Kia EV9: So fährt der Elektro-Riese von Kia

Kia EV9
Unterwegs im neuen Elektro-Riesen von Kia

Auf EV6 folgt EV9, ein über fünf Meter langer Elektro-SUV mit rund 500 Kilometern Reichweite. Das sollte locker für eine erste Ausfahrt im 283 kW starken Topmodell reichen, oder?

So wirklich dufte sind berührungsempfindliche Oberflächen als Bedienelement eher selten. Zudem sehen sie meist wegen der Fingerabdrücke aus wie eine Verbrecherkartei. Doch die sechs Hauptmenü-Felder, die sich im Kia EV9 in einer wertig wirkenden Zierleiste in Holzoptik verbergen, beeindrucken. Ja, sicher, rein subjektiv. Geht ja aber auch nur um eben sechs Menüs, haptische Rückmeldung gibt’s obendrein. Ansonsten nutzt der stattliche SUV viele klassische Tasten, im Lenkrad beispielsweise. Die Bedienlogik selbst unterscheidet sich nicht wesentlich von anderen modernen Kia, ergänzt um eine dauerpräsente Klimaregelung. Jedenfalls erschließen sich die Grundfunktionen intuitiv, na ja, abgesehen vom ganz links am Fahrstufen-Wählhebel, also dicht an der Lenksäule versteckten Startknopf. Und warum die Taste für die Lenkradheizung in der Türverkleidung steckt? Wer weiß das schon so genau.

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Egal. Los geht’s. Hier in seiner Heimat Südkorea scheint der EV9 drumherum alles erledigen zu wollen: Korrekt die Richtung weisen (bis hin zur farblichen Kennzeichnung der Spuren, die mal blau, mal pink angemalt sind – also in echt), auf Geschwindigkeitskontrollen hinzuweisen (auf Autobahnen liegt das Limit bei 100 km/h), gelegentlich die Streckenmaut zu bezahlen (was jedes Mal eine entsprechende Ansage quittiert) sowie eifrig dabei zu assistieren, Spuren zu wechseln und den Abstand einzuhalten. Klingt nervig? Och, geht so. Über die Stimme des Navis bist du durchaus froh, wenn die Koreanisch-Kenntnisse, nun, ein wenig eingerostet sind. Könnte man aber auch abstellen. Womöglich auch das Maut-Gebimmel, aber sicher ist sicher.

Für jeden Hinweis dankbar

Und die Assistenzsysteme? Na, wer weiß, welche Summen sich im Bußgeldkatalog des Landes verstecken. Daher nimmst du die Hinweise auf Blitzer gerne an. Der Spurwechselassistent funktioniert leidlich zuverlässig, die Geschwindigkeitsregelanlage sehr gut, weshalb letztere gerne aktiv bleiben darf. Das schafft etwas Spielraum, sich näher mit dem EV9 als solchem zu beschäftigen, zumal auch die Reichweite kein Grund zur Sorge darstellt: über 480 km bei einem Akkufüllstand von 86 Prozent. Nach WLTP soll die hier gefahrene Allrad-Variante mit zwei Motoren und 283 kW Leistung 497 km weit kommen, wenngleich mit der 19-Zoll-Basisbereifung. Der Testwagen rollt auf 285/45 R21 rundum – eine beachtliche Größe, die zu dem 5,01 Meter langen SUV passt. In dessen weitläufigen Innenraum hilft eine Art Gegensprechanlage, die sonst in Großraumlimousinen wie der Mercedes V-Klasse oder dem VW Multivan steckt, bei der Verständigung zwischen Sitzreihe eins, zwei und drei. Wobei – eigentlich herrscht hier drin angenehme Ruhe.

Sicher, auch das liegt unter anderem am geringen Tempo, doch selbst bei tollkühnem Ignorieren der Vorschriften auf den vorbildlich ausgebauten Autobahnen schwellen weder Wind- noch Abrollgeräusche auf ein ungebührliches Niveau an. Da haderst du schon eher mal mit deiner Sitzposition, denn dem Lenkrad fehlen ein, zwei Zentimeter Verstellweite in Längsrichtung, dem Sitz selbst mangelt es an Oberschenkelauflage. Ansonsten verräumt der EV9 Fahrer und Passagiere angemessen hoch, als Fahrer registrierst du noch die stimmige Position zum Instrumententräger, den du ebenso gut überblicken kannst wie das vordere Ende des Kia. Die fehlende Oberschenkelauflage übrigens gibt’s erst in der bequemen Halb-Liegeposition durch eine elektrisch ausfahrbare Stütze unterhalb der Sitzfläche, doch das darf nur in Pausen genutzt werden. Ja, richtig, in Ladepausen beispielsweise, doch die fallen auf der Route heute nicht an.

