Bugatti Chiron Pur Sport: W16-Biest auf dem Hockenheimring

Rennstrecken-Fahrbericht Bugatti Chiron Pur Sport
Das freundliche Biest

Bugatti schickt den Chiron ins Gym. Gewicht runter, Übersetzung kürzer, Fahrwerk straffer, Cupreifen drauf. Und wie fährt er, der Pur Sport? Immer noch 1.500 PS starker Mega-Allrounder oder fieses W16-Biest?

Bugatti Chiron Pur Sport
Foto: Bugatti

Meine Fresse, das hat gedauert… Nein, nicht die eindeutigen Corona-Regeln. Auf die werden wir ewig warten. Sondern dass Bugatti ein Einsehen hat und dem Chiron endlich mal Beine macht. Also schnellere. Besser: Kürzere. Denn mit 350 km/h ist er langsamste in der Familie. Wegen der kürzeren Übersetzung. Doch dafür ist er schneller schnell. In jedem Geschwindigkeitsbereich. Denn so konnte es ja nicht weitergehen, die 1.500 PS verebbten regelrecht in den langen Wellen des Siebengang-Doppelkupplungsgetriebes. Bei Tempo 200 kamen gerade mal 680 PS rum. Jetzt sind es 843, bei 300 km/h 1.224 statt luschigen 1.047. Ist halt von Vorteil, wenn Du nicht mehr jenseits 420 km/h (dort regelt der normale Chiron ab) marschieren musst.

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Bemerkbar auch beim Durchzug von 60 auf 120, der sich so dermaßen zog, dass sie die Bremse zogen. Besser, lösten. 80 Prozent des Getriebes sind neu, die Übersetzungen 15 Prozent kürzer. Jetzt darf der Achtliter zeigen, was seine 16 Kolben wirklich draufhaben. Nicht nur weil sie jetzt bis 6.900/min statt 6700/min strampeln dürfen, sondern es ihnen durch die kürzere Übersetzung insgesamt leichter gemacht wird. Der Durchzug von 60 auf 120 km/h etwa dauert mit 4,4 Sekunden nur noch halb so lang.

Tempo 300? In unter 12

Treten wir doch mal aufs Gas. 5,5 Sekunden, nicht schlecht. Für Tempo 100. Der Pur Sport ist dann schon auf 200 0-100: 2,3s). Und jetzt erst richtig munter. Das Achtliter-Dings hinter dir brummt und laderpfeift und macht und tut bis es den Zweitonner in weniger als 12 Sekunden auf 300 schiebt. Dabei ist der frische Franzose nicht mehr (nur) auf Topspeed getrimmt, der bislang hydraulisch verstellbare Heckflügel wich einem 1,90 Meter breiten festen Karbon-Brett: zehn Kilogramm gespart, Abtrieb gewonnen. Was nix schadet, schließlich soll der Pur Sport mit Freude Kurven fressen. Geraden kann er eh mit seinen 1.500 PS und 1.600 Newtonmetern (ab 2.000/min).

Wobei selbst die beeindrucken. Wenn die vier Turbolader anblasen, acht Liter Hubraum bis zu 60.000 Liter Luft pro Minute inhalieren durch die voluminöse Saugstrecke in Karbon pressen und am Schluss durch den Titan-Enddämpfer (superleicht aus 3D-Druck), ja was soll man sagen: entlässt, ausstößt, eruptiert. Egal: auspufft. Noch toller: das Seufzen der Lader beim Gaswegnehmen. Im Innern der Kabine akkurat gedämmt, bekommt man bei offenen Seitenscheiben den vollen Zisch auf die Ohren und einen guten Eindruck, was Gaswechsel bedeutet.

Wer nun denkt, da hängt etwas Böses, Hinterlistiges an der E-Gas-Strippe, der irrt. Ettore Bugatti und Ferdinand Piëch können uns versonnen von ganz oben zulächeln. Ohne sie gäbe es den W16 nicht. Danke übrigens. Doch zurück in Medias Res. Fahren. Beschleunigen, durchziehen, anbremsen, einlenken. Hui. Da war schon der Veyron nicht blöd, konnte ebenso gut zum Rewe golfen als auch das Fahrergesicht beim horizontalen Extrem-Bungee zur Grimasse verzerren, sich erfolgreich bis jenseits 400 aufraffen. Kein anderes Auto beherrscht eine solche Leistung so lässig, zieht Physik so krass durch. Hier sieht man, was dabei rauskommt, wenn jemand etwas will, eine funktionierende Orga am Start ist und Geld nur eine untergeordnete Rolle spielt. Man darf davon ausgehen, dass die 3,5 Millionen Euro pro Pur Sport eher nicht die Kosten decken. Wobei das den Kunden egal ist. Die wenigsten bücken sich beim Discounter in das "Ich bin noch gut – deshalb halber Preis"-Regal. Man sagt, sie besitzen im Schnitt 84 Autos, mehrere Flugzeuge und mindestens eine Jacht. Ahoi.

