Die Übermacht von Porsche 911 und Mercedes Pagode und R107 ist noch größer geworden. Neu ist dabei allerdings so gut wie nichts - außer den nochmals gestiegenen Preisen. So gibt es auf der Techno Classica 2016 eine neue Rekord-Pagode: Für 234.980 Euro kann man den 1969er 280 SL in Graublau-Metallic kaufen. Alf Cremers fand vor allem auf den Freigeländen, sechs Autos, die entzückten oder abtörnten, seine persönlichen Tops und Flops.
Audi Quattro für 38.900 Euro
Bei CCC alias Charles Classic Cars in Halle 12 gleich bei BMW um die Ecke lockte der trommelnde Turbosound des Fünfzylinders. Ein Audi Quattro Baujahr 1982, also noch der ohne dieses alberne Mäusekino, aber mit mechanisch zu betätigenden Differenzialsperren auf der Mittelkonsole, wurde dort für vergleichsweise günstige 38.900 Euro feilgeboten.
Das rustikal gestylte Macho-Coupé in diamantsilber-metallic mit 170.000 Kilometern besticht durch rostfreien Zustand, schwarze Lederausstattung und ein Jahr Garantie. Charles, ein Holländer im besten Alter, ist überdies ein total sympathischer Typ mit subtiler Überredungskunst, ich war drauf und dran zum Geldautomaten zu laufen und eine symbolische Anzahlung zu machen. TÜV und H in Deutschland natürlich inklusive. Man kann sogar die seltenen Fuchs-Schmiederäder bekommen, gegen einen geringen Aufpreis.
Der Grund, warum dieser wunderbare Quattro mit der herrlichen Ausstrahlung nicht schon gleich am ersten Messetag weg war, liegt wohl in der US-Version begründet. Die ist mit nur 165 PS Leistung auf dem Niveau eines Audi 100 Turbo mit Katalysator, was vielen zu wenig erscheint. Aber mir ist Leistung nicht wichtig und der Rest stimmt!
Mercedes-Benz 350 SL, Koenig-Special
Eine echt gruselige Karre auf die man die beste Aussicht vom Stehtisch vor dem VW-Currywurstbus hatte. Dutzende sind schon grinsend vorbeigezogen, als ich mich dazu herablasse mal mit vorgehaltener Hand durch die Seitenscheibe des Rotlicht-350 SL zu blicken. Auch innen alles in Classicweiß getüncht und das im wahren Wortsinn, denn die Farbe sieht aus wie mit der Lammfellrolle über Leder und Kunststoffteile verteilt. Hinten drauf steht auch noch ein hochstaplerisches 450 SL.
Der Testarossa-Auswuchs steht der Naturschönheit 107er-SL gar nicht. Ein Glück, dass es nur 40 dieser Koenig-Specials gab, dieser aus dem Baujahr 1977, hat sogar mit Zertifikat überlebt. Auf Anfrage teilt der südländisch wirkende Verkäufer sehr selbstbewusste „50.000 Euro“ mit. Wer dennoch ein heißes Verlangen nach diesem auffälligsten Personenwagen Deutschlands hat: Hier die Telefonnummer: 0177-3445533.
Eines der sympathischsten Autos der Messe. Grundehrlich und schnörkellos auf dem Verkaufsschild beschrieben, Zustand 3 +, fairer Preis, nämlich 6.900 Euro, deshalb auch kein Verhandlungsspielraum. Der Schweiz-Import mit trotz Hemi-Brennräumen wie beim Challenger gerade einmal 107 PS starkem 3,6 Liter-Sechszylinder ist bekannt aus dem Film „Duell“ von Steven Spielberg und als Baujahr 1974 genauso alt.
Ich finde den Wagen so unaufgeregt bedeutend wie kaum einen anderen, das Interieur ist blitzsauber, Sitzbank und Lenkradwählhebel vermitteln echtes Ami-Flair. Auf dem zierlichen Breitbandtacho stehen geraede einmal 97.000 km, dazu gibt es noch reichlich TÜV und H. Einsteigen und Losfahren mit der günstigsten Eintrittskarte in den Mopar-Club.
Mercedes-Benz 400 SE
Immerhin, das Preisschild ist korrekt ausgefüllt, sonst schreiben sie immer S 400 drauf. Außerdem ist es informativ („Technisch sehr gut, alles funktioniert, kein Reparaturstau, TÜV neu“) und wird täglich reduziert, wir sind jetzt bei 2.500 Euro angelangt, gestern waren es 2.650 Euro und davor standen 3.650 dran.
Geparkt auf Freigelände III wirkt diese große S-Klasse W 140 wie hingeworfen. Es sieht so aus, als hätte man ein Messe-Kurierfahrzeug mal schnell mit Preisschild und Roter Nummer dekoriert, um sich weite Fußmärsche zum Stand zu sparen.
Denn der eigentliche Flop ist weniger das Auto mit Beulen auf dem Dach und Ex-Radlaufchrom-Roststellen ringsrum, sondern die Präsentation. Hier steht ein Kiesplatzauto auf der größten Oldtimermesse der Welt und damit wurde das Thema verfehlt. Trotzdem ein fairer Preis für eine Luxuslimousine mit Schönheitsfehlern und nur 155.000 Kilometern.
