Es gibt diese Momente, diese Prüfungen, diese Aufgaben im Leben, bei denen alles passen muss. Meisterprüfung, Abschlussarbeit – diese Kaliber. Bei Mercedes war eine dieser Aufgaben bei allem Fokus auf die Elektromobilität die Entwicklung des neuen GLC mit dem Baureihencode X254. Der kommt erstmal recht traditionell als mildhybridisierter Benziner und Diesel sowie als Plug-in-Hybrid ums Eck, soll es aber trotzdem möglichst jedem recht machen – so wie bisher eben, denn kein Mercedes war in den letzten Jahren erfolgreicher.
Dementsprechend erwartet uns hier kein aufmüpfiger Radikalo, der das Segment umkrempeln möchte, sondern eine Neuauflage, die es den überaus zahlreichen Kunden noch etwas mehr recht machen möchte. Und das gelingt ihm, sobald man mit dem luftgefederten Testwagen das erste Mal ein Schlagloch anvisiert. Komfort? Und wie! Das Ansprechen auf kurzen Wellen bleibt Luftfeder-typisch etwas spröde, aber alles andere überschwebt der GLC in einer beeindruckenden Gelassenheit.
Ruhige Fahrt dank Akustikverglasung
Dabei bleibt er mit der optionalen Akustikverglasung auch ausgesprochen ruhig. Die Neunstufenautomatik schaltet gewohnt sanft und schnell und harmoniert bestens mit dem Zweiliter-Diesel des GLC 220 d, der mit schön nutzbarem Dauerdruck zwischen 1.800 und 4.000 Umdrehungen aufwartet. Zwar kann auch der Diesel bei aller Akustik-Finesse sein Arbeitsprinzip nie ganz verbergen, ist dabei aber nicht aufdringlicher als die Benziner, die sich vor allem bei hoher Leistungsabfrage akustisch stärker bemerkbar machen. Auffällig: Die Automatik wirkt mit den erst ab etwa 2.500 Umdrehungen wirklich zupackenden Benzinern etwas behäbig, gerade was das Herunterschalten angeht. Zwar bieten die Benziner spürbare Vorteile bei der Spitzenleistung, wirken aber mit ihrem später anliegenden Drehmoment und der obenraus recht prägnanten Akustik nicht so souverän wie der Diesel.
Vorerst wird der GLC nur als 200er und 300er-Benziner (204 und 258 PS) sowie als 220-Diesel (194 PS) angeboten. Ein 300 d folgt ebenso wie drei Plug-in-Hybride. Zwei von ihnen – GLC 300 e und 400 e kombinieren den E-Motor mit einem Benziner, was eine Systemleistung von 313 (300 e) bzw. 381 PS (400 e) ergibt. Auf der anderen Seite ist da noch der Diesel-Hybrid mit 335 PS Systemleistung, der mit seinen beiden drehmomentstarken Antrieben gut mit dem SUV harmoniert. Unter dem Kofferraumboden sitzt bei allen drei Varianten ein 31,2 Kilowattstunden-Akku, der außergewöhnliche Reichweiten zwischen 112 und 130 Kilometern nach WLTP und einer Schnellladeleistung von 60 kW ermöglicht. Damit soll der Akku in einer halben Stunde vollgeladen sein und der Plug-in-Hybrid auch ohne Förderung eine attraktive Alternative für GLC-Kunden bleiben.
Die neue Generation streckt sich um zusätzliche 60 Millimeter in die Länge und wiegt je nach Antrieb rund 150 Kilogramm mehr als der Vorgänger. Eine gewisse Drehmomentwucht ist daher nicht nur gut für das Souveränitätsgefühl, sondern durchaus nötig. Auch, um bis zu 2.500 Kilogramm schwere Anhänger (PHEV: 2.000 Kilogramm, Benziner: 2.400 Kilogramm) zu ziehen. Neben einem Rangierassistenten soll eine neue Gespannroutenplanung das Anhängerziehen entspannter machen. Je nach Anhängertyp, -größe und -gewicht berücksichtigt das Navi Steigungen und Kurvenradien bei der Routenplanung.
Neue Dynamik
Abseits klassischer SUV-Tugenden zeigt der Allradler eine neue Seite: Die Lenkung agiert um die Mittellage angenehm entspannt, wird ab etwa 45 Grad Lenkwinkel aber auffällig direkt, dank stets passendem Handmoment aber nicht zu spitz. Die optionale Hinterradlenkung unterstützt mit bis zu 4,5 Grad Lenkwinkel und verkleinert den Wendekreis um 0,9 auf 10,9 Meter. Und wer jetzt denkt, dass die Fuhre hilflos der motivierten Lenkung hinterher in die Kurve torkelt, unterschätzt das Luftfahrwerk mit Adaptivdämpfern. Das wehrt sich im Sportmodus nämlich nach Kräften gegen die Seitenneigung und gibt dem GLC so ein durchaus dynamisches Einlenkverhalten. Klar, das ESP hat hier mehr Sicherheit als Dynamik im Sinn und fängt den GLC meist schon vor der Haftgrenze sanft und sicher ein.