Kein Hungerhaken, aber nur 1,19 Kilo pro PS

Zurück zum Pur Sport, dem Drahtigen des Bugatti-Clans. Natürlich kein 1,4 Tonnen Hungerhaken mit Dünnglasscheiben und Dämmmattenverbot, aber ein präzisierter Luxussportler. Immer noch 1.980 Kilogramm schwer (Leistungsgewicht 1,19 Kilo pro PS), aber mit ausgefuchstem Allradantrieb, je vier Kilogramm leichteren Magnesium-Rädern mit optionalen Karbon-Blades und samt speziellen Michelin-Cupreifen (Sport Cup 2R), steiferen Federn (65% vorn, 33% hinten), strafferen Dämpfern, Bushings und Stabis. Klingt konventionell? Logo, ist ja auch Physik, und die gilt halt für alle. Wobei sich die Gesetzte mit etwas gutem Willen und ein paar Euro-Bündeln ziemlich dehnen lassen.

Bugatti Chiron Pur Sport
Bugatti
Der Pur Sport ist zwar immer noch 1.980 Kilogramm schwer. Das Leistungsgewicht beeindruckt dennoch: 1,19 Kilo pro PS.

Um beim Fahren subjektiv zu zerfließen wie die Uhren von Salvador Dali. Raum und Zeit als Kontinuum? Ja, schon, irgendwie. Aber anders. Komprimierter. Schneller. Du bist schneller schnell, was zwar im Grunde für jeden Supersportler gilt, hier aber nochmal im schnellen Vorlauf. Natürlich kann der Zweitonner nicht federleicht über die Ideallinie tanzen, schwerelos auf der letzten Rille ankern oder ätherisch querkommen. Andererseits: Eine gewisse Erdung schadet nix, wenn du mit 1.600 Newtonmetern am Fuß herumdrehmomentest.

Der Innenraum? Besser geht es nicht.

Etwas Musik dabei gefällig? Nur was? Orientieren wir uns doch einfach an unserem Astro Alex. Der kennt sich mit Beschleunigung aus und hört vor dem Start Richtung Orbit gern Thomas D. oder Tocotronic. Also: "Rückenwind" und ab. Herr Gerst reitet übrigens auf etwa 26 Millionen PS der Sojus-Trägerrakete. Was die 1.500 des Bugatti in ein sehr mildes Licht taucht. Mildes Licht, genau. Mal ein Wort zum Innenraum: Boah. Schwierig, das passend zu beschreiben. Für 3,6 Millionen darf man das erwarten. Aber es sind halt auch 3,irgendwas Millionen. Und so sieht das hier auch aus, fühlt sich so an. Nicht affig, nicht blöd. Ordentlich Platz, reduziert, solide, toleranzarm, höchstwertig. Ein NVH-Meisterbock sozusagen. Irgendwo ist es halt immer noch VW-Konzern.

Bugatti Chiron Pur Sport
Bugatti
Der Innenraum? Nicht affig, nicht blöd. Ordentlich Platz, reduziert, solide, toleranzarm, höchstwertig.

Dazu eine Anekdote: Als ein Kunde unbedingt einen Glaselefanten in seinem Veyron haben wollte, wandte sich Bugatti an einen Glasbläser und wollte einen anfertigen lassen. Genauer: zwei, denn einer musste aus Sicherheitsgründen (VW-Vorschrift) vorher gecrasht werden. Da sagte der Glasbläser: ich mache kein Kunstwerk allein zum Crashen. Damit hatte sich die Nummer mit dem Glaselefanten. Wollte man alle Bugatti-Anekdoten erzählen, sie müssten den Amazonas roden, um das Papier dafür herzustellen.

Seepferdchen reicht

Bis dahin genießen wir an Bord des Pur Sport die intensivierte Zwiesprache der Lenkung, die über das straffere Fahrwerk deutlich mehr mitteilt, die mutigeren ESC Sport-Plus-Regelgrenzen, die bis 1,6 g sowie herzhafte Powerslides zulassen. Komplett deaktivieren geht auch, erfordert aber reichlich Platz und/oder Fahrkönnen. Ansonsten genügt aber das Seepferdchen, um mit dem Pur Sport warmzuwerden. Er lässt sich gutmütig an der Rutschgrenze entlangfahren, seine Elektronik regelt fein, der Allrad traktioniert, was die Gummis hergeben.

Und nie vergessen: wo ein paar Millimeter mehr Gas bei anderen Autos 20, 30 PS addieren, sind es hier gleich 100, 200. Bei Gaswegnehmen immer mit enttäuschtem Seufzen quittiert. Nein, nicht vom Beifahrer, sondern vom Laderquartett (das übrigens beim Beschleunigen als Register funktionieren, erst ab etwa 3.500/min von zwei auf vier schaltet). So, alle Register gezogen? Zeit für eine kleine Abschlussrunde im Pur Sport. Denn: Wer weiß, wie lange es so etwas Irres noch gibt!

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Fazit

Der Chiron Pur Sport ist ein Sammlerstück, reiht sich perfekt in die Bugatti-Familie ein. Einer geht bis weit jenseits 400, dafür kann der hier nur 350, flitzt dafür unterhalb dieser Marke umso schneller. Mehr Gefühl, mehr Dynamik, ohne aber die Umgänglichkeit preiszugeben: auch diesen Bugatti kann wirklich jeder fahren, der einen Führerschein hat. Und im Rahmen seiner Möglichkeiten Spaß haben. Nur dass der Pur Sport diesen Rahmen in Richtung Gefühlsechtheit und Dramatik erweitert.