Nun ja, Rote Nummer hätte ich ja eigentlich dabei, wenn ich meine Karte dalasse und 1.000 spuckt der Geldautomat… schönen heimfahren kann man wirklich nicht, wie früher im TEE erster Klasse… Die Mobil-Nummer vom Preisschild verrate ich nicht, vielleicht rufe ich ja doch noch an.
Mercedes-Benz 600
Für 225.000 Euro kann man sich auch einer der vielen 64er bis 68er Porsche 911-Scheunenfunde der Messe ins Wohnzimmer stellen, ihre Patina anbeten. Dass sie nicht fahrbereit sind, spielt dabei überhaupt keine Rolle. Restaurierungskosten in Höhe von geschätzt 100.000 Euro würden dabei auch noch entfallen. Doch es gibt eine Alternative, die zu viel mehr fahrbereitem Auto fürs gleiche Geld führt und die steht bei E. Thiesen.
Ein wahrhaft staatstragender Mercedes 600 mit normalem Radstand, den kosmetischen Zusatz „SWB“ lasse ich nur bei Ferrari gelten, aus afrikanischem Diplomatenbesitz. Außenfarbe DB Schwarz 040 kombiniert mit Leder rot, eine hinreißend anmutende Mischung, gekrönt von üppig eingesetztem Palisander zwecks Möblierung dieser Staatskarosse, die lange in Zaire gedient hat und mit einer sensationell niedrigen Laufleistung von 74.000 km aufwartet.
Diese „Große Mercedes“ ist ein ganz früher aus der zweiten Serie, also Baujahr 1968, erkennbar an den einteiligen Radkappen den Kopfstützen und dem trapezförmigen Außenspiegel. Das Preis-Leistungsverhältnis des technisch aufwändig revidierten Wagens ist außergewöhnlich gut. Der 600 ist ohne Pullman-Zusatz viel besser proportioniert und als eines der hochkarätigsten Automobile der Technikgeschichte immer noch unterbewertet.
Horch 901 Kommandeurswagen der Wehrmacht
Okay, der Zweite Weltkrieg ist leider ein wichtiges Kapitel jüngerer Geschichte. Aber trotzdem finde ich es beklemmend, wenn gerade auf dem lässigen Innenhof-Freigelände mit seiner Softeis und Bier-Partyatmosphäre ein ehemaliger Kommandeurswagen der Wehrmacht wie auf dem Präsentierteller steht. Dabei ist es auch unbestritten, dass das Dritte Reich den technischen Fortschritt enorm forciert hat. Fasziniert vom Heeresgrauen habe ich mir den Horch 901 angesehen, natürlich ist er eindrucksvoll mit seinen mittigen Stützrädern.
Natürlich ist seine Technik imposant. Der mittelschwere Einheits-Pkw mit Einzelradaufhängung und Allradantrieb wurde von Horch in Zwickau entwickelt. Unter der markanten Fronthaube steckt der 3,6 Liter-V8 mit hängenden Ventilen des vergleichsweise modernen Zivil-Pkws Horch 830, der zahme 80 PS leistet. Der Wagen ist perfekt restauriert, der Preis wird von E. Thiesen nur auf Anfrage genannt, ich schätze er wird so um die 250 000 Euro liegen.
Beim Betrachten denke ich an Russlands unbezwingbare Weiten und an überdehnte Nachschublinien auch mit Treibstoff. So ein Ungetüm braucht schon auf der Straße 30 Liter. Vergeblich suche ich eine Tankuhr, zähle Tacho, Öltemperatur, Öldruck, Amperemeter und Fernthermometer fürs Kühlwasser, aber eine Tankuhr finde ich nicht… dabei war sie doch so wichtig, wenn die Rote Armee nahte.
Vorläufer des Renault Twizy
Wir sind allerdings lieber weiter gelaufen und fanden auf den Freigeländen und in den Hallen der weltgrößten Klassikermesse auch unscheinbare Oldtimer, seltene Vorkriegsautos und wie immer auf der Techno Classica - auch Fahrzeuge, die wir noch nie gesehen haben. Ein Beispiel gefällig? Der Slaby Beringer von 1924. Dieses Fahrzeug ist der legitime Vorgänger des Renault Twizy - Einsitzer-Karosserie mit einer Breite von wenig mehr als 50 cm, keine Seiten- (und auch sonstige) Scheiben und: Elektroantrieb.
Der Schöpfer dieses sympathischen Kleinstwagens heißt Dr. Rudolf Slaby und baute 1919 die ersten Exemplare seines Slaby Beringer mit Holzkarosserie und einem 24-Volt-Antrieb. Die Stückzahlen sind bemerkenswert: Rund 1.000 Exemplare wurden bis 1924 verkauft. Ab 1923 gab es zudem eine Version mit einem Einzylinder-Zweitakt-Motor von DKW. Der kleine 170-Kubik-Motor leistet 3 PS und beschleunigt den Slaby auf bis zu 40 km/h. Zu sehen ist der Winzling auf dem Messestand von Audi.
Franz-Peter Hudek schaute diesmal nicht so stark auf die Preis-Sticker, sondern freute sich einfach über großartige und einmalige Automobile, wie sie nur in Essen zu finden sind. Darunter auch einige meist sündhaft teure Flops, die vor allem von den Schönen und Reichen dieser Welt gekauft werden. Viel Spaß bei der Bilder-Show.