In Anbetracht seines federleichten, hemmungslos motorisierten und entsprechend hyperagilen Vorgängers klingt die Kernbotschaft zum McLaren 750S fast wie eine Drohung: Der Weiterdreh des 720ers sei nämlich – nehmen Sie besser Platz – "even more engaging to drive!" Zu Deutsch: Er fahre noch fesselnder als bisher, was eigentlich unvorstellbar ist.
Doch McLaren ist anders, tickt anders. Das zeigt sich nicht nur in der immer bemerkenswerter werdenden Tatsache, dass sich Woking weiterhin als gallisches Dorf dem anhaltenden SUV-Vormarsch entgegenstellt, sondern vor allem auch darin, dass die britische Sportwagen-Bäckerei Dinge möglich macht, die inzwischen gemeinhin als unmöglich gelten. Die Rede ist von…? Genau, von Leichtbau! Von echtem, von substanziellem Leichtbau.
Britische Sportwagenbäckerei
Bereits der 720S war das Fliegengewicht seiner Leistungsklasse. Mit Abstand! Jetzt hat man den Output des bekannten Vierliter-Biturbo-V8 um 30 auf 750 PS und um 30 auf 800 Nm hochgeschraubt, was ja die Vermutung nahelegt, dass man im 750 ein paar Extrapfunde kaschieren musste. Tatsächlich jedoch ist das genaue Gegenteil der Fall. Kaum zu glauben? Aber wahr! Während anderswo die Negativrekorde nur so purzeln, haut die britische Sportwagenbäckerei einfach mal einen der leichtesten Serien-McLaren aller Zeiten raus – und das anno 2023! Sagenhafte 30 Kilogramm hat man mittels Innenausstattung, Verglasung, einem neuen Schmiederadsatz und allerlei Detailarbeit aus dem an sich schon ziemlich ausgemergelten Kerlchen gekratzt. Nach DIN wiegt der 750S damit nur noch 1.389 Kilogramm – also praktisch genauso viel wie jener als Sensation gefierte, im Vergleich aber geradezu putzig motorisierte Porsche 911 S/T.
Beim Blick aufs Leistungsgewicht ist jedenfalls klar: Die Nummer mit dem "engaging" ist deren voller Ernst: 1.852 Kilogramm pro PS – Kammerflimmern! Wobei sich – die Nachfrage hat den Kreislauf dann doch wieder stabilisiert – dieser Zugewinn an Engagement nicht primär aufs Fahren am Limit beziehe. Vielmehr habe man versucht, den Thrill auch in Bereichen herauszukitzeln, in denen man als Fahrer nicht ums nackte Überleben kämpfen muss. Sprich: die Faszination des 750S prägt sich im Alltag nun stärker aus. Und besonders faszinierend ist dabei schon mal die Tatsache, dass einem nun weniger auf den Wecker geht.
Kiwi-Button?
Das hochformatige Infotainment-Screen ist trotz geglätteter Menüstruktur und verbesserter Grafik zwar noch immer nicht der Weisheit letzter Schluss, lässt sich nun aber via Car Play umgehen. Der optionale Noselift arbeitet ab sofort bedeutend schneller. Außerdem entfällt die umständliche Zwei-Stufen-Aktivierung der Modi für Handling und Antrieb: Die Regler sind nicht mehr an einen Aktivierungsschalter gekoppelt und sitzen in Form zweier großer Kippschalter links und rechts am oberen Rahmen eines neuen Instrumentenmonitors. Der wiederum ist wie im Artura jetzt ein Teil der Lenksäule, lässt sich also gemeinsam mit dem Lenkrad verstellen, aber – schade – nicht mehr wie im Vorgänger zugunsten einer schmalen Anzeige beiseite falten. Dafür ist ein Schnellwahl-Taster für die Lieblings-Konfiguration an Bord. Ein Langdruck auf den Kiwi-Button und pieps sind die aktuellen Fahrdynamikeinstellungen für später vorgemerkt. Kiwi-Button? Ja, Kiwi. Nicht das Obst, sondern der Vogel. Schnackelt’s? Firmengründer Bruce McLaren war Neuseeländer. Wappentier und so.
Umso klarer: die Botschaft der Sitze. Tief montierte Lederschalen mit Durchreichen für die optionalen Sechspunktgurte, wahlweise in hauteng oder "wide" für breitere Staturen, aber generell eher packend als bequem – als Standardausstattung! Dicker gepolsterte Komfortsitze mit elektrischer Verstellung sind gegen Aufpreis zu haben, ebenso wie die nochmals leichteren Performance-Sitze, die die enorme Intensität des Erlebnisses vielleicht am besten transportieren.
Höhere Spontaneität
Im Zentrum dessen steht der neu interpretierte Sportmodus. Als Mittelweg zwischen dem gedämpften Comfort- und dem zugespitzten Track-Programm angelegt, ist er die Bühne für den Auftritt des herausgekitzelten Engagements. Hauptdarsteller: Abgasanlage und Getriebe. Erstere ist natürlich leichter als zuvor und lässt nun keine Gaswechselgelegenheit mehr aus, um das Fauch-Gezischel des Turbomotors mit Gegurgel und Geböller zu unter- oder besser gesagt zu übermalen. Und der Doppelkuppler rappt den verschärften Rhythmus munter mit. Der siebte (und letzte) Gang wurde zugunsten einer höheren Spontaneität bei Highspeed kürzer übersetzt, die Gangwechsel sind derber, ruckvoller – engaging eben.
