Marlboro Machine: Dodge Charger SRT Hellcat Widebody

Dodge Charger SRT Hellcat Widebody
Marlboro Machine

6,2 Liter, ein Dämon auf dem Kompressor, 717 PS plus großem Benzindurst, ein Klappenauspuff ohne richtigen Nachbarmodus: Dieser Dodge Charger SRT Hellcat Widebody ist so sozialverträglich, wie es heute der Tabak-Cowboy von damals wäre.

Dodge Charger SRT Hellcat Widebody, Exterieur
Foto: Hans-Dieter Seufert

Eigentlich sollte die Überschrift für diesen Text Bezug auf die Bad Boys aus Detroit nehmen: So nannte man die Basketballer der Detroit Pistons Ende der 80er wegen ihres bedarfsorientiert überaus körperbetonten Spielstils. Bedarf gab es in der legendären Ära um Magic Johnson, Larry Bird und Michael Jordan in vielen der 82 Saisonspiele. In den Playoffs? Gesteigerten Bedarf. Gekümmert haben sich alle, mit besonderem Einsatz Rick Mahorn, für Spezialaufgaben stand Bill Laimbeer unter dem Korb. Der 2,11-Meter-Schrank würde heute nach der ersten Partie für zehn Spiele gesperrt. Nach dem Comeback-Einsatz dann für den Rest der Saison. Mindestens.

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Zur Freude des Phrasenschweins würde das zu diesem Dodge wie die Faust aufs Auge passen, weil auch er ein urgewaltiger Dinosaurier ist, der mit politisch wenig korrekten Allüren heute so ist, wie die Pistons früher waren. Tatsächlich passt das nur bedingt: Neben dem Schalthebel steht zwar was von "designed in Detroit", doch gebaut werden die Charger in Kanada. Dann also mit Bezug aufs 6,2-Liter-Herzstück? Das ginge natürlich – wenn der Kompressor-V8 aus Michigan käme. Kommt aber aus Saltillo, Mexiko.

Na gut, dann halt was zur Rauchgewohnheit des Charger, die völlig ausufern würde, wenn ein Päckchen Pirellis ein kleineres Logistikproblem wäre. Der Kerl qualmt trotzdem genug, dass man von einem halbwegs schwergewichtigen Suchtverhalten sprechen kann. Für die Überschrift dieses Artikels kehren wir jetzt mal unter den Teppich, dass Marlboros lange vor dem Cowboy eigentlich als Damenzigaretten vermarktet wurden. Egal, 1930 ist ja ewig her. Wollen Sie trotzdem wissen, was die Frauenfluppe ausmachte? Das Vorhandensein eines Filters.

Dodge Charger SRT Hellcat Widebody, Motor
Hans-Dieter Seufert
Der silberne Kompressor hat einen eigenen Kühlkreislauf mit zwei Ladeluftkühlern.

Da der Charger SRT Hellcat Widebody mit seiner Saugrohreinspritzung keine filterwürdigen Ottopartikel produziert, darf er fast unzensiert aus seinen wohldimensionierten Endrohren musizieren. "Fast" deshalb, weil der offizielle Dodge-Importeur AEC gleich am Hafen von Antwerpen noch eine hier zulassungsfähige Abgasanlage einbaut (ab Kat). Die Papiere im Handschuhfach sind vom TÜV Österreich, im Fahrzeugschein steht was von X-Pipe und Absorptionsdämpfern. Passt.

Martialisch auf FSK-18-Niveau

Im Kofferraum liegt unter dem Ladeboden neben der Batterie ein kleines Steuergerät für das Auspuffsystem von Grail Automotive aus Rheinböllen, das die Auspuffklappen anweist. Der Kaltstart des V8 ist trotzdem erschütternd brutal, eher martialisch. Und das Vorführen geht sogar per Doppelklick auf den Fernstartknopf am Schlüssel: Zunächst brüllt der Charger, dann das Publikum.

