herum brummen Kühlaggregate, Kraftstoffpumpen von Standheizungen ticken. Die Dame empfiehlt, die Kreditkarte zu benutzen. Bis hierhin verläuft der Tag mit dem Audi E-Tron 55 Quattro sehr erfreulich.

Obwohl das so nicht abzusehen war, denn als Erstes müssen die Testkandidaten auf die Waage. Und da poppen Werte in den Digitalanzeigen der Radlastwaagen auf, die sich zu einem Ergebnis addieren, das höchstens die geschätzten Kollegen des Fachmagazins "lastauto omnibus" ob nie gekannten Leichtbaus jubeln ließe: 2598 Kilogramm. Ach du liebe Zeit. Allein der 95-kWh-Akku wiegt 699 Kilogramm, steckt zwischen den aufwendigen Fünflenkerachsen mit adaptiven Dämpfern und Luftfederung.

Audi E-Tron mit gekonnter Fahrdynamik

Genau da beginnt der erfreuliche Teil, denn während der E-Tron vom Oberrheingraben in Richtung Schwäbische Alb den Schwarzwald einzuebnen gedenkt, sendet er unaufhörlich die exzellente Qualität seiner Fahrwerksabstimmung in den verlängerten Rücken des Fahrers. Der sitzt ergonomisch perfekt positioniert hinter dem Lenkrad und hat die wesentlichen persönlichen Einstellungen des Infotainments bereits vorgenommen, als der Wagen stand – der Komplexität der Menüstruktur und der nicht immer logischen Arbeitsteilung der beiden Monitore wegen. Beim Fahren empfiehlt sich die verständige Sprachsteuerung. Oder etwas ganz Altmodisches: sich einfach treiben zu lassen.

Audi e-tron 55 Quattro Advanced, Interieur
Rossen Gargolov
Die Menüführung im Audi ist zunächst verwirrend - während einer 30 minütigen Ladepause bleibt aber genügend Zeit, um sich damit auseinanderzusetzen.

Der Audi E-Tron Quattro lenkt sozusagen mit digitaler Spontaneität ein (null, eins, Sie wissen schon), setzt sich mit seiner Masse spürbar und bei gut verträglicher Seitenneigung auf die Luftbälge sowie die 20-Zoll-Räder, hält dabei allerdings die Traktion weit oben. Sie reißt auch nicht über die Vorderachse ab. Erschöpft sich der große Vorrat an Neutralität, drängt der Audi über alle vier Räder zum Kurvenaußenrand. Wenn es der Radius erlaubt, jetzt einfach die Lenkung ein bisschen öffnen und mehr Leistung abrufen. Wie groß die Flut an Quellcodes sein muss, die da gerade durch die Steuergeräte schwappt, begreift wohl kaum ein Laie.

Auf dem seitenhaltstarken Fahrersitz spürst du jedenfalls, mit welchem ungeheuren Grip der schwere Brocken auf die Gerade hinausschießt, wie fein sich die Leistung der beiden Asynchronmotoren (135 Kilowatt und 309 Newtonmeter vorne, achsparallel angeordnet; 165 Kilowatt und 355 Newtonmeter hinten, koaxial angeordnet) in Längs- und Querrichtung verteilt, um das Erlebnis der charakteristischen Leistungsexplosion so oft wie möglich zu feiern. Die Traktion kontrollieren die Leistungselektroniken der E-Motoren, die 50-mal schneller regeln als konventionelle Systeme. Gut, denn selbst unterhalb der Boost-Funktion im Fahrprogramm S lässt der Vortrieb an der Brillanz kräftiger Verbrennungsmotoren zweifeln.

Fahrspaß trotz Abstrichen bei der Lenkung

Audi e-tron 55 Quattro Advanced, Interieur
Rossen Gargolov
Ein prädiktives Assistenzsystem gibt dem Fahrer eine Rückmeldung, wann er das Fahrzeug rollen lassen sollte und greift bei passenden Straßenverhältnissen selber ein.