Fortschritte vermeldet Mercedes auch auf losem Untergrund, weswegen der GLC auf im Offroad-Parkour ran muss. Das optionale Offroad-Paket bietet 20 Millimeter mehr Bodenfreiheit und einen Unterfahrschutz. Klar, der GLC ist kein richtiger Offroader. Weder Differenzialsperren noch Untersetzung helfen ihm im Gelände weiter. Trotzdem lässt die Anti-Schlupf-Regelung im Gelände im Offroad-Modus beeindruckende Dinge zu. So hebt sich der GLC dank Luftfahrwerk erst um 50 Millimeter an, um sich dann über fiese Verwerfungen, Abhänge hinab und steilste Anstiege hinauf zu wühlen. Dabei muss jedoch stets ein gewisses Vertrauen in die Systeme vorhanden sein. Die brauchen immer kurz, um die passende Regelung für Untergrund und Hindernis zu finden. Dementsprechend: Auf dem Gas bleiben! Hangabwärts geht es dann mit einer Bergabfahrhilfe, deren Tempo sich einstellen lässt. Neu ist dabei ein Modus der 360-Grad-Kamera, der sich "transparente Motorhaube" nennt. Hier wird aus mehreren Kamerabildern ein zusammenhängendes Bild des Untergrunds kreiert, das zusammen mit animierten Rädern genau zeigt, wo sich die Vorderräder gerade befinden und was beispielsweise hinter eine Kuppe lauert.
Vernetzt, aber nicht überall Premium
Dabei stützen die Sitze in einem gesunden Maße gegen Querkräfte, aber auch gegen reichlich Schräglage im Offroad-Parkour, ohne den Komfort zu vernachlässigen. Vieles im Cockpit ist bereits aus der C-Klasse bekannt, so auch die nicht an allen Stellen premiumwürdige Materialqualität. Auch beim GLC umschließt Hartplastik die Lenksäule und größere Teile der Türen. Zwischen dem Mittelarmlehnenpolster und der darunter liegenden Plastikverkleidung klafft zudem ein deutlicher Spalt. Die optionale Bekunstlederung von Türoberflächen und Armaturenbrett verhindert noch mehr Interieur-Plastik.
Dafür gefallen die gestochen scharfen Displays, selbst die Bedienung des Touchscreens fällt dank großer Flächen und der sehr flachen Menüstruktur relativ leicht. Weniger gelungen sind dagegen die Berührfelder am Lenkrad zur Steuerung von Medien, Tempomat und den beiden Screens. Zum einen aktiviert man sie oft ungewollt, zum anderen ist die Dosierung einzelner Befehle eine fummelige Angelegenheit. Zwar ist das hier gezeigte AMG-Lenkrad eine Option, aber das serienmäßige Dreispeichen-Lenkrad kombiniert die Felder noch enger. Eine Reihe weiter hinten fehlt es hingegen an nichts. Viel Knie- wie Kopffreiheit und eine äußerst angenehme Sitzposition sorgen für Gemütlichkeit.
Massiver Preissprung
Auch der Kofferraum profitiert von den gewachsenen Ausmaßen und bietet nun 70 Liter mehr Volumen, eine dreiteilig klappbare Lehne, einen ebenen Ladeboden und ein üppiges Fach unter dem Ladeboden. Bei den PHEVs sinkt das Volumen auf 460 Liter. Störender als das ist aber die zur Ladekante hin abfallende Ladefläche, die Kleinkram leicht aus dem Kofferraum purzeln lässt. Aber ganz so mir-nichts-dir-nichts will Mercedes die neue Generation nun auch nicht zur SUV-hungrigen Kundschaft schicken. Der GLC 220 d startet bei 60.238 Euro und kommt damit immense 11.000 Euro teurer als der letzte GLC 220 d der Vorgängergeneration, der Mitte 2021 gegen den Markenbruder GLB im Test antrat. Okay, man besserte die sonst so knauserige Serienausstattung spürbar auf. Große Displays, MBUX, elektrische Sitze, kabelloses Laden, alles schon dabei. Trotzdem sitzt man zu diesem Preis auf Sitzen mit Stoffmittelbahn und hat noch kaum Fahrassistenz an Bord geschweige denn Extras wie das Luftfahrwerk oder die Hinterachslenkung.
Eine deutlich striktere Paketbindung räumt in der einst gewaltigen Preisliste auf, verhindert aber auch maßgeschneiderte Konfigurationen. Eigentlich passt alles beim neuen GLC: Karosserie, Platzangebot, die vorzügliche Abstimmung von Fahrwerk, Lenkung und Akustik sowie die gelungenen Antriebe, inklusive der hochflexiblen Plug-in-Hybride, die auch ohne Förderung veritable Argumente auf ihrer Seite haben. Und doch wirkt er unter dem Erfolgsdruck nicht nur technisch gewachsen, sondern preislich auch ein wenig abgehoben.
Fazit
Der GLC muss und kann es wieder allen Recht machen. Antrieb, Fahrwerk und Interieur harmonieren hervorragend und stellen die Klassenbenchmark beim Komfort. Dynamik kann er nun auch, nur scheint sich die neue Mercedes-Luxus-Strategie schon in der Preisgestaltung des Topsellers bemerkbar zu machen.