Für die ohnehin wackelige Sozialverträglichkeit des Dodge ist das natürlich nicht gut, obwohl mit guter Kenntnis der Klappenakustik wohl auch ein sanfterer Kaltstart möglich sein soll, sagt AEC. Ob’s klappt? Hätte ich probiert, wäre es mir eingefallen, bevor der Wagen wieder weg war. Sorry. Der Move sollte jedenfalls sitzen, sonst wird man in der Nachbarschaft erst zum Gesprächsthema und dann zum -partner. Wobei Automenschen ein wohlgesinntes Interesse am Dodge haben. Und da kann man unfassbar viel mit dem immer gleichen Fazit erzählen: Die Amis sind einfach unheimlich cool drauf, wenn es um Entertainment geht.

Dodge Charger SRT Hellcat Widebody, Schlüssel
Hans-Dieter Seufert
Der rote Schlüssel gibt 717 statt 500 PS frei, der „Panic“-Knopf löst ein Hupkonzert mit Licht-Show aus.

Das drückt sich auch in unternehmenskulturellen Dingen aus. Wissen Sie, was ein S54 B32HP, EA888 oder MA1/75 ist? Motoren aus dem BMW M3 CSL (E46), VW Golf GTI und Porsche 911 GT3. Bei den Amerikanern hat Chevy mit LS-irgendwas ein ähnliches Namensschema. In Ford-Motorräumen stecken hingegen Voodoo, Coyote, Apache, Predator oder Aluminator. Bei Dodge? Da gab es mal FirePower oder Magnum, aber die meisten heißen Hemi, das 717-PS-Monstrum ist ein Hemi Hellcat. Je nach Leistungsstufe wird daraus Demon (851 PS) oder Hellephant (1.000 PS). Höllenkatze. Dämon. Höllenelefant. Wie hießen die deutschen Motoren gleich noch?

Und es gibt zig weitere Aspekte, bei denen die Amerikaner uns zeigen, wie Lässigkeit funktioniert. In Werbungen brennen die Dodge-SRT-Modelle (Street and Racing Technology) fast grundsätzlich quer über die Straßen oder vernichten Reifen beim Geradeausfahren. In einer Werbung zum Charger SRT Hellcat Widebody verraten sie dabei als Zusatzinfo etwa die Felgenbreite inklusive Reifengröße, Kurvenhaftung und Speed-Index. Dazu die Größe der Bremsanlage und wie breit der Widebody mit den Kotflügelanbauten ist (plus 9 cm).

Dann ist da dieser eine Spot, dem zufolge wohl niemand je in seinem 470-PS-Charger-R/T sitzt und sich denkt: "Oh Mann, hätte ich doch den Passat genommen." Eine Werbung noch: die vom Dodge-Händler, in der zwei Polizisten – einer davon ein animierter Affe – einen Kerl zusammenfalten, weil der ein Croissant in seinem Charger isst. Eine Schande für den Dodge, darin ein solches Etepetete-Gebäck zu mampfen! Twinkies wären gegangen. Die Ausreden des Fahrers? Will der Affe nicht hören: "Erzähl’s dem Richter, mon Chéri!"

Die Amerikaner werben nicht nur humorvoller, sondern übertreffen den Rest der Welt im Regelfall immer dann, wenn "bigger is better" in möglichst absurdem Ausmaß tatsächlich gilt. Aber wir Deutsche mischen da schon mit, denn herrlich bekloppte Ideen sind uns ja nun nicht fern: Immerhin reißen wir fürs Marketing wilde Rundenzeiten auf der Nordschleife und bauen 600-plus-PS-Kombis. Nur ist dieser Charger Hellcat eben völlig unverblümt noch viel wahnsinniger: wenig Croissant-Finesse, mehr Bill Laimbeer!

Dodge Charger SRT Hellcat Widebody, Exterieur
Hans-Dieter Seufert
Mit der Burn-out-App gelingen spektakuläre Rauchzeichen.

