Es gibt Termine, von denen hast du eigentlich keinen blassen Schimmer, und trotzdem glaubst du genau zu wissen, was kommt. Aston Martin On Ice in Lappland ist so einer. Da wäre einmal Lappland, also Schweden, also rote Holzhäuser und Schnee. Im Februar. Also ein Haufen Schnee. Und dann ist da Aston Martin, offizieller Ausrüster des Geheimdienstes Ihrer Majestät und eine Firma, die das schnellste Cabrio ihrer Geschichte einst auf Sylt vorstellte – inmitten Liegeradlern, Wattwanderern und mit maximal 60 km/h.
Klar, es geht eben eher ums Wissen, dass man kann, als ums Können an sich. Und genau so würde es auch hier im Norden sein: zwischendurch ein bisschen Rumrutschen und dann ausgiebige Haus-Auto-Pferdepflegerinnen-Gespräche mit Leuten, die Aston Martin nicht nur fahren, sondern auch kaufen können: „Und Herr Helmreich, womit verdienen Sie Ihr Geld? Herrje, sie sind Journalist, machen Sie sich nichts draus, die erste Million ist immer die schwerste.“ Gelächter. Cheers.
Drei-Tage-Schulung südlich des Polarkreises
Doch wie so oft kommt es erstens anders und zweitens als man denkt. Und das mag zu einem gewissen Teil auch von den örtlichen Gegebenheiten abhängen. Arvidsjaur liegt 110 km südlich des Polarkreises und ist genauso mondän, wie es der Name vermuten lässt. Eine Kirche, ein Museum und ein Flughafen, der die Mitte vom Nichts per Direktflug mit den Metropolen der Automobilindustrie verbindet.
Knapp 5.000 Menschen leben hier, zwischen November und März kommen fast noch mal so viele hinzu: Ingenieure, Testfahrer, Drifttrainer und Eistanz-Studenten wie wir. Drei Tage lang schult Aston Martin in Person der GT-Haudegen Ralf Kelleners und Wolfgang Kaufmann bis zu 30 Teilnehmer: jung und älter, mehr Männer als Frauen, solvent oder solventer – aber allesamt offenbar mit richtig Benzin im Blut.
Ganz gleich ob die Business-Brothers aus Genf, das holländische Fleischermessermogul-Pärchen samt Nacktkatze, Vater und Sohn mit Privatjet aus Polen, AM-Owners aus Tokio, Berater-Buddies aus Hamburg oder der sport auto-Redakteur – keiner wollte nach den ersten geglückten Drifts freiwillig vom Eis.
Mit Vantage, DB9 und Vanquish durch die Parcours
Insgesamt 15 Kilometer Strecke hat man auf den Byskeälven-See gefräst: enge Micky-Maus-Parcours zum Einüben der Blicktechnik, detailgetreue Abbilder der Grand-Prix-Kurse Nürburgring und Spa, Slalomgassen fürs Gegenschwung-Training, Handlingtracks oder schnelle Kreisbahnen, um auch mal die Pobacken zusammenzukneifen. Angefangen wird sachte, gesteigert schnell, sodass selbst distinguierte Gentlemen schon nach kurzer Zeit mit Schneestaubfahnen durch Kurven wehen.
Im Laufe der Übungen fährt man sich quer durch die Modellpalette – mit Betonung auf quer natürlich. Aston Martin V12 Vantage S, DB9, Vanquish, auf Wunsch auch Rapide S – alle saugmotorisiert, alle perfekt achslastbalanciert, alle hinterradgetrieben, alle mechanisch quergesperrt und alle mit speziellen Schutzbügeln an der Front, damit sich keiner die CfK-Lippen verletzt.
Durch Funkgeräte an Bord schießen die Anweisungen der Instruktoren. Mal als Ansporn, mal schnippisch, mal mit Schadenfreude – vor allem als der Helmreich den Vanquish mitsamt aller Vorschusslorbeeren einen halben Meter in den Tiefschnee stopft. Derartige Ausrutscher werden mit Elch-Buttons geahndet, die man fortan gut sichtbar am Mann zu tragen hat – als Orden oder Brandmal, je nach Blickwinkel.