Die spezielle McLaren-Note geht aber weiterhin von der Lenkung aus. In Internas überarbeitetet, packt das voll hydraulische System den 750S nun noch fester am Kragen, zirkelt ihn dank der gerafften Anbindung mit weniger Lenkwinkel aber ungebrochener Präzision um Kurven. Zusammen mit dem taifunartig hereinbrechenden Schub entsteht dann ein Gefühlsmix irgendwo zwischen Kolibri und Düsenjäger: einerseits filigran, andererseits unfassbar brachial.
7,2 Sekunden bis Tempo 200
Das einzige Problem dabei: Die zivile Welt ist eigentlich zu eng für das irre Potenzial, dem Rennstreckenhandling wiederum nicht jedermann gewachsen – zumindest bisher. Allerdings betont McLaren, dass sich das nachgefeilte Engagement auch in einer optimierten Performance niederschlagen würde, die man mitunter auch per besserer Kontrollierbarkeit erreiche – Detailarbeit in Dämpfer-Hydraulik, und einer optimierten Abstimmungsbalance sei Dank.
Dennoch ist das Erste, was dir auf dem ehemaligen F1-Kurs in Estoril durch den Kopf schießt: die Power. Durch die Leistungsspritze und das verringerte Gegengewicht wurden die Beschleunigungswerte nochmal leicht gedrückt. Laut Werksangabe pfeilt der 750S in 7,2 Sekunden auf 200. Zur Einordnung: ein 911 Turbo S braucht für dasselbe Kunststück über anderthalb Sekunden länger. Noch beeindruckender als die Dezimalzahlen, sind jedoch jene, die sich nun im Tachodisplay überschlagen. Wer die lange Parabolika gut erwischt, knackt auf der langen Zielgeraden die 290er-Marke!
245er-Vorderreifen
Kurz schlucken, dann voll drauf aufs straffe Bremspedal und rein ins Getümmel. Dank der geweiteten Spur nimmt die Vorderachse Kurvenverläufe einerseits fester in die Zange, hat der Fliehkraft andererseits aber nach wie vor nur 245er-Vorderreifen entgegenzusetzen. Folge: Ein leichter, wenngleich konstanter Druck ins Untersteuern, der angesichts der Grundbrisanz aber ein ganz angenehmes Übel ist. Und: kein notwendiges, schließlich genügt eine Gasfußbewegung und das Fahrverhalten dreht sich ins Gegenteil. Bei Bedarf auch: ins krasse Gegenteil.
Selbst mit den optionalen Trackreifen vom Typ Pirelli Trofeo R ist der Punch stets größer als der Grip der Hinterräder. Will heißen: Spätestens beim Rausbeschleunigen ist Gefühl gefragt – das gilt grundsätzlich und hier in Estoril erst recht, da einige Kurven einfach nicht mehr gerade werden wollen. Aber genau da, in diesen ekligen Passagen, zeigt sich der Fortschritt am deutlichsten. Im Gegensatz zum hibbeligen 720 lässt sich der 750 nun auf der Kante zwischen den Extremen halten. Sicher, ganz trivial ist der Balanceakt noch immer nicht, insbesondere wenn man auch hier einen 911 als Maßstab nimmt.
Bei 280.000 Euro geht’s los
Mit der Variable Drift Control stellt einem der 750S aber eine reizende Assistentin zur Seite, mit der sich das Handling in Wunschform pressen lässt – 15 stufig, von gefesselt bis entfesselt. Die züchtigen Stellungen packen Wildwuchs in der Fahrdynamik bei der Wurzel, regeln die Leistung frühzeitig zurück, sodass man sich auf hohem Geschwindigkeitsniveau, aber schon recht gegängelt um den Kurs bewegt. Im letzten Drittel des Einstellungsspektrums öffnet sich das Arbeitsfenster dann Richtung Optimum: Man bekommt genügend Spielraum für produktives Powersliding, weiß andererseits aber um den Rettungsanker, der schließlich die mentale Basis bildet, um selbst mit vollem Engagement dabei zu sein.
Wenn Herausforderung und Talent richtig ausgemittelt sind, ist das Spektakel jedenfalls ein gigantisches – leider aber auch dementsprechend eingepreist. 280.000 Euro kostet das Coupé, 308.000 der Spider, der dank der hohen Grundsteifigket lediglich 49 Kilogramm schwerer wiegt! Natürlich sind die stolzen Zahlen auch nur die jeweilige Spitze langer Aufpreislisten, deren Spektrum vom Carbon-Unterboden bis zur Track-Bremse mit Monoblock-Sätteln reicht und sich mit Sonderwünschen bis ins Beliebige ausbauen lässt. Ja, der finanzielle Rahmen wirkt wie ein anderer Orbit, und doch fühlt man sich zu der abschließenden Aussage hingerissen, dass das Erlebnis weit abgehobener ist als sein Preis.
Fazit
Der 720S war ein Sportwagen der Superlative, den der 750S in allen Punkten übertrifft. Mehr Leistung, bessere Kontrolle, stärker ausgeprägte Emotionalität, höhere Alltagskompetenz. Einfach: Wow! Kerngröße bleibt aber das sensationell niedrige, nochmals reduzierte Gewicht, das aus dem atemberaubenden Fahrgefühl am Ende auch ein einzigartiges macht.