Bentley Continental GT Speed: Was kann der Über-PHEV?

Bentley Continental GT Speed
V8 statt W12 - was kann der neue Über-PHEV?

Im Bentley Continental GT Speed steckt statt des W12 nun ein 782 PS starker V8-Plug-in-Hybrid. Wir fahren das Luxus-Coupé auf Schweizer Passstraßen.

Zufall? Auf gar keinen Fall! Die Schweiz ist nicht einfach nur wegen dem Klischee-Dreiklang Käse, Schokolade, Berge der Ort der Wahl für die erste Ausfahrt mit dem Bentley Continental GT Speed. Obwohl: Käme mit dem Bankenwesen, also dem Geld, ein weiteres Klischee hinzu, dann schon. Denn in der Schweiz fahren in Relation zur Einwohnerzahl die meisten Bentleys in Europa herum. Okay, gilt auch für Porsche. Und womöglich für alle weiteren Auto-Luxusmarken. Gut möglich, dass es nicht leichtfällt, einen Bentley zu erwerben. Na, jedenfalls startet – um das Thema gleich mal abzuhaken – der GT bei 293.200 Euro, das Cabrio GTC kostet weitere 29.300 Euro. Inklusive Steuer, wie nett.

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Traditionell ebenfalls weit oben angesiedelt: Die Anzahl der Konfigurationsmöglichkeiten der Edel-Mobile. Über das gesamte Modell- und Lieferprogramm der Luxusmarke ergeben sich über 44 Milliarden Kombinationen – bevor die Spezialabteilung des Hauses namens Mulliner ins Geschehen eingreift. Und natürlich ist auch das Geschwindigkeits-Niveau ganz oben angesiedelt. Denn ungeachtet des Leergewichts von 2.636 Kilogramm (das Coupé wiegt 177 kg weniger) schwingt sich das GTC genannte Cabrio ziemlich lässig den Nufenen-Pass in der Schweiz hinauf. Wegen Nebensaison und Pladderwetter hält sich der Verkehr in Grenzen, die Toleranz hinsichtlich Tempoüberschreitungen allerdings ebenfalls – weil Schweiz und so.

Ein Fahrwerk für diskrete Eile

Schlimm? Nein, im Gegenteil: Gerade unter diesen Bedingungen muss ein emotionales Fahrzeug wie der Bentley Continental GT Speed zeigen, ob die Fahrt auch Freude bereitet. Nun, eben in diesem Moment, als du gerade auf dieser Überlegung herumkaust, beliebt die nicht allzu breite Straße eine Kuppe aufzuwerfen, hinter der sich recht unvermittelt in eine Paarundsechziggrad-Linkskurve anschließt. In so einer Situation können bereits die erlaubten 80 km/h reichen, um nicht nur an die Tür zum Grenzbereich des Fahrwerks anzuklopfen, sondern sie gleich einzutreten. Passiert im Conti jedoch nicht, das Fahrwerk sorgt für soliden Grip an der Vorderachse und der Rest des 4,90 Meter langen Zweipluszwei-Sitzers folgt brav und zügig.

Alle Komponenten greifen ineinander: Allradlenkung, 48V-Wankstabilisierung, elektronisch gesteuertes Hinterachsdifferenzial, in Druck- und Zugstufe getrennt geregelte Adaptiv-Dämpfer. Plus mächtige 22-Zoll-Räder, 275 mm breit vorne, 315 mm hinten. Dazu reicht der Bentley Continental GT Speed seinem Fahrer eine Lenkung in die Hand, die ein hohes Sicherheitsgefühl über ihre verlässliche Rückmeldung vermittelt, überdies mit einem natürlichen Lenkwinkelaufbau gefällt und es gemäß des Grand Tourer-Anspruchs nicht mit den Haltekräften übertreibt. Dementsprechend biegt so ein Bentley auch nicht ab, als habe ihm ein Wespenschwarm ins jeweils kurvenäußere Vorderrad gestochen, sondern eher mit diskreter Eile. Einzig gefühlvolles Bremsen erfordert ein wenig Übung, da bei der Modellpflege der Continental eine Vokabel neu lernen muss: Brake blending, also der Übergang von der Verzögerung durch Rekuperation hin zur Hydraulik der Radbremse. Letztere fällt übriges gewaltig aus: Zehnkolben-Festsättel mit 420 mm-Scheiben vorne, Vierkolben und 380er-Scheiben hinten (Optional: 440/410 mm-Scheiben aus Carbon-Siliziumkarbid).

Rein elektrisch bis Tempo 140

Nun also unterzieht sich auch das Erfolgsmodell der Briten, dass die Marke Anfang der 2000er aus der Nischen-Nische von rund 400 gebauten Fahrzeugen im Jahr in die Tausender-Stückzahlen beförderte (zuletzt rund 13.500 Autos in 2023), der Elektrifizierung. Wie? Mittels eines Plug-in-Hybrid-Antriebsstrangs, der einen V8-Biturbomotor mit 600 PS und einen 190 PS starken, im Achtgang-Doppelkupplungsgetriebe verräumten E-Motor beinhaltet. So ergibt sich eine Systemleistung von 782 PS und ein maximales Drehmoment von 1.000 Nm. Bei welcher Drehzahl die Durchzugswucht versammelt ist? Dazu gibt’s keine Auskunft. Der Vierliter-Benziner hat seine 600 Nm bei 2.000/min beisammen, der E-Motor liefert praktisch aus dem Stand heraus 450 Nm. So überrascht es kaum, dass der wuchtige Continental ebenfalls aus dem Stand entsprechend kaltschnäuzig beschleunigt, zunächst begleitet von jenen Restfrequenzen elektromotorischen Sirrens, die es schaffen, durch die dicken Schichten Dämmmaterial bis ins edle Interieur zu kriechen.

