Erprobung Porsche Cayenne E3.II: Erste Ausfahrt

Porsche Cayenne E3.II
Auf Erprobungsfahrt im Cayenne-Prototyp

Bis 2029 muss die aktuelle Generation des Porsche Cayenne durchhalten, weshalb im kommenden Frühjahr eine tiefgreifende Modellpflege ansteht. Wie tief? Bis ins Fahrwerk. Ob sich das erfahren lässt? Ausprobieren!

Die Suche dauert nie lang. Ganz schnell schießen Begriffe wie "Gewicht!", "Größe!", "und überhaupt!" durch den Raum, wenn Porsche-Fans über die großen Baureihen im Allgemeinen, den Cayenne im Speziellen diskutieren. Nur um ihn dann am Ende doch vor den Trailer zu spannen, auf dem der festgezurrte 911 GT3 zum nächsten Trackday gezogen wird. In den USA läuft das etwas unverkrampfter ab. Jedenfalls mischt sich auf dem Pacific Coast Highway westlich von Los Angeles ein schlicht-silberner 914 unter die Kolonne von fünf leicht getarnten, schwarzen Cayenne Baureihencode E3.II plus Begleitfahrzeuge. Mal überholt er, mal lässt er überholen, offenbar ein Vater-und-Sohn-Ausflug. Hochgereckte Daumen, einige flugs mit dem Mobiltelefon geschossene Fotos – dann biegt die Karawane an der 76-Tankstelle in Richtung Topanga State Park ab.

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Der Cayenne E-Hybrid rollte bis hierher vorwiegend elektrisch, soll das künftig sogar bis um die 100 statt aktuell 56 Kilometer weit können, denn die Kapazität des Akkus beträgt nun 25,9 statt 17,9 kWh. Ebenso wichtig: Das Zusammenspiel des Dreiliter-V6-Turbobenziners und des E-Motors (jetzt 130 statt 100 kW; Systemleistung 470 statt 462 PS) geht deutlich geschmeidiger vonstatten. Letzterer verkneift sich jegliche Störgeräusche, ruckt nur noch selten – und selbst das soll bis zum Verkaufsstart erledigt sein. Auch die 21-Zoll-Räder rollen angenehm ruhig über die sehr mäßig gepflegten Straßen, das Chassis fahrwerkt still vor sich hin. Der Radumfang beträgt in Abhängigkeit von der Reifenbreite nun durchschnittlich 790 statt 760 mm durch größere Flanken, was dem Abrollkomfort guttut.

Porsche Cayenne 2023 Abnahmefahrt
Porsche
Künftig bietet Porsche drei Plug-in-Hybrid-Varianten an, zusätzlich ein Vierzylinder-PHEV für China.

Soft- und Hardware bleiben

Christoph Kern auf dem Beifahrersitz achtet darauf ebenfalls, "schließlich sind wir hier bei einer kundennahen Erprobung", sagt der Fachreferent Elektrik. Zwar nutzt der modellgepflegte Cayenne die aktuelle Hard- und Software, da die bereits "hinsichtlich der CPU- und RAM-Leistung auf den neuesten Stand gebracht wurde", doch das Interieur unter den Tarnlappen präsentiert sich komplett neu, orientiert sich am Taycan (12,65-Curved-Fahrer- und 10,9-Zoll-Beifahrer-Display). "Darauf ist sogar Video-Streaming möglich, entspricht hier aber noch nicht dem allerletzten Stand", sagt Kern. Eine spezielle Folie auf dem Monitor verhindert übrigens, dass der Fahrer mitguckt.

Was ist noch neu? Getriebe-Wählhebelchen im 911-Design rechts am Fahrerdisplay, daher flächiges Touch-Bedienfeld für die Klimaautomatik auf der Mittelkonsole. Derweil schwankt die Akku-Temperaturanzeige im linken der drei virtuellen Rundinstrumente ein bisschen hektisch zwischen 34 und 35 Grad, die dazugehörige Balkenanzeige ebenfalls. "Das passt noch nicht, da ist außerdem der Mittenbereich nicht eindeutig", weiß der Entwickler. Was bietet das Infotainment noch? Induktives Laden des Mobiltelefons mit 15 statt fünf Watt – in einer von der Klimaautomatik gekühlten Schale in der Mittelkonsole. Dazu: 61-Watt-USB-Schnittstellen, mit denen sich Laptops laden lassen. Das Wellness-Induktions-Laden jedenfalls funktioniert. Jetzt aber: Bergstraßen, viele Kurven. Passend dazu der Umstieg zu Dirk Lersch, Teamleiter Prototypen-Aufbau und -Erprobung Cayenne.

