Vor 22 Jahren gab der Mercedes Sprinter den Startschuss für eine grundlegende Umgestaltung bei den leichten Nutzfahrzeugen. Aus den ehemals behäbigen und supersimpel aufgebauten Modellen wurden nach und nach aerodynamische, flotte und immer komfortablere Geräte.
Ähnlich wie damals, als Mercedes mit dem Sprinter (und vor allem den kräftigen CDI-Motoren) den Transportermarkt revolutionierte, soll nun die dritte Generation erneut Maßstäbe setzen. Bei der Einführung des neuen Mercedes Sprinter geht es in erster Linie um die voll vernetzte neue Datenwelt. Die Nutzfahrzeugsparte Mercedes-Vans möchte sich vom Fahrzeughersteller zum Diensteanbieter wandeln und den Kunden komplette Mobilitätslösungen verkaufen.
Optisch bleibt sich der Sprinter erstaunlich treu. Während im Wettbewerb, siehe zum Beispiel Fiat Ducato, durchaus keckes Design gewagt wird, bleibt der Mercedes Sprinter schwäbisch-konservativ. Mit den nun wieder schmaleren Frontleuchten näher er sich sogar wieder der ersten Ur-Version an, zitiert aber auch mit dem vorgeschürzten Kühlergrill und der stark betonten Motorhaubenkante zu den Kotflügeln klar das Design der aktuellen V-Klasse
Mercedes Sprinter ab 2019 auch elektrisch
Die noch aktuelle Sprinter-Baureihe W 906 debütierte 2006 und bekam 2013 eine umfangreiche Modellpflege. Die neue dritte Generation kommt nun vom Start weg in zahlreichen Varianten. Bis zu 1.700 verschiedene Konfigurationen hinsichtlich Aufbauformen, Größen und Motoren hat Mercedes für das neue Modell errechnet. Sie reichen vom Fahrgestell mit Zweisitzerkabine bis hin zum 20sitzigen Bus mit langem Radstand und Hochdach. Speziell für die bestuhlten Kastenwagen hat Mercedes mit dem "Easy-Mounting"-System eine Technik entwickelt, die es auch Einzelpersonen erlauben soll, Sitze bei Bedarf aus- und wieder einzubauen.
2019 kommt mit dem komplett elektrifizierten E-Sprinter nach dem Vorbild des eVito der zweite Stromer ins Nutzfahrzeug-Programm. Der eSprinter, der als Kastenwagen mit Hochdach als 3,5-Tonner angeboten wird, trägt einen Elektromotor, der 84 kW und 300 Nm leistet und den Sprinter maximal 120 km/h schnell macht. Zwei Batterieoptionen werden verfügbar sein. Mit 41 kWh großen Akku soll der eSprinter bis zu 115 km weit kommen können. Das 55 kWh-Batteriepaket ermöglicht bis zu 150 km Reichweite, kostet ab 140 kg Nutzlast. Die Ladedauer liegt je nach Ladeleistung zwischen 45 Minuten und bis zu 8 Stunden.
Zuvor machen aber die konventionellen Modelle auf sich aufmerksam. Neu ist die zusätzliche Variante eines Frontrieblers zu den bekannten Heckantrieb- und Allradmodellen. Der Frontantrieb ermöglicht immerhin 50 Kilo mehr Nutzlast sowie eine um acht Zentimeter niedrigere Ladekante. Sehr wichtig ist der Fronttriebler außerdem für Aufbauhersteller, vor allem aus der Wohnmobilbranche. Ebenfalls neu: Die schweren Fünftonner-Modelle können künftig auch mit Single-Bereifung an der Hinterachse geordert werden.
Sechs Varianten, fünf Motoren
Der neue Sprinter wird in sechs verschiedenen Karosserievarianten angeboten. Dazu gehören der Kastenwagen, der Tourer, der Pritschenwagen und Fahrgestelle mit Einzel- oder Doppelkabine sowie in einigen Regionen der Sprinter Bus und der "Triebkopf", ein Vorderteil des Frontantriebs-Sprinter speziell für Reisemobilhersteller, die an das "autarke" Vorderteil ab der Sitzlehne einen eigenen Rahmen mit Aufbau anflanschen.
