75 Jahre AMS: Fahrbericht Porsche Carrera GT

75 Jahre AMS: Historischer Fahrbericht
Porsche Carrera GT

Sportwagen reicht nicht mehr. Der Supersportwagen definiert jetzt den höchsten Gipfel. Aber was ist wirklich super? Der neue Porsche Carrera GT gibt darauf eine überzeugende Antwort. Wir präsentieren heute den Original-Fahrbericht von Götz Leyrer, erschienen in der AMS-Ausgabe 20/2003.

Porsche Carrera GT
Foto: Achim Hartmann

Die Pferde galoppieren. 260 PS wie einst beim ersten Porsche Turbo? Lachhaft. Selbst die 450 PS eines Porsche 917, der mit seinem Zwölfzylinder in Le Mans stürmte, klingen bescheiden angesichts dessen, was heute auf die Straße losgelassen wird. Erst oberhalb von 600 PS ist man dabei in der ersten Liga. Und so viele Pferdestärken gibt es auf Wunsch sogar in einer komfortablen Limousine.

Womit eine Binsenweisheit bestätigt wird: Es ist nicht allein die Motorleistung, die einen wahren Sportwagen auszeichnet. Sportwagen, so fand schon der scharfzüngige Auto-Autor Alexander Spoerl, sind Autos, die sich besser anfühlen. Die das Fahren zum Selbstzweck machen.

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Achim Hartmann
Der Zehnzylinder-Motor ruht in einem Aggregateträger aus mit Kohlefaser verstärktem Kunststoff.

612 PS und zehn Zylinder

Fast alle Porsche zum Beispiel. Die verdeutlichen das Prinzip seit über 50 Jahren. Selbst ein 356 mit 60 PS, augenzwinkernd "Dame" genannt, war ein Sportwagen. Den Gipfel auf der anderen Seite markiert Porsche traditionell ebenfalls – neuerdings mit dem kompromisslosen Mittelmotor-Sportwagen Carrera GT . Zehn Zylinder, 612 PS. Stärker war noch nie ein Porsche für die Straße. Selbst in der Rennwagen-Historie des Hauses nimmt der GT einen der vorderen Plätze ein.

Dennoch sind das Eckdaten, die heute niemanden mehr vom Hocker reißen – schließlich hat Bugatti bereits über 1.000 PS angekündigt. Erst im Konzert mit den übrigen Merkmalen dieses 450.000-Euro-Porsche entfalten die 612 PS ihre volle Durchschlagskraft: ein zweisitziger Roadster, nach Werksangabe gerade mal 1.380 Kilogramm schwer. Das verspricht einen Porsche-Cocktail, wie in die Miraculixe im Entwicklungszentrum Weissach bisher noch nie gemixt haben.

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Achim Hartmann
Der Zehnzylinder-Motor ruht in einem Aggregateträger aus mit Kohlefaser verstärktem Kunststoff.

Kofferraum mit 76 Litern

Spielen Sie Golf? Dann wird es wohl nichts mit dem Porsche. Der Scheck geht besser für einen SLR an Daimler-Chrysler. Dort legt man Wert auf die Feststellung, dass in den Kofferraum zwei Golfbags passen. Carrera GT-Fahrer sollten besser Skat spielen. Für an Nebensächlichkeiten Interessierte: In den Kofferraum des Carrera GT passen 76 Liter. Oder die beiden herausnehmbaren Dachhälften.

Die Hülle, die sich um die beiden Insassen schmiegt, besteht aus mit Kohlefaser verstärktem Kunststoff. Sie wurde aerodynamisch konsequent auf hohe Abtriebsbeiwerte getrimmt, um auch bei Geschwindigkeiten oberhalb von 300 km/h ein stabiles Fahrverhalten zu gewährleisten.

Porsche Carrera GT
Achim Hartmann
Der kurze Mittelschalthebel mit Holzknauf ist sehr griffgünstig angeordnet.

330 km/h ist der Porsche Carrera GT schnell

Das ergibt zwar einen wenig eindrucksvollen c W-Wert von 0,39, sorgt aber dafür, dass der GT bei seinem Maximaltempo von 330 km/h mit zusätzlichen 400 Kilogramm auf die Straße gedrückt wird. Dazu trägt auch der Heckflügel bei, der bereits bei 120 km/h automatisch ausfährt. Bei solch beschaulicher Fahrt ist er zwar nicht nötig, aber er benötigt fünf Sekunden, um an seine Endposition zu gelangen. Und in dieser Zeit hat ein voll beschleunigter Carrera fast schon 200 km/h erreicht.

Der Motor, der einen solchen Schub entfesselt, beweist die Nähe des Carrera GT zum Rennwagen. Er sitzt in einem dekorativen, ebenfalls aus Carbon bestehenden Aggregate-Träger vor der Hinterachse und war ursprünglich für den Einsatz in Le Mans gedacht. Trockensumpfschmierung, variable Nockenwellenverstellung und geringes Gewicht (214 Kilogramm) zählen zu den Merkmalen des 5,7 Liter großen Aggregats.

Porsche Carrera GT
Achim Hartmann
Hinter den Magnesium-Rädern werden die Keramik-Bremsscheiben sichtbar.

Kupplung mit 169 Millimeter Durchmesser

Die Kurbelwelle des V10 mit einem Zylinderwinkel von 68 Grad befindet sich nur knapp zehn Zentimeter über dem Wagenboden – beste Voraussetzung also für einen extrem tiefen Schwerpunkt. Möglich wurde dies durch eine Kupplung mit nur 169 Millimeter Durchmesser, wie es sie in dieser Form noch nie gab: Die beiden Scheiben sind aus spezieller Keramik gefertigt. Dahinter schließt sich, quer eingebaut, ein neu entwickeltes Sechsganggetriebe an.