Aston Martin V12 Vantage S – Üben mit 573 PS
Einen gibt's, wenn das Auto mit Schaufel und Teamwork wieder flottzukriegen ist, deren drei, sobald schweres Gerät anrücken muss. Und Vorsicht ist nicht! Den statt um den Preis der eigenen Uhr geht es unter den Teilnehmern auf Zeit um Preise. Lichtschranken, Messgeräte, Zehntelsekunden. Was zählt, ist die Performance, die eigene, bei Tag und – besonders stimmungsvoll – sogar im Dunkeln. Die eingangs erwähnten Klischees? Dahin!
Die kleine Reise, die wir uns – gewissermaßen als Fluchtplan vor zu viel Chichi – um die Veranstaltung gebastelt haben, fühlt sich am Morgen des zweiten Eventtages urplötzlich jedenfalls eher nach Pflichtübung an. Immerhin ausflüglern wir standesgemäß im Aston Martin V12 Vantage S: zwei Sitze, keine 4,40 Meter lang und ein 573 PS starker Sechsliter-Sauger als Hebel für die Hinterachse – ideal also, um das Erlernte in die Praxis umzusetzen. Machen wir nicht, haben wir zwar gesagt. Nun, mit dem Bild da oben ist es jetzt aber raus: Das war gelogen, oder sagen wir besser, fabuliert.
Dabei haben die Offiziellen durchaus versucht, uns den Zahn zu ziehen – im wahrsten Sinne des Wortes. Statt Lappi-Rallye-Reifen mit je 500 Spikes, wie sie die Eventautos auf dem zugefrorenen See festkrallen, huscheln wir mit äußerst unskandinavischen Pirelli-Winterreifen los – wobei die Meinungen allerdings auseinandergehen, ob der reduzierte Grip nun autoritär oder anstiftend auf dumme Gedanken wirkt.
Im Aston Martin V12 Vantage S durch die Wälder
Wenig beigetragen zum Benehmen hat sicherlich die Menschenleere, die hier oben herrscht. Land und Leute lautete die Idee für die Geschichte – nur dass sich das mit den Leuten bereits kurz hinter Arvidsjaur erledigt hat. Okay, alle heilige Zeit stöckelt ein Nordic Walker ohne erkennbares Ziel den Straßenrand entlang, ansonsten streift nur Wald vorbei, mal lichter, mal dichter, aber immer Wald.
In weiten Bögen gurren wir westwärts, der unterforderte Aston Martin V12 Vantage S trottet im Ruhepuls dahin, die Kombination aus festgefahrenem Schnee und Eis erzeugt ein permanentes Abrollrumoren, während sich nebenbei Kilometer um Kilometer abspult – im Halbminutentakt, völlig ereignislos und begleitet von einer Endlosschleife der Szenerie. Storforsen ist als Richtung eingeschlagen: die dortigen Wasserfälle und deren Anziehungskraft, die zumindest etwas Leben verspricht.
Vorm örtlichen Hotel parkt ein Mercedes-Trailer, drinnen snackt die zugehörige Testcrew – ansonsten rührt sich nichts. In der Lobby starrt einen der unvermeidliche Elch-Schädel an, daneben stehen zwei Bären, ein Vielfraß – alle ausgestopft. Und auch die Dame an der Rezeption wirkt kaum vitaler.
Schnell, dynamisch und sinnlich durch den Schnee
Nach einer Weile treffen wir Stig. Mitte 60, Lakers-Cap, rau wie das Klima. Er will im Aston Martin V12 Vantage S Probe sitzen und beantwortet unsere Frage nach dem nächsten Pub, der nächsten Bar, einem Restaurant, nach irgendwas – abgesehen von den Tierkörperwelten im Hotel. Er überlegt lange: „Vorn links, dann in 40 Kilometern – maybe.“ Wir fahren rechts und machen mangels Ziel lieber den Weg zu unserem.