Pause? Nur kurz!

Lange dauern sollten sie ohnehin nicht, denn auch der EV9 nutzt die aus diversen Modellen des Hyundai-Konzerns, zu dem die Marke Kia gehört, bekannte 800 Volttechniken. Und die hat unter Testbedingungen bislang immer zu überschaubaren Ladezeiten. Im großen SUV jedoch gilt es, einen 99,8 kWh Akku zu füllen. Wie lange das dauert? Unklar. Einzige Werksangabe derzeit: in 15 Minuten soll wieder Energie für weitere 239 Kilometer Fahrt geladen sein. Die kann übrigens durchaus flott vonstattengehen, denn mit seinem System-Drehmoment von 700 Nm (bei optionaler Boost-Funktion, sonst 600 Nm) soll das Trumm in 5,3 Sekunden von null auf 100 km/h sprinten. In diesem Fall also: Autobahntempo. Hierzulande dürfen es durchaus auch mal 200 km/h sein, das gesteht Kia dem EV9 zu. Spätestens dann wünschst du dir eine Lenkung, die etwas mehr Rückmeldung und weniger Handmoment aufweist. Dafür wirkt der Lenkwinkelaufbau natürlich, die Übersetzung angenehm direkt. Vielleicht liegt es aber auch an der Korea-Spezifikation des Testwagens.

Und die Fahrwerksabstimmung? Die eher konventionelle Konstruktion mit MacPherson-Federbeinen vorne und Fünflenker-Hinterachse ohne adaptive Stoßdämpfer oder Luftfederung, kommt mit den meisten Unebenheiten gut zurecht. Kein Wunder auf der Autobahn, oder? Vielleicht, doch selbst auf etwas vernachlässigten Sträßchen im Landesinneren, dort, wo Navi und Mautpiepser wenig zu tun bekommen, verarbeitet das Fahrwerk kleinere Schlaglöcher und Bodenwellen zuverlässig. Einzig bei fiesen Kratern und kurzen, hohe Wellen passt das Ansprechverhalten nicht mehr. Was allerdings immer passt: Die Aufbaukontrolle, also die Karosseriebewegungen, denn die bleiben immer auf einem verträglichen Niveau. Das gilt auch, wenn du Traktion und Kraft des EV9 in hohe Kurventempi übersetzen möchtest.

Nur keine Eile

Große Wellen der Fahrfreude schwappen dabei jedoch nicht durch den Innenraum (Radstand: 3,10 Meter!), hier drückt das Fahrzeuggewicht auf die Laune: Leer rund 2,5 Tonnen. Dazu kommen noch bis zu sieben Passagiere, beim Sechssitzer wuchtige Einzelsitze in Reihe zwei (die lassen sich sogar um 180 Grad drehen, womit der SUV nahe an den Van heranrückt). Und der Kofferraum? 828 Liter bei zusammengefalteter dritter Sitzreihe, bis Fensterunterkante beladen. Ach ja: 2,5 Tonnen Anhängelast. Bei der einmotorigen Variante (150 kW, Heckantrieb, 541 km WLTP-Reichweite) bleiben nur 950 kg.

Ungeachtet der Dimensionen und Masse ließe sich bestimmt mit aufwändigerer Technik mehr Dynamik erzielen. Nur: Braucht’s das? Vor allem treibt es den Preis in die Höhe, was nicht recht zur Marke passt. Gut, als E-Auto dürfte der EV9 den Verbrenner-Sorento – den soll er mittelfristig beerben – deutlich überbieten, genaues weiß man aber beim Importeur noch nicht. In den Niederlanden jedenfalls kostet die First Edition mit Heckantrieb rund 71.500 Euro – inklusive Steuern. Das klingt durchaus fair für einen SUV dieser Größe, der Ausstattungsumfang fällt sicher nicht zu gering aus, die Qualität scheint ebenfalls zu stimmen, nicht nur die der berührungsempfindlichen Holzleiste. Und am Ende fragt das Navi, ob man mit der Routenführung zufrieden gewesen sei. Wie nett.

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Fazit

Auch wenn die Preise noch nicht feststehen: Mit dem EV9 bringt Kia sein bislang teuerstes Modell. Dafür bekommen die Käufer einen ebenso großen wie geräumigen SUV mit angenehmen Reisekomfort, voraussichtlich ordentlicher Reichweite und kurzen Ladezeiten, einen kräftigen Antrieb (in der Allradversion), viel Nutzwert (Ablagen, Anhängelast), aber auch kleinen Schwächen bei Ergonomie und Lenkung.