Ein Blick auf die Messwerte verortet die Fahrleistungen des E-Tron jedoch eher im Dies – denn im Jenseits – 5,7 Sekunden für den Sprint von 0 auf 100 Kilometer pro Stunde. Wie kommt’s? Der erste Eindruck, ja der erste Augenblick entscheidet, denn in diesem kurzen Moment, da knallen die Feuerwerksraketen schon, sie haben ja keine Zündschnur.

Danach ist alles relativ. Relativ flott für das Gewicht – das sich hier mal nützlich macht, den Schwerpunkt senkt und die Masse fast optimal zwischen vorne und hinten (49,8 zu 50,2 Prozent) austariert. So konstruiert Audi fast so viel Fahrspaß wie Gewicht in den E-Tron. Nur fast? Ja, irgendein Entscheider vergaß die Lenkung. Nicht eine einzige Nervenbahn verdrahtet die Handflächen des Fahrers mit den Vorderrädern. Die elektromechanische Konstruktion mit progressivem Zahnstangenhub arbeitet zwar immer geräuschlos, aber in jedem Modus mit zu viel Handmoment und ohne Rückmeldung.

Überhaupt fällt die Spreizung zwischen den Fahrmodi überschaubar aus, auch beim Federungskomfort. Der bleibt eigentlich immer auf einem hohen Niveau, selbst auf "Dynamic" knetet der E-Tron nahezu alle Bodenunebenheiten kurz und kräftig durch, bis nichts mehr von ihnen übrig bleibt – außer ein sachtes Stampfen bei allzu garstigen Querfugen.

Auf "Comfort" schwingt die Karosserie leicht nach, ganz sanft, sodass sich wohl bei keinem Mitreisenden die Gesichtsfarbe ändert. Jedenfalls nicht deshalb. Aufgrund des lebhaften Fahrverhaltens schon eher, zumal sich der E-Tron für ein Elektrofahrzeug sehr präzise runterbremsen lässt – mit heftiger Verzögerung von mehr als 11 m/s^2. Er bietet ein angenehm lineares Pedalgefühl, der Übergang zwischen Rekuperations- und hydraulischer Bremse erfolgt nahezu unmerklich.

Ach ja, das Rekuperieren generell: Ohne Bestromung der Motoren, ohne, tja, Gas also, rollt der Audi einfach, verzögert nicht. Der – Achtung – prädiktive Effizienzassistent gibt hier jedoch nicht nur Tipps, wann der Fahrer den Wagen rollen lassen sollte, sondern rekuperiert auch je nach Straßenverlauf. Zusätzlich kann der Fahrer per Lenkradpaddel rekuperieren – oder die Automatikfunktion ganz deaktivieren. Doch die Präzision, wie der Assistent agiert, die E-Maschinen immer passend als Generatoren nutzt, verbietet das eigentlich.

Verbrauchswerte im Test noch höher

Sicher hilft er auch dabei, den Stromverbrauch in engen Grenzen zu halten. Audi verspricht 22,6 Kilowattstunden pro 100 Kilometern, der Testwagen benötigt 24,8 Kilowattstunden. Damit ergibt sich eine Reichweite von 380 Kilometern – bei montierten Kameras statt Außenspiegeln (2.610 Euro Aufpreis im Paket), die den cW-Wert von 0,28 auf 0,27 senken sollen. Doch deren Monitore sitzen zu tief in den Türen, speziell beim Rückwärtseinparken ist der Bildausschnitt zu klein. Dann also vorwärts.

Wenn du mal wieder zu tief ins Glas der Beschleunigung geguckt und einen Schöpfer zu viel aus dem großen Topf der Traktion genommen hast, schrumpft die Reichweite auf knapp 300 Kilometer. Wer den E-Tron dann an den Schukostecker in seiner Garage stöpselt, bekommt von der Ladeanzeige im Zentraldisplay die Wahrheit ins Gesicht geklatscht: 32 Stunden. Die Alternative: Schnellladen mit 150 Kilowatt (dauert 30 Minuten) – und alle Stufen dazwischen mit 11, 22 oder 50 Kilowatt natürlich auch.