Immer wieder zweigen wir von der Bundesstraße ab. Nicht weil man von Orten wie Manjärv irgendwas erwarten würde, sondern weil der Schnee auf den Nebenstrecken so schön unangetastet ist. Vor Kurven etwas anpendeln, mit links kurz an die Bremse, damit die Vorderräder Halt finden, dann kräftig aufs Gas tapsen, gegenlenken und den Impuls mit Power zum Slide ausbauen.
Hinten stiebt die weiße Pracht, vorn rasiert der Spoiler ganz sachte am Schneewall entlang, während sich der Streckenverlauf abwechselnd mal vors eine, dann vors andere Seitenfenster dreht. Die Bedingungen sind erste Sahne und der Aston Martin V12 Vantage S die Kirsche on top. Es mag schnellere Autos geben, mit Sicherheit dynamischere und vielleicht sogar ein, zwei, die sinnlicher sind – aber keines von denen ist so schnell, so dynamisch und so sinnlich zugleich.
Aston Martin V12 Vantage S bleibt im Amt
Dieser subtil-dramatische Look, dieses Interieur, das auch nach einem Jahrzehnt nicht alt aussehen will, das brunftige Auspuffdonnern des Zwölfzylinders und ein pures, trockenes, völlig gefühlsechtes Fahrverhalten, wie es heutzutage ein vom Aussterben bedrohtes ist. Eine ganz große Bitte meinerseits: Liebe Aston-Ingenieure, baut Sportwagen auch in Zukunft genau so! Und das dürfte in den kommenden Jahren die große Herausforderung sein. Zumal Feeling und Design alleine nicht mehr reichen werden. Die Kundschaft erwartet Assistenzsysteme und eine Navigation, die nicht mehr nach einer 49,99-Euro-Saugnapflösung mieft.
Eine Kooperation mit Mercedes ist dazu bereits geschlossen. Sie wird Aston Martin aber nicht nur elektrotechnisch auf den Stand der Dinge bringen, sondern verschafft auch Zugriff auf moderne Motoren. Offiziell sagen will man noch nichts, der Vierliter-Biturbo des AMG GT sei aber schon nicht uninteressant. Alles klar, oder? Sorgen um den V12-Sauger muss sich deswegen aber keiner machen. Obwohl von Emissionspastoren längst zum Tode verurteilt, bleibt er weiterhin in Amt und vor allem Würden. Auf absehbare Zeit.
Als wir nachmittags zur Aston-Martin-Lodge am Ufer des Trainings-Sees einbiegen, stehen gute 300 Kilometer auf dem Tageszähler des Aston Martin V12 Vantage S, wobei sich aus Hinterradumdrehungen und zurückgelegter Distanz sicherlich eine Differenz errechnen ließe. Zwei Driftsessions stehen noch an, dann soll Schluss sein. Endgültig. Wir haben alles versucht: gebittelt, gebettelt, Angebote gemacht, auch unmoralische. Keine Chance. Doch schließlich öffnet sich das Hintertürchen. Piet vom Orgateam möchte uns am nächsten Morgen zum Eisfischen mit rausnehmen. Das gehe schnell, sagt er. „Und nein, außer uns ist bestimmt niemand auf dem See. Wieso fragt ihr?“ – „Ach, nur so!“
Aston Martin Vantage S Coupé 6.0 V12 | |
Grundpreis | 179.950 € |
Außenmaße | 4385 x 1865 x 1250 mm |
Kofferraumvolumen | 300 l |
Hubraum / Motor | 5935 cm³ / 12-Zylinder |
Leistung | 421 kW / 573 PS bei 6750 U/min |
Höchstgeschwindigkeit | 330 km/h |
Verbrauch | 16,4 l/100 km |