Cayenne Nee-T

Er sitzt in einem Coupé Turbo GT, dem derzeitigen Rekordhalter für die schnellste SUV-Runde auf der Nürburgring-Nordschleife. Doch die modellgepflegte Variante findet in Europa keinen Einlass mehr in die Preisliste. "Nach derzeitigem Stand lässt sich die Homologation aufgrund der zu erwartenden Stückzahlen betriebswirtschaftlich nicht mehr darstellen", sagt Lersch. Denn: Auch wenn keine neue Abgasnorm zu erfüllen ist, müssen die Hersteller eine Effizienzsteigerung bei den Behörden angeben – selbst bei einem Facelift.

Porsche Cayenne 2023 Abnahmefahrt
Porsche
Unter den Lappen: 12,65-Zoll-Curved-Display, 12,3 Zoll in der Mitte, 10,9 Zoll für den Beifahrer.

Sehr bedauerlich, denn der nun 660 statt 640 PS starke SUV wirbelt mit außergewöhnlicher Handlichkeit sogar durch enge Kehren, grippt gerade an der Vorderachse, mit der Beharrlichkeit eines Finanzbeamten, posaunt dazu Vau-achtig aus den beiden Endrohren. Unterdessen fühlst du dich hinterm Lenkrad wie in einem Tourenwagen, der in einem sehr frühen Entwicklungsstadium in den Zaubertrank gefallen ist. Klar, die radikalen Pirelli-Reifen helfen beim Turbo GT, reißen es alleine aber nicht raus. "Die Steuerung des Allradantriebs ist nun in den Fahrdynamikmanager integriert, das ermöglicht eine schnellere und präzisere Kraftverteilung", erklärt Lersch.

Überdies profitieren alle Cayenne-Varianten von umfangreichen Fahrwerksmodifikationen: So zählen nun adaptive Dämpfer, die Druck- und Zugstufe getrennt regeln können, zum Serienumfang. Das wiederum ermöglicht eine weniger komplexe Luftfederung, die mit zwei statt drei Kammern auskommt. Warum? Weil ein Teil der Federraten bereits von den Dämpfern abgedeckt wird. Im Verbund mit den im Aufbau modifizierten Reifen ermöglicht das eine größere Spreizung zwischen Komfort und Agilität. In den zahlreichen sehr unebenen Wechselkurven verblüffen vor allem die hohe Stabilität des Aufbaus sowie die gewohnt detaillierte Rückmeldung der Lenkung, die ein sehr ausgeprägtes Sicherheitsgefühl vermitteln – der dicke Brocken bleibt immer auf der ihm zugewiesenen Fahrbahnseite, auch wenn es mal etwas flotter dahingeht.

Porsche Cayenne 2023 Abnahmefahrt
Porsche
In den kalifornischen Hügeln finden sich nette Straßen, um die US-spezifischen Prototypen des Cayenne ein wenig zu fordern.

Das gilt mit leichten Abstrichen genauso für den Cayenne S, doch der überrascht erst einmal. Mit was? Mit Motorklang: breitflächig, tief donnernd, unter Last ein wenig hämmernd. Da zeigt sich auch David beeindruckt, der mit seinem Porsche 356 in den Bergen zum Konvoi dazustößt, beim nächsten Stopp begeistert fragt, ob das hier wirklich Porsche-Mitarbeiter seien. Der Amerikaner ist aus dem Häuschen, fotografiert die Truppe vor seinem Klassiker. "Meine Frau fährt Cayenne, ein tolles Auto. Und ich liebe den 356er, den habe ich mir zur Rente geschenkt." David verschwindet vierzylinderboxernd, der Cayenne S bollert wieder. Da wird doch nicht etwa? Doch, da steckt nun ein V8-Motor drin, der 2,9-Liter-V6 fliegt raus. Leistung: 475 statt 440 PS. Dennoch erfordert der S mehr Konzentration, beginnt deutlich früher zu untersteuern, dazu kommt ein stumpfes Bremspedalgefühl.

Fischen Impossible

Den Druckpunkt zu finden, hat eher etwas von Im-Trüben-Fischen. "Zunächst mal haben nur noch der Basis-V6 und der Turbo GT einen Unterdruck-Bremskraftverstärker, alle anderