Rimac Nevera: Die Rekorde des Elektro-Hypercars

Rimac Nevera - Rekordfahrten in Videos
So sehen 275,74 km/h im Rückwärtsgang aus

Der Rimac Nevera mutiert endgültig zum Rekordbrecher. Nicht nur beim Beschleunigen und auf legendären Rennstrecken wie in Goodwood oder auf der Nordschleife des Nürburgrings, sondern auch im Rückwärtsfahren.

Eine Gesamtleistung von 1.914 PS, ein maximales Drehmoment von 2.360 Newtonmetern: Wozu der vollelektrische und aus vier Motoren bestehende Antrieb des Rimac Nevera in der Lage ist, deutete Firmenchef Mate Rimac bereits während der Prototyp-Entwicklung an. Inzwischen ist das E-Hypercar als Serienauto auf dem Markt und bricht fast schon im Monatsrhythmus Rekorde. Nun war der wohl skurrilste fällig: Wie im über diesem Artikel eingebauten Video zu sehen ist, hat der Rimac Nevera einen neuen, offiziell vom Guinness-World-Record-Komitee anerkannten Geschwindigkeitsrekord im Rückwärtsfahren aufgestellt.

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Rimac-Testfahrer Goran Drndak erreichte auf dem Automobil-Testgelände im norddeutschen Papenburg mit dem Revera im jüngst aufgelegten und limitierten Sondermodell "Time Attack Edition" im Rückwärtsgang 275,74 km/h. Wie schnell das ist, zeigt ein Vergleich mit einem früheren Rekord in dieser Disziplin: Ex-Formel-E-Rennfahrer Daniel Abt stellte im Herbst 2018 mit einem auf einen leistungsstarken Elektroantrieb umgebauten Audi mit "nur" 210 km/h den damals gültigen offiziellen Weltrekord in dieser Disziplin auf. Nun war Drndak im Rimac fast 66 km/h schneller.

Aerodynamik setzt Limits

Drndak profitierte von dem Umstand, dass der Nevera kein Getriebe besitzt, sondern jedes Rad von einem eigenen Motor angetrieben wird. Mit der Konsequenz, dass der Antriebsstrang beim Rückwärtsfahren ähnlich vehement beschleunigt wie vorwärts. Ähnlich deshalb, weil die Nevera-Aerodynamik natürlich auf möglichst schnelles Vorwärtsfahren ausgelegt ist, was die Geschwindigkeiten limitiert, wenn es in die andere Richtung geht. Hinzu kommt der Sicherheitsaspekt. "Es war definitiv gewöhnungsbedürftig", sagte Drndak nach der Rekordfahrt. "Man schaut geradeaus nach hinten und sieht die Landschaft immer schneller an sich vorbeiziehen, spürt, wie der Nacken nach vorn gezogen wird, fast so, wie man es normalerweise bei einer Vollbremsung erlebt." Zudem musste der Fahrer immer noch leichte Lenkkorrekturen vornehmen können, um den Nevera auf Kurs zu halten.

Bereits seit Sommer ist der Rimac Nevera das schnellste Serien-Elektroauto auf der Nürburgring-Nordschleife – und zwar mit riesigem Abstand. Der kroatische Rennfahrer Martin Kodrić brannte am Freitag (18. August 2023) eine Zeit von 7:05.298 Minuten in den legendären Eifel-Asphalt (siehe Video über diesem Absatz). Mit der Zeit, die Kodrić selbst ein wenig lapidar "lobenswert" nennt, war er fast 20 Sekunden schneller als der bisherige Rekordhalter in dieser Kategorie, der die Spitzenposition jedoch nicht lange innehatte: Erst am 2. Juni umrundete Tom Schwister in einem Tesla Model S Plaid mit Track Package die Nürburgring-Nordschleife in 7:25.231 Minuten. Die Rimac-Bestmarke wurde nicht nur vom TÜV Süd, sondern auch von den Betreibern des Nürburgrings bestätigt, die die Bestmarke bereits offiziell in ihrer Rekordrunden-Übersicht führen.

Rekordrunde bei hohen Temperaturen

Die Kroaten hätten sich durchaus bessere Bedingungen für ihre Rekordjagd auf dem Nürburgring aussuchen können, denn sie absolvierten diese an einem der heißesten Tage des Sommers. Eigenen Aussagen zufolge war es Rimac' erster Einsatz in der Grünen Hölle, wobei die Truppe vor ihrem Rekordversuch nur etwa 20 Testrunden im Rahmen der regulären Industriepool-Fahrten absolviert hatte. Die restliche Vorbereitung und Leistungsoptimierung des bei der schnellen Runde mit Semi-Slick-Reifen des Typs Michelin Pilot Sport Cup 2 R ausgerüsteten Autos fand virtuell statt.

Eine weitere legendäre Rennstrecke hatte der Rimac Nevera fast genau einen Monat zuvor ebenfalls im Sturm erobert: die Bergrennstrecke in Goodwood (Video über diesem Absatz). Beim Hillclimb mutierte er mit einer Zeit von 49,32 Sekunden bei der 2023er-Ausgabe des Festivals of Speed in Südengland nicht nur zum schnellsten Serienauto der diesjährigen Veranstaltung, sondern auch zum schnellsten Elektro-Serienauto überhaupt. Das mit Michelin-Pilot-Sport-4S-Reifen ausgerüstete Auto wurde dabei von Miroslav Zrnčević gefahren, dem leitenden Test- und Entwicklungsfahrer von Bugatti Rimac.

Immer schneller auf der Viertelmeile

Zuvor stellte der Rimac Nevera eher seine längsdynamischen Qualitäten zur Schau. Und zwar bereits im Frühjahr 2021 im Prototyp-Stadium, als er noch C-Two hieß. Auf jenem ungenutzten Flugplatz, auf dem er über zehn Jahre zuvor mit seinem giftgrünen, auf Elektroantrieb umgebauten BMW 3er E30 Beschleunigungsrekorde aufstellte, absolvierte Mate Rimac damals die Viertelmeile in 8,94 Sekunden. Nachdem die Serienversion debütierte, wiederholte der Nevera die Übung in den USA auf dem Famoso Raceway – und verbesserte sich eklatant: In den Händen von Brooks Weiselblat, der den Nevera für "Dragtimes" testete, absolvierte das Elektro-Hypercar die Übung in nur 8,582 Sekunden. Falls die einschlägigen im Internet verfügbaren Bestenlisten stimmten, bedeutete das zu diesem Zeitpunkt einen souveränen Weltrekord für Serienautos.

In der Zwischenzeit machen dem Kroaten andere Autos diesen Bestwert allerdings streitig: Automobili Pininfarina will die 402,3 Meter lange Strecke mit dem technisch eng verwandten Battista im Februar 2023 in 8,55 Sekunden geschafft haben. Per Video dokumentiert, aber nicht offiziell erfasst, wurde eine Viertelmeilen-Rekordfahrt des McMurtry Spéirling, der die Übung gar in nur 7,97 Sekunden schaffte.

23 Rekorde auf einen Streich

Doch zurück zum Nevera. Wie schnell das elektrische Hypercar bei seiner Rekordfahrt in der Kategorie "Null auf Hundert" war, verriet der Hersteller seinerzeit nicht. Als offizielle Werksangabe nennen die Kroaten 1,85 Sekunden. Auch einige andere Performance-Werte blieben bislang im Dunkeln beziehungsweise wurden von Rimac noch nicht verifiziert. Doch im Mai 2023 räumten die Kroaten mit allen Zweifeln auf und gaben bekannt, dass der Nevera ebenfalls in Papenburg "unabhängig verifizierte" Bestwerte in gleich 23 Kategorien aufgestellt hat.

Aus den fast zwei Dutzend errungenen Rekorden stechen einige heraus, allen voran die Beschleunigungswerte aus dem Stand (siehe Tabellen). Leichte Verwirrung gibt es dabei um die Zeit von 1,74 Sekunden von null auf 60 mph (96,6 km/h). Allerdings weniger wegen der Zeit selbst, sondern aufgrund der Frage, ob es sich dabei tatsächlich um einen Rekord für Serienautos handelt. Dodge reklamiert für sein V8-Muscle-Car Challenger Demon 170 nämlich eine Zeit von 1,66 Sekunden, was auch von der US-Motorsportbehörde National Hot Rod Association (NHRA) bestätigt wurde.

Verwirrung um 0-60-mph-Rekord

Trotz offizieller Verifizierung gibt es Zweifel an der Wahrhaftigkeit des Dodge-Bestwerts. So wurde bei der Rekordfahrt die Asphaltoberfläche behandelt, um den Hinterreifen mehr Grip zur Verfügung zu stellen. Außerdem absolvierte der Challenger Demon 170 seinen Versuch auf Dragster-Reifen von Mickey Thompson, die jedoch über eine Straßenzulassung verfügen. Rimac rüstete den Nevera mit etwas alltagstauglicheren Sport-Pneus des Typs Michelin Cup 2 R aus und weist explizit darauf hin, dass der Asphalt bei seinem Rekordversuchen nicht präpariert war.

Rimac Nevera Rekordfahrt Papenburg Grafik Tabelle
Rimac Automobili

Einen hundertprozentig stehenden Start gab es übrigens in beiden Fällen nicht. Bei der Zeitmessung wurden die ersten 30,5 Zentimeter (das entspricht der US-Einheit "ein Fuß") ignoriert. Die Fahrzeuge rollen also schon, wenn die Stoppuhr anfängt zu laufen. Allerdings ist dieses Prozedere üblich beim Ermitteln von Beschleunigungsrekorden. Zudem hat Rimac bei seinen Bestmarken in den Fußnoten offiziell auf diesen Umstand hingewiesen – im Gegensatz zu Dodge. Der US-Hersteller wirft wiederum Zweifel bei einem anderen Punkt auf: "Ich bin mir nicht sicher, ob ein Auto, das 2,2 Millionen Dollar kostet, ein 'Serienauto' ist", sagt Tim Kuniskis bei "Fox News Digital". Doch selbst der Dodge-Chef erkennt an, dass es "nichts gibt, das die unglaubliche Ingenieursleistung schmälert" – und sendet Glückwünsche nach Kroatien.

Rekord verloren, Rekord errungen

Neben Elastizitätsprüfungen standen in Papenburg Beschleunigungen über diverse Distanzen auf dem Programm. Darunter die klassische, weiter oben bereits erwähnte Viertelmeile, die der Nevera nun in 8,25 beziehungsweise 8,26 Sekunden weggeatmet hat. Dass die Zeiten variieren, liegt an der unterschiedlichen Messtechnik zweier Spezialfirmen. Sowohl von Racelogic als auch von Dewesoft waren in Papenburg Techniker vor Ort, um die Rekordversuche zu überwachen und sicherzustellen, dass ihre Technik reibungslos funktioniert. Doch welche Zeit man auch heranzieht: Der McMurtry Spéirling bleibt mit seinem allerdings unverifizierten Wert etwas schneller.

Beim Bremsen geht der Rimac Nevera offensichtlich ähnlich vehement zu Werke wie beim Beschleunigen: Von Hundert auf Null benötigt er nicht einmal 30 Meter. Besonders interessant ist es, beides zu verbinden. Bei der Königsdisziplin, dem 0-400-0-Test, wird aus dem Stand auf 400 km/h beschleunigt und direkt danach wieder bis zum Stillstand verzögert. Wie von Firmenchef Mate Rimac im Mai 2023 angekündigt, holte der Nevera einige Tage später auch in dieser Disziplin einen Rekord. Mit 29,93 beziehungsweise 29,94 Sekunden verbesserte er die Marke des Koenigsegg Regera (31,49 Sekunden). Doch inzwischen haben die Schweden zurückgeschlagen und diese Bestmarke zurück nach Skandinavien geholt. Der 1.500 PS starke Hybrid-Bolide schaffte den 0-400-0-Test wenige Wochen danach in nur 28,81 Sekunden.

412 km/h Topspeed

Einen reinen Topspeed hat Rimac bei seinen jüngsten Rekordjagden nicht ermittelt. Wozu auch? Diesen Bestwert heimste der Nevera bereits Mitte November 2022 ein. Ebenfalls auf der Versuchsstrecke im niedersächsischen Papenburg erreichte der Nevera 412 km/h (siehe Video unter diesem Absatz). Damit soll er das schnellste E-Auto der Welt sein. Die Rekordfahrt wurde, wie Rimac damals diffus formulierte, von einer "unabhängigen Seite" bestätigt. Die Höchstgeschwindigkeit wurde mit der Racelogic V-Box gemessen, einem hochpräzisen GPS-basierten Messgerät.

Für die damalige Rekordfahrt fiel die Wahl ebenfalls auf das Automotive-Testing-Gelände, da Rimac ein Oval mit ausreichend langen Geraden brauchte. Auf der Strecke in Papenburg gibt es zwei jeweils vier Kilometer lange Geraden, die Geschwindigkeiten von mehr als 400 km/h ermöglichen. Dafür musste Miro Zrnčević mit rund 250 km/h aus der Kurve auf die Gerade gehen. Übrigens: Kundinnen und Kunden kommen kaum in den Genuss der Rekord-Geschwindigkeit. Für sie ist der Nevera auf 352 km/h gedrosselt. Nur bei speziellen Kundenveranstaltungen – mit Unterstützung des Rimac-Teams und unter kontrollierten Bedingungen – dürfen sie die Höchstgeschwindigkeit von 412 km/h fahren.