BMW M5 und AMG E 63 haben etwa Modi, um die Vorderachse vom Antrieb abzuknipsen, wenn es mal qualmen soll. Der Dodge malträtiert die Gummis per Hinterradantrieb einfach permanent – da raucht es teilweise sogar mit vollständig aktivierter Traktionskontrolle. Wie schon beim Mustang gibt es auch eine Burn-out-Software, die nur die Vorderradbremse hält. Das nennt sich "Line Lock" und geht so: Bremsdruck per Pedal setzen, "OK" auf dem Lenkrad gedrückt halten und Gas geben – "OK" loslassen, sobald die gewünschte Menge Abrieb in der Luft schwebt. Jetzt das Gegenlenken nicht vergessen, sonst landet die Nummer in einer der Hellcat-Crash-Compilations auf YouTube, von denen eine neun Minuten geht.

Ich bitte um Entschuldigung

Für die Qualmfotos war der Modus jedenfalls sachdienlich – Nachtbilder haben wir jetzt auch genug, also ab auf Erprobungsfahrt. Schon bald fernab von Wohngebieten, dann aber mit der vollen Dröhnung: Auspuff per Tempomatknopf auf laut, Fenster etwas runter, dann neben den Felswänden richtig aufs Krachpedal. Das ist ein derart extremes Erlebnis, dass meine Entschuldigung an dieser Stelle vor allem Bambi und Co. gilt, die vom Weltuntergang ausgegangen sein müssen: schwermetalliger V8-Sound, Donnerwetter-Abgasradau und dazu dämonisches Kompressorgeheule aus der silbernen Jukebox.

Kurven kann er übrigens überraschend gut. So sportlich wie etwa ein AMG E 63 S fährt er zwar lange nicht, aber ein Sofa ist er mit seinen Bilstein-Adaptivdämpfern auch nicht. Im Lenkrad kommen zwar hauptsächlich Fahrbahn- und wenig Lastinformationen an, aber wenn du daran drehst, reagiert der Aufbau ohne Wankerei zeitnah. Und vor allem hat er ringsum 305/35 ZR 20. Ringsum! Durchs Werk rollt er auf anderen Rädern, weil er mit den fetten Walzen nicht aufs Band passt.

Damit zerrt er hin und wieder in Richtung Längsfugen, doch im Gegenzug gibt’s dafür derart viel Grip, dass Untersteuern im Straßenverkehr so gut wie nie ein Thema ist. Übersteuern hingegen schon – ständig. Weil der Radstand so lang ist, wie ein Basketballkorb hoch hängt (3,05 m), bleibt zwar genügend Reaktionszeit übrig, wenn das Heck kommt. Doch während der V8 aus niedrigen Drehzahlen extrem souverän durchzieht, eskaliert die Kraft obenrum fast so verzögerungsfrei wie bei Elektromotoren. Da gilt es am Kurvenausgang, feinfühlig zu dosieren, was man will.

Dodge Charger SRT Hellcat Widebody, Exterieur
Hans-Dieter Seufert
Die Dämonenfratze auf dem hyperaktiven Kompressor, dem Grill und den Kotflügeln ist unbedingt auch als Warnung zu verstehen.

Die Dämonenfratze auf dem hyperaktiven Kompressor, dem Grill und den Kotflügeln ist somit unbedingt auch als Warnung zu verstehen. Zum Beispiel passt’s für einen ordentlichen, aber nicht komplett wilden Burn-out eigentlich ganz gut, wenn du die Bremse löst, sobald Rauch im Rückspiegel zu sehen ist. Mit der Höllenkatze nebelt allerdings zeitgleich schon die Kabine zu. Ja, das hätte man bei dem Drehmoment ahnen können. Hab ich aber nicht drüber nachgedacht.