Wer den E-Mode aktiviert lässt, hört bis Tempo 140 auch nicht mehr – es sei denn die Lastabfrage übersteigt 75 Prozent. Spätestens dann schaltet sich der Verbrenner unmerklich zu, der aufgrund des E-Unterstützung hitzeunempfindlichere Monoscroll-Turbolader nutzt (erleichtert die Abgasnachbehandlung) und auf eine Zylinderabschaltung verzichtet – schließlich kann nun gleich der ganze Motor abgeschaltet werden, wenn möglich. Bis zu 81 Kilometer elektrische Reichweite verspricht der Hersteller, was sich auf der ersten Ausfahrt nicht verifizieren lässt, wohl aber eine praxisgerechte Steuerung des Hybrid-Systems.

Gut verteiltes Gewicht wird schnell zur Fußnote

So verpulvert es im Fahrmodus Hybrid nicht gleich den gesamten Akku-Inhalt und hält im Sport-Modus immer genügend Kapazität vor, um den wuchtigen Wagen so zügig wie möglich zu beschleunigen (Nullhundert beim GT in 3,2 Sekunden, beim GTC in 3,5 Sekunden – laut Hersteller). Der 25,9 kWh-Akku lädt mit bis zu 11 kW, sitzt hinter der Hinterachse, die Gewichtsverteilung liegt daher bei 49 zu 51 Prozent (vorne/hinten). Und ja, dann ergeben sich im öffentlichen Straßenverkehr tatsächlich keine Differenzen zwischen Coupé und Cabrio. Wo die beiden fahren, ist oben, ganz unabhängig von irgendwelchen Passhöhen.

Wenn erlaubt, wird der Bentley Continental GT bis zu 335 km/h schnell, der GTC immer noch 285 km/h. Das Gewicht verkümmert scheinbar zur Fußnote, wirft spätestens aber im Anschluss an das Fahrerlebnis die Frage auf, wie viel Materialeinsatz generell sinnvoll erscheint, um Emissionen zu senken. Eine Antwort darauf muss jetzt aber nicht gefunden werden. Zu gewunden die Straßen, zu wenig frequentiert. Nur der Bentley und du, hier mal als Coupé, hier mal als Cabrio mit dick gefüttertem Dach und scheinbar unerschütterlicher Verwindungssteifigkeit. Einzig der brodelnd-donnernde Klang des Achtzylinder-Triebwerks droht sowohl das Verdeck als auch das großflächig verlegte Leder im Cockpit aufzuschuppen.

Angemessenes V8-Gepolter

Mit klar erkennbarem Stolz vergessen die Briten nicht zu erwähnen, dass der Motor seine Musik ohne künstliche Verstärkung spielt. Durchaus ein wenig polteriger als das W12-Aggregat des Vorgängers, ein wenig mehr ruppig-bretternder Alternative Metal denn kraftvoll-sauberer Garage Rock. Immer jedoch: Einem Bentley, einem Wagen für die große Reise angemessen. Immer Konzerthalle, nie Ballermann. So, dass immer genügend Zeit bleibt, sich über die verarbeiteten Materialen zu freuen, womöglich immer aufs Neue zu bestaunen. Ja, du darfst dich auch gerne selbst bejubeln, wenn dir beim jedem Einstieg deine Farb-Konfiguration das Alltagsgrau von den Pupillen sprengt. Ehrlich gesagt: Grauschwarz außen mit dunkel-violettem Leder und hellblauen Akzenten innen kann einen schon vom Hocker hauen – sowohl vor Begeisterung als auch vor Ablehnung. Gilt natürlich ebenso für die anderen in der Bildergalerie gezeigten Farbmischungen.

Keine Geschmacksfrage indes: Der Arbeitsplatz als solcher, denn der passt. So findet sich leicht eine angenehme Position hinter dem Lenkrad, während die 20-fach verstellbaren Sitze selbst hinsichtlich Einsitzweichheit, Langzeit-Komfort und Seitenhalt perfekt mit dem Grundcharakter des Conti harmonieren. Darf’s noch ein Pass mehr sein? Na klar! Schnell stellt sich hier der Fahrmodus "Bentley" als der passende heraus, denn Sport reduziert zwar nochmals die Aufbaubewegungen, kokettiert mit ganz fixen Gangwechseln, leicht aufmüpfigem Zwischengas, mindert allerdings den Federungskomfort über den Aufwürfen der Landstraßen zu sehr. Comfort hingegen lässt die Karosserie etwas zu ausgeprägt nachschwingen. Wer mag, mischt sich im Custom-Modus den Conti nach Geschmack ab. Und schafft so seinen persönlichen Dreiklang.