Da steht er nun an der schnieken Ladesäule, bereits an der dritten, denn die anderen beiden meldeten Fehler an die Zentrale des Energieversorgers. Behauptet jedenfalls die Dame von dessen Hotline, die mit dem französischen Akzent. Was dachten Sie denn? Jedenfalls funktioniert keine der mitgeführten Ladekarten. Jetzt also mit Kreditkarte. Klappt. Der Audi lädt – und das sogar erfreulich schnell. Gut so, denn der Kaffee im Rasthof schmeckt scheußlich.

Aufladen in 30 Minuten

Audi e-tron 55 Quattro Advanced, Exterieur
Rossen Gargolov
Mit einer Ladeleistung vob 150 Kilowatt soll der e-tron sich in 30 Minuten aufladen lassen. Dafür stellt Audi einen Pool aus 90.000 Ladestationen in 16 EU-Ländern gegen einen monatlichen Tarif von 17,95 Euro zur Verfügung.

Ab Ende März startet der Audi Charging Service, mit dessen Ladekarte 90.000 Ladepunkte in 16 EU-Ländern genutzt werden können. Der Transit-Tarif (monatl. Grundgebühr 17,95 Euro) ermöglicht schnelles Laden mit bis zu 150 Kilowatt zu günstigeren Konditionen. Beim Anbieter Ionity bedeutet das: 8 Euro pro Ladevorgang bis Mitte 2019, dann 0,33 Euro pro Kilowattstunde. Wie günstig das ist? Ionity kommuniziert noch keine Kilowattstunden-Preise, sagt aber, dass dieser Preis "sehr wettbewerbsfähig" sei. Derzeit umfasst das Netzwerk gerade einmal 40 Stationen – europaweit. Der niederländische Anbieter Fastned verfügt in Deutschland aktuell über zehn Schnellladestationen. Das Laden selbst funktioniert meist problemlos. Audi hat auch keine Bedenken, dass es die Lebensdauer des Akkus einschränken könne, empfiehlt aber, den Audi E-Tron Quattro zu 80 Prozent zu laden und nur für lange Reisen die volle Kapazität zu nutzen. Das lässt sich über das Infotainment voreinstellen.

Vor- und Nachteile
Karosserie
viel Platz für Passagiere und Gepäck variabler Laderaum beste Materialqualität
sorgfältige Verarbeitung
ausgeglichene Gewichtsverteilung
raumgreifende Abmessungen
eingeschränkte Übersicht
wenig intuitive Bedienung
immens hohes Fahrzeuggewicht
Fahrkomfort
angenehmer Federungskomfort
bequeme Sitze
niedriges Geräuschniveau
gute Ergonomie
Antrieb
verzögerungsfrei abrufbare, erhebliche Motorleistung
gut nutzbare Rekuperationsstufen
hohe Laufkultur
Fahreigenschaften
agiles Einlenkverhalten sehr gute Traktion
sicheres Fahrverhalten
rückmeldungsarme Lenkung
Sicherheit
sehr gute Verzögerungswerte
umfangreiches Angebot an Assistenzsystemen
effektive LED-Scheinwerfer
zu kleine Monitore statt Außenspiegel
Umwelt
lokal emissionsfreies Fahren möglich
CO2-Ausstoß nach Strommix entspricht dem eines 100-PS-Kleinwagens
geringes Fahrgeräusch
wenig ressourcen- schonendes Akku-Paket
Kosten
angemessener Grundpreis
viele und teure Extras

Fazit

Ein derart übergewichtiges Fahrzeug so effizient anzutreiben und agil abzustimmen, davor muss man den Hut, Pardon, Stecker ziehen – vor den Außenspiegelkameras und der toten Lenkung aber nicht.

Technische Daten
Audi E-Tron 55 Quattro Advanced
Grundpreis82.950 €
Außenmaße4901 x 1935 x 1629 mm
Kofferraumvolumen658 bis 1725 l
Höchstgeschwindigkeit200 km/h
0-100 km/h5,7 s
Verbrauch0,0 kWh/100 km