Salami schneidet wohl kaum ein anderer Hersteller in so dünne Scheiben wie Audi. Klar, die Taktik ist auch nötig, schließlich war vom Vorsprung durch Technik in den letzten Jahren wenig zu schmecken. Doch nun will Ingolstadt den Slogan mit dem neuen Q6 E-Tron wieder mit Leben füllen. Deshalb durften die Kollegen bereits alle Infos zur Technikplattform PPE zusammentragen, sich von der Scheinwerfertechnik erhellen lassen, den Prototyp des Q6 fahren und sogar am Motor mitbauen. Was dabei rausgekommen ist? Das erfahren Sie nun endlich an einem saftigen Stück mit dem neuen bi-motorigen Quattro im Norden Spaniens.
Hier, rund um Bilbao, wo die Sonne auf Instagram immer, aber im richtigen Leben nicht ganz so oft scheint, steht der Q6 E-Tron Quattro mit mächtig Verspätung endlich vor uns. Ohne Tarnfolie, mit kurzen Überhängen, 2,89 Metern Radstand, gehüllt in Audi-eske Linien. An der Front pixeln uns LED-Scheinwerfer mit acht individuellen Layouts entgegen. Am Heck warnen OLEDs mit Warndreieck-Grafik bei Gefahr. Aber bevor wir losstromern, erkunden wir erst mal das geräumige Innenleben.
More Touch und more Screens
Willkommen auf der digitalen Bühne: So sieht Audi seine neue Elektronikarchitektur namens E³ 1.2. Die Ingolstädter biegen nun die OLED-Bildschirme zum Fahrer hin, was einem unweigerlich südbayerisch-bekannt vorkommt. Differenzierung ergibt sich zum einen durch die opulente Größe des Mittelscreens von 14,5 Zoll und zum anderen durch genaues Hinsehen.
Im gestochen scharfen Display bauen sich Grafiken wie die der Sitzheizung und -kühlung flott auf, statt einfach hochzuploppen. Das Head-up-Display projiziert beim starken Beschleunigen immer größer werdende Tachoziffern auf die Frontscheibe oder verweist auf die Position Vorausfahrender wie auf einem Radarschirm. Kleinigkeiten, die jedoch einen spürbaren Unterschied machen.
Apropos: Die Verarbeitung ist Audi-typisch penibel, nur bei der Materialauswahl wird der teilplastifizierte Innenraum nicht ganz der Finesse vergangener Modellgenerationen gerecht. Herausragend, so viel sei vorab verraten, ist generell kaum eine der zahlreichen guten Eigenschaften des Q6. Und doch ergibt sich ein Gesamtkunstwerk, dessen Ausgewogenheit den Maßstab in der Klasse setzen könnte.
Wo es langgeht, das diktieren sowohl der Beifahrer mit seinem LED-Bildschirm vor der Nase als auch die freundliche KI-Navi-Stimme aus der Kopfstütze. Egal wie unübersichtlich die Straßenführung sein mag: Mit den Augmented-Reality-Navi-Pfeilen auf der Scheibe und der doppelten Bildschirmabsicherung ist es unwahrscheinlich, sich zu verfahren. Und dabei kommst du dir in Bilbao manchmal vor wie in Tokios Hochstraßen-Wirrwarr.
Während der bemerkenswert gut gedämmte Q6 optional umfangreich assistiert über die spanische Autobahn stromert, wundern wir uns über den etwas unzuverlässigen aktiven Spurhalter, der hin und wieder mit Kurvenradien kämpft. Der Bordcomputerverbrauch liegt zudem bei moderater Fahrweise deutlich über dem 17-kWh-WLTP-Verbrauch. Ärgerlich sind die sich schnell aufheizenden Touchtasten auf dem eckigen Lenkrad, die zielsicheres Bedienen erschweren, das Fehlen einer separierten Klimaeinheit sowie die geringe Varianz der Cockpitanzeigen. Variabler sind da schon die zweite Reihe samt dreiteiliger Rücksitzlehne und das Heckabteil mit 526 bis 1.529 Litern Volumen. Dabei bietet der Kofferraumboden ebenso wie der Frunk genug Platz für Ladekabel.