Getriebeseitig kommt bei den Frontantriebsvarianten (3,0-4,1 to.) wahlweise ein Sechsgang-Schaltgetriebe oder eine neunstufige Wandlerautomatik zum Einsatz. In den schwereren Heckantriebs- und Allradversionen (3,0 bis 5,5 to.) ist die 7G-Tronic-Automatik optional. Motorisiert wird der Sprinter als Standard vom 2,1-Liter-Diesel in drei Leistungsstufen von 114 bis 163 PS, den Frontantriebssprinter gibt es außerdem exklusiv für Reisemobile auch noch mit 177 PS. Topmotorisierung bleibt – einzigartig in diesem Segment – der Dreiliter-V6-Diesel mit 190 PS. Die Motoren verfügen über SCR-Kats und Harnstoffeinspritzung.
Entsprechend zum Äußeren wurde auch das Cockpit komplett neu gestaltet. Zentrales Element ist optional ein großer Bildschirm für das MBUX-System, der sich die Fläche mit zwei Lüftungsdüsen teilt. Über diesen Screen wird der Sprinter mit dem Internet und modernsten Telematiklösungen vernetzt. Ein einfacheres Flotten-Controlling und die optimierte Kommunikation zwischen Flottenmanager und Fahrer gehören zu den Innovationen, die den Arbeitsalltag leichter und effizienter machen. Natürlich verbirgt sich hier auch das moderne Infotainmentsystem.
Das neue Dreispeichenlenkrad mit Pkw-Anmutung trägt zahlreiche Bedienelemente. Zwischen den Rundinstrumenten im Kombiinstrument sitzt eine weitere große Digitalanzeige. Die optionale elektrische Sitzverstellung wird aus den Pkw-Modellen übernommen, von dort kennt man die hervorragend bedienbare Einstellung mit dem stilisierten Sitz in der Türverkleidung. Beim Handschalter-Sprinter sitzt der Schalthebel auf der Armaturentafel. Die Automatik-Varianten werden über einen Lenkstockhebel oder sogar sportwagenmäßig mit Schaltpaddeln hinter dem Lenkrad bedient.
Auffällig und enorm wichtig für ein Nutzfahrzeug sind die zahlreichen und zum Teil sehr großformatigen Ablagen und Staufächer. So finden sich im Cockpit diverse offene und geschlossene Ablagefächer, im Sitzkasten der wahlweisen Beifahrer-Doppelsitzbank lassen sich großvolumige Objekte unterbringen. Neu ist weiterhin eine schlüssellose Bedienung mit Startknopf und eine optionale elektrisch betätigte Feststellbremse.
Dazu passend wird bei den Assistenzsystemen nachgerüstet. So gibt es im Sprinter künftig einen aktiven Abstands-Assistenten (Distronic) für den Tempomat, Premiere in diesem Segment, dazu einen Brems- sowie einen Spurhalte-Assistent. Die Distronic kann bis zum Stillstand automatisch auf Abstand zum Vordermann bleiben, aktivieren lässt sie sich bereits bei einem Tempo von 20 km/h – wichtig im innerstädtischen Betrieb. Der bereits vom Vorgänger bekannte Seitenwind-Assistent ist serienmäßig an Bord. Für entschärfte Parkmanöver kann man den Sprinter in mehreren Stufen aufrüsten. Neben der Standard-Rückfahrkamera mit Parksensoren gibt es ein erweitertes Paket mit 360-Grad-Rundumblick und Vogelperspektiven-Darstellung. Automatisch einparken wie von modernen Pkw bekannt ist jedoch auch weiterhin nicht möglich.
Die 50.000 Euro-Marke ist schnell erreicht
Für den Fahrtermin gab es einen Sprinter-Kastenwagen mit reichlich Sonderausstattung, die bei pragmatisch rechnenden Handwerkern und Spediteuren vermutlich nicht all zu oft auf dem Einkaufszettel stehen dürfte. In Verbindung mit dem Heckantrieb und dem zweitstärksten Motor (316 CDI, 163 PS) kein ganz günstiges Vergnügen, zum Basispreis von rund 45.000 Euro addieren sich mit den diversen aufpreispflichtigen Assistenzsystemen, dem MBUX-System sowie dem 7-Gang-Automatikgetriebe weitere rund 10.000 Euro.
Die Belohnung dafür ist ein sehr wohnliches Umfeld im Fahrerhaus, das kaum noch an einen nüchternen Transporter erinnert. Schlüsselloses Starten, das hochmoderne Infotainmentsystem und das Multifunktionslenkrad aus den Mercedes Pkw-Baureihen schaffen vielmehr ein vertrautes Ambiente. Und auch beim Fahrgefühl hat der neue Sprinter viel von der Nutzfahrzeug-Romantik früherer Generationen eingebüßt. Die gut definierte Lenkung und das sanft sowie akkurat schaltende Automatikgetriebe lassen die Dimension des mittellangen (5,9 Meter) Kastenwagen sofort vergessen.