Die Hockenheimring-Tauglichkeit der Reifen schwebt jetzt als Rauchwolke in der Luft: super gemacht, Hellmanzik! Auf der anderen Seite vielleicht ganz gut so, denn obwohl die Brembo-Bremsen gut zupacken, schütten die Erbauer in Kanada DOT3-Bremsflüssigkeit mit viel zu niedrigem Siedepunkt ins System. Laut Handbuch möge man für die Rennstrecke bitte auf temperaturfesteres DOT4 umrüsten, das hier jeder Kleinwagen verwendet.

Melting Pot: Ami auf der Bahn

Na ja, kümmern wir uns um ohnehin praxisnähere Dinge: Packt er die 322 km/h, die im Schein stehen? Würde ich so sagen. Auf einem freien Autobahnstück gingen 300 unter etwas erhöhten Lenkradvibrationen ganz locker. Steil bergauf. Aber nur mit dem roten Schlüssel, sonst hängst du im 500-PS-Modus fest. Mit 8,6 Sekunden von 100 auf 200 km/h ist er im 717-PS-Programm genau im Bereich der 600 bis 612 PS starken Kombis AMG E 63 S, Audi RS 6 und Alpina B5 unterwegs, die kaum leichter oder sogar schwerer sind als der längere Charger.

Dass die rund 100 Extra-PS des Dodge dabei nur wenig ausmachen, scheint an einer bauartbedingten Grenze zu liegen, die nur mit noch viel mehr Leistung zu überwinden ist. Zumindest steht in unserer Datenbank ein Brabus Rocket 900 (Basis S-Klasse, 900-PS-V12) von 2016 mit 7,7 Sekunden – also auch nicht so viel schneller. Der Supersportwagen McLaren 720S hat bei uns den absoluten Fabelwert von 4,6 Sekunden gepackt.

Beim Standardsprint hat der Charger gegen die Allrad-Kombis keine Chance. Das ist vorhersehbar und völlig egal: Die Muscle-Limo macht aus der Nullhundert-Nummer ein Ereignis mit richtig Traktionsdrama. Das Erlebnis steht da weit über der Zahlenschlacht, wobei auch noch Daten mit Unterhaltungsfaktor übrig sind: Der V8 muss bei 6.000 Touren 80 PS aufwenden, um den Kompressor des Herstellers IHI America über den Riementrieb zu befeuern. Das ist für den 6,2-Liter ein gutes Geschäft, immerhin mussten die Testzellen im Chrysler Technical Center (das CTC ist in Detroit) verbessert werden, weil sie für die nötige Luftmenge und Power der V8-Kompressor-Kombination nicht gerüstet waren: Bis zum Upgrade konnte die SRT-Truppe den Hellcat-Hemi nur bis rund 600 PS testen.

Dodge Charger SRT Hellcat Widebody, Abgasanlage
Hans-Dieter Seufert
Grail Automotive aus Rheinböllen verbaut ein kleines Steuergerät, das die Auspuffklappen anweist.

Abseits dieser völlig abgefahrenen Werte und der Power-Eskapaden bleibt trotzdem noch der Alltag. Solange du bei geschlossenen Klappen sanft fährst, tönt der V8-Beat innerorts bei meist unter 1.500/min verhalten. Im Radau-Programm geht dezent nur mit höchster Maßarbeit: Zwei, drei Millimeter zu weit am Gaspedal reichen, dann lenkt der Schlitten mit dem basslastigen Achtzylinder inklusive Harley-Knatternote die Aufmerksamkeit auf sich. Und nach weiteren zwei Millimetern Pedalweg rückt die lokale Auto-Poser-Soko sofort mit Blaulicht aus.

Da geht es uns wie früher den Pistons: Wenn der Schiri pfeift, bist du machtlos. Die Lösung? Die diktiert in der Stadt der Anstand. Und wenn weitab vom Schuss dann kein selbst ernannter Hilfs-Schiri mit Instant-Replay-Gerät zuguckt, schickt man den inneren Bill Laimbeer mal aufs Feld – als Undercover-Bad-Boy sozusagen.