Stabil ohne Seitenlage
Und fahren? Das kann er. Klar, mit 285 kW Leistung, Luftfederung und zahlreichen Assistenzsystemen sind die Voraussetzungen bestens. Doch die bieten auch andere SUV. Der Unterschied ist die Darreichungsform: Der Q6 packt dich nicht am Schopf, sondern in Watte. Das Luftfahrwerk stützt den 2,4 Tonnen schweren Aufbau in Kurven so gekonnt, dass der Fahrer ihm eine Wankstabilisierung unterstellt, die es gar nicht gibt. Nur im Komfortmodus kommt gewolltes Wogen auf, während vom desolaten spanischen Asphalt nur wenig zu spüren ist. Selbst bei flotter Kurvenfahrt bleibt der E-Tron betont neutral. Die Regelsysteme greifen dermaßen sanft ein, dass man weder Relaisklackern vernimmt noch Eingriffe spürt.
Wie groß der Anteil von Porsche an der Plattformentwicklung war, kann man an der Lenkung erkennen: Sie reicht zwar nicht ganz an die Präzision oder das Feingefühl der Zuffenhausener heran, agiert aber für Audi-Verhältnisse überraschend direkt und rückmeldend. Der Vorderachsgrip? Schlicht überragend! Und das Heck darf sanft mitarbeiten, weil der stärkere der beiden E-Motoren dort sitzt. Doch statt mit überzogenem Boost tritt der E-Tron Quattro moderat an. Er überfällt einen nicht mit seinen 580 Nm Drehmoment, sondern baut sie mit sanftem Druck auf. Trotzdem soll es in unter sechs Sekunden auf 100 km/h gehen und der Schub erst bei 210 km/h enden.
Lädt mit bis zu 270 kW
So wichtig, wie früher Drehmomentverläufe von Motoren waren, so wichtig sind heute Ladekurven. Ihr Graph verläuft beim Q6 E-Tron wie das Drehmoment-Plateau eines 3,0-Liter-TDI. Der Q6 berechnet fix Ladestopps auf langen Routen und prophezeit dort kurzweilige Aufenthalte von 10 Minuten für 255 km Reichweite oder 21 Minuten für die Ladung von 10 auf 80 Prozent. Möglich macht das die 800-Volt-Technik. Sollte nur eine Ladesäule zur Verfügung stehen, die mit 400 Volt arbeitet, teilt der Audi seinen Akku sozusagen in zwei 400-V-Systeme auf, die mit je 135 kW geladen werden. Jedenfalls sollen mit der nutzbaren Batteriekapazität von rund 95 kWh laut WLTP bis zu 625 km Reichweite möglich sein.
Bremse gut, Preis hoch
Die klassische Elektroauto-Achillesferse blendet der Q6 E-Tron übrigens gekonnt aus: Der Übergang von der elektrischen zur mechanischen Bremswirkung ist bis in den ABS-Regelbereich kaum spürbar, obwohl das Pedal weniger Weg bietet als gewohnt. Lediglich bei der Adaption der Rekuperationsstufen im manuellen Modus per Paddle wünscht sich der eine oder andere mehr Freiheiten, zumal sich der Auto-Modus umstandskrämerisch im Untermenü versteckt.
Offensichtlich hingegen: So ein neuer Q6 E-Tron geht richtig ins Geld. 68.800 Euro verlangt Audi für die Basis, der Quattro startet bei 74.700 Euro. Und mit den Anschaffungs- und Unterhaltskosten ist es nicht getan. Langweilt sich der Beifahrer, kann er auch während der Fahrt Features wie Sound-Verbesserungspakete oder digitale Abos für Fahrtenbücher ab einem Euro pro Monat buchen, gerne auch im Jahresabo. Sie sehen: Audi ist mit der Salami-Taktik noch lange nicht beim Endstück angekommen.
Fazit
Der Audi Q6 E-Tron überzeugt mit innovativer Technik und luxuriösem Innenraum. Trotz einiger Schwächen wie dem hohen Verbrauch und der unzuverlässigen Spurhaltung setzt er neue Maßstäbe in seiner Klasse. Besonders die Ladeleistung und die Fahrdynamik stechen hervor.