Der laufruhige und ausreichend kräftig agierende Vierzylinder-Diesel trägt seinen Teil zum Pkw-Fahrgefühl bei, sowohl im dichten Großstadtverkehr als auch auf Fernstraßen benimmt sich der Transporter lammfromm. Etwas gewöhnungsbedürftig arbeitet der Spurhalteassistent (535 Euro extra) mit einseitigem Bremseingriff, der deutlich spürbar agiert, sobald eine Fahrbahnmarkierung zu nahe kommt. Die Geräuschdämmung ist insgesamt sehr gut gelungen, dass der Fahrtwind speziell bei hohem Tempo deutlich wahrnehmbar ist, lässt sich bei einem solchen Riesenkasten kaum vermeiden.
Digitalisierung im Sprinter
Mit der neuen Digitalstrategie setzt Mercedes beim Sprinter auf zwei Aspekte. Zum Einen soll die komplette Vernetzung besonders Flottenbetreibern eine viel effektivere Möglichkeit bei Disposition und Wartung bieten, da alle Fahrzeug- und Positionsdaten in Echtzeit abgerufen und verwaltet werden können. Mercedes hat dazu das Pro Connect getaufte System mit acht Paketen mit zentralen flotten-, fahrzeug-, fahrer- und standortbasierten Diensten eingeführt. Dazu zählen beispielsweise Fahrzeugstatus, Fahrzeuglogistik, Wartungs- und Reparaturmanagement oder ein digitales Fahrtenbuch. Genutzt werden die neuen Dienste unter anderem mit dem völlig neuen MBUX Multimediasystem über ein bis zu 10,25-Zoll großes HD-Display, eine Touchscreen-Steuerung und Sprachbedienung. Das MBUX-System hatte Mercedes zum ersten Mal in der neuen A-Klasse vorgestellt.
Die Aufrüstfähigkeit des neuen Sprinter bietet noch weitere Highlights, die man bislang nur aus den Luxus-Pkw der Marke kannte. Neben dem voll bestückten griffigen Multifunktionslenkrad ist das vor allem die Integration von MBUX. Das hochmoderne Multimediasystem mit dem sehr breitformatigen und hochaufgelösten Bildschirm offeriert nicht nur einen hohen Funktionsumfang, sondern auch ein Sprachassistenzsystem, wie man es bereits von Smartphones und sogenannten Smart-Speakern aus dem Heimbereich kennt: Auf ein Stichwort – Standardmäßig: "Hey, Mercedes!" – lauscht das MBUX-System auf Befehle. Die müssen nicht mehr "computerverständlich" sein, sondern können ganz einfach in lockerer Plauderei erfolgen. Der für Menschen ziemlich eindeutige, für bisherige Sprachsteuerung in Pkw jedoch völlig unverständliche Satz "Ich habe Hunger!" führt nun beispielsweise dazu, dass Restaurants in der Umgebung aufgelistet und mit einer kurzen Geste als Navigationsziel angesteuert werden können.
Ein wichtiger Bestandteil vor allem für Kunden, die hochwertige Varianten wählen, ist außerdem das erstmals erhältliche Voll-LED-Licht für die Hauptscheinwerfer. Als Basisausstattung leuchten auch weiterhin Halogenscheinwerfer.
Verkaufsstart, Preis
Die europaweite Auslieferung des neuen Sprinter läuft seit dem Frühsommer. Der Preis beginnt bei 19.900 Euro zuzüglich Umsatzsteuer für das frontgetriebene Basismodell mit 114-PS-Diesel – und zwar das Fahrgestell mit Einzelkabine und kurzem Radstand. Bei den Kastenwagen und Kombis ("Tourer") wird aktuell erst beim mittleren Radstand gestartet. Der verblechte Kasten kostet als 114-PS-Fronttriebler mindestens 34.900 Euro, für das Topmodell mit 190-PS-Sechszylinder müssen je nach Gewichtsklasse zwischen rund 51.900 und rund 61.100 Euro investiert werden, jeweils einschließlich Mehrwertsteuer. Zusätzlich gibt es noch das Sondermodell "Worker", wo der Einstieg bereits bei 25.800 Euro beginnt.
Auch beim verglasten Bus (Tourer) gibt es eine Sonderedition zum Marktstart, sie nennt sich "Crew". Ab 33.500 Euro geht es hier los. Die Standardvarianten des Tourer in der mittleren Länge bewegen sich zwischen rund 42.600 und rund 54.000 Euro.