Als hätte der neue Aventador S die Götter erzürnt: der Wind peitscht, das Mittelmeer ist völlig durchwühlt, es schüttet. Freundlich formuliert: Nicht die optimalen Bedingungen, um haarklein herauszufahren, wie, ob oder wann genau sich die Leistungssteigerung um 40 auf 740 PS bemerkbar macht.
Markerschütternder Sound im Lamborghini Avantador S
Und auch die Aussage, dass in den Hochregionen des Drehzahlspektrums nun ein Tick mehr Drehmoment anliege als zuvor, wird sich hier und heute nicht hieb- und stichfest nachweisen lassen. Doch Sie werden lachen, darauf kommt es auch gar nicht an. Denn die eigentliche Innovation am Aventador S hat weder mit seinem aufgeputschten V12 zutun noch mit seiner – im Rahmen der Möglichkeiten – dramatisierten Optik, auch wenn seine Kritiker gern behaupten, dass er ja aus nichts anderem bestehe. Um die eigentliche Innovation aufzuspüren, machen wir uns auf ins Hinterland – dort soll das Wetter besser sein. Wollen wir? Schutzklappe hoch – die Reminiszenz an Kampfjets bleibt – Startknopf drücken: Booooaaahhrr! Der 6,5-Liter-Sauger detoniert statt wie bislang nur zu zünden, grollt finsterer beim Hochdrehen und salutiert Lastwechsel mit Kanonenschlagsalven aus der Abgasanlage, die sogar das Kohlefasermoncoque im Mark erschüttern. Stilrichtung? Halleluja in einer Death-Metal-Version.
Schnellere Schaltung
Zweiter, dritter Gang. Die Schaltpausen sind kürzer geworden, die Übergänge harmonischer – meint man zu glauben. Wir schwimmen im Verkehr von Valencia Richtung Westen, schwimmen im Wortsinn. Der Wischer hetzt, die eigens für ihn abgemischten Pirellis suhlen sich in den überschwemmten Spurrillen, der Allrad darf nur mit Bruchteilen der 690 Newtonmeter jonglieren, sodass der Mittelmotor vor chronischer Unterforderung immer wieder die Hälfte seiner Zylinder ausknipst.
Zeit ein bisschen rumzusuchen nach Neuigkeiten im Innenraum. Das Infotainment macht immer noch keinen Hehl daraus, dass es von Marken-Amme Audi stammt, obgleich man da für die Zukunft an einer anderen, eigenständigeren Lösung arbeite – heißt es. Das digitale Instrumenten-Panel changiert je nach Fahrmodus fortan seinen Look: von Drehzahlmesser-fokussiert im Strada-Programm bis extrem Drehzahlmesser-fokussiert in „Corsa“. Und wie bisher hockt man ein bisschen sehr weit unterm Dach, auf Sitzen, die einem die Lehne seltsam in den Rücken wölben, aber das sind first world problems wie man so schön sagt.
Ego-Mode statt Eco-Modus
Wichtigste Neuerung: der Ego-Mode. Nein, nicht Eco, was ja naheläge in diesen Tagen, sondern tatsächlich „Ego“ wie „Ich“. Dahinter verbirgt sich zwar nichts anderes als ein Setzkasten für die diversen Adaptivfunktionen, wie es ihn mittlerweile in jedem x-beliebigen Golf zu kaufen gibt, für den Aventador ändert der jedoch viel. Bisher konnte er nur entweder und oder. Jetzt lassen sich Lenkung, Dämpfung und Antrieb jeweils dreistufig und vollflexibel zusammenpuzzeln. Und nur falls Sie mal in die Verlegenheit kommen sollten, ich empfehle: Fahrwerk soft, Lenkung Mittel, Antrieb wild.
Und so keilen sich die 1575 Kilo (Trockengewicht) dann in die Sierra-Sonstwie. Das Pushrod-Fahrwerk wurde detailoptimiert und um die aus dem Superveloce bekannten adaptiven Dämpfer ergänzt. Sie arbeiten modusabhängig, aber völlig unabhängig voneinander, filtern grobe Stöße heraus, weichen den Fahrbahnkontakt aber keineswegs auf. Endeffekt: Mehr Ruhe im Sturm. Und die schadet nicht.
Respekteinflößende Längsdynamik
Regen und Wind sind inzwischen abgeebbt, oder abgehängt, ganz wie Sie mögen. Immer wieder nehmen waghalsige Smartphone-Paparazzi die Verfolgung auf, kriechen einem bis unter den Diffusor, wenn man sich in den Ortschaften per Noselift über einen dieser speed-bumps hieven muss, werden dann aber recht schnell und recht endgültig ausgefadet. Eine Gerade und sie sind zu einem Pixel im Rückspiegel atomisiert, eine weitere und der Aventador S hat Minimum zwei Reisebusse, ein holländisches Gespann und drei Mietbratschen zwischen sich und seinen Verfolger gebracht. Verfolger in Anführungszeichen.
Der bestialische Schub ist kein neues Gefühl, aber immer noch ein unfassbar großartiges. Wie einem der Sauger bei der leisesten Gasberührung in den Nacken springt, wie er hochwütet bis 8500/min, immer hysterischer plärrt, immer diabolischer schiebt, und wie er dann kurz zusammenzuckt, wenn ihm das automatisierte Siebenganggetriebe den nächsten Gang in die Eingeweide rammt — einfach der blanke Wahnsinn. Oder sachlich ausgedrückt: 2,9 Sekunden auf 100, 8,8 auf 200. Extrem zügig!
Lamborghini Aventador S deutlich kurvenwilliger
Doch wie gesagt: Die S-Version des Aventador offenbart sich weniger geradeaus, sondern vielmehr beim Einlenken. Und je engmaschiger der Straßenverlauf, desto mehr. Insbesondere auf Passstraßen wirkte das 9,8-Quadratmeter-Monstrum bislang immer eher ungelenkig. Die Vorderachse sträubte sich, der lange Radstand verkantete in Kehren. An seinen weitläufigen Ausmaßen hat sich zwar nichts geändert, nur fühlen sie sich nun ungleich kompakter an. Das Geheimnis? Die Hinterachslenkung. Sie arbeitet im Low-Speed-Bereich gegen-, bei höherem Tempo gleichsinnig. Sprich: in engen Ecken wird ein kürzerer Radstand simuliert — ein um einen halben Meter kürzerer Radstand, sagt Lamborghini; auf der Autobahn verlängere er sich virtuell gar um 700 mm. Die Folgen sind spürbar mehr Ruhe beim Spurwechsel – Sie wissen ja: Länge läuft – und eine ungleich höhere Agilität. Statt zu verkrampfen, windet er sich regelrecht ins Eck, braucht weniger Lenkeinschlag für mehr Winkel und erleichtert einem dadurch nicht nur das Ausreizen der enormen Querstabilität, sondern auch das Reagieren, wenn sich das Heck doch mal aus der Umklammerung des Allradantriebs löst.