Geschaltet wird es konventionell mit einem Schalthebel, der in unmittelbarer Nähe zum Lenkrad auf der Mittelkonsole angeordnet ist. Alle bekannten sequenziellen Schaltungen mit Lenkradpaddeln erschienen Porsche nicht perfekt genug. Der jetzt gewählten Lösung kann man nur Beifall zollen: Die rechte Hand des Fahrers fällt wie von selbst auf den Schaltknauf aus Buchenholz. Die Schaltung funktioniert sehr leichtgängig und exakt, wozu auch die neuartigen Schaltzüge beitragen, die nicht, wie üblich, aus einem Drahtseil, sondern aus einem flachen Edelstahlband bestehen.

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Die gut ablesbaren Rundinstrumente entsprechen dem gewohnten Porsche-Stil.

Tacho reicht mit 380 km/h

Das Cockpit zeichnet sich durch feinste Materialien – Leder, Carbon und Magnesium – aus. Die Instrumente orientieren sich am bekannten Porsche-Stil, allerdings reicht die Skala des Drehzahlmessers bis 10.000/min und die des Tachos bis 380 km/h. Die Bedienung mit erfrischend wenigen Knöpfen erscheint einfach und übersichtlich. Die Schalensitze umschließen den Körper wie eine zweite Haut. Hier waren, das wird auf Anhieb deutlich, Gestalter am Werk, die etwas vom schnellen und konzentrierten Autofahren verstehen.

Das Anlassen des Motors gleicht einem Urschrei, danach verfällt der Zehnzylinder in einen stabilen Leerlauf. Schon jetzt verkündet das Gebrummel aus den beiden dicken Auspuffendrohren die schlummernde Kraft. Kurze Gasstöße lassen den mit geringer Schwungmasse versehenen V10 blitzartig hochdrehen. Der aggressive, hochfrequente Ton sorgt für Formel 1- Atmosphäre.

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1.380 Kilogramm wiegt der Porsche Carrera GT.

3,9 Sekunden bis Tempo 100

Die Bedienung der Kupplung erfordert wegen der stehenden Anordnung des Pedals etwas Gewöhnung. Der in PorscheDiensten stehende Ex-Rallye-Weltmeister Walter Röhrl gibt einen Tipp: Am besten funktioniert es, wenn man die Ferse am Boden lässt und die aus Alumnium bestehende Pedalplatte wie eine Wippe betätigt. Bei den ersten GT-Exemplaren neigt die Keramik-Kupplung noch etwas zum Rupfen, verkraftet aber auch eine ganze Reihe von schnell aufeinander folgenden Rennstarts völlig problemlos. Start? Es ist eher so, als würde man aus einer Kanone abgefeuert.

Selbst bei ausgeschalteter Schlupfregelung zeigt der mit einem Lamellen-Sperrdifferenzial ausgerüstete Porsche eine ausgezeichnete Traktion. Und er legt los, als gäbe es kein Morgen. Die Nadel des Drehzahlmessers schießt nach oben, nach dem Schalten setzt der Motor dank der engen Stufung des Getriebes mit nahezu unverändertem Sound wieder ein. Der Carrera soll nach 3,9 Sekunden die 100 km/h-Marke überschreiten und – weit eindrucksvoller noch – nach 9,9 Sekunden schon 200 km/h schnell sein. Die infernalische Beschleunigung hat damit kein Ende. Mit dem hell trompetenden Klang eines reinrassigen Rennmotors stürmt der GT weiter, um nach wenigen Kilometern seine Höchstgeschwindigkeit zu erreichen. Bei 330 km/h stößt er im sechsten Gang an die Drehzahlgrenze von 8.400/min.

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Stehend angeordnete Pedale aus Leichtmetall und Abstellplatte für den linken Fuß.

Keramik-Scheiben mit 38 cm Durchmesser

Selbst in diesem Bereich wiegt er seinen Fahrer in Sicherheit. Der Porsche läuft geradeaus wie an der sprichwörtlichen Schnur gezogen. Bei Bedarf verzögern die Bremsen mit ihren riesigen Keramik-Scheiben (38 Zentimeter Durchmesser) und den Sechskolben-Bremssätteln in einer Art und Weise, die den Insassen klar macht, dass im Carrera GT Rennwagen-Gene stecken.

Die Konstruktion des Fahrwerks mit doppelten Querlenkern und über Gestänge (Pushrods) betätigten Feder-Dämpfer-Einheiten passt sich da nahtlos an. Der GT zeigt damit eine Präzision des Fahrverhaltens, die ihresgleichen sucht. Die Lenkung reagiert feinfühlig auf kleinste Einschläge, die Bewegungen der Karosserie sind auf ein Minimum reduziert, die möglichen Kurvengeschwindigkeiten erreichen ein Niveau, das nur auf der Rennstrecke auszuloten ist. Das eigentlich Überraschende dabei: Ein akzeptabler Rest von Federungskomfort ist geblieben. Und der Motor, der schon ab 1.500 Umdrehungen im höchsten Gang kraftvoll durchzieht, macht den Umgang mit dem GT im normalen Straßenverkehr völlig problemlos.

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Achim Hartmann
Fast schon ein Rennwagen: Der Porsche Carrera GT mit seinem V10-Motor, der unter gelochten Abdeckungen aus Edelstahl zu sehen ist.

Ein faszinierendes Paket also, ein Supersportwagen par excellence. Klar, dass man für ein Exemplar aus der auf 1.500 limitierten Serie tief in die Tasche greifen muss. Immerhin: Die beiden einzigen Extras, die Klimaanlage und das Topradio der Firma Becker mit Navigationssystem, Internetanschluss und Telefon, gibt es ohne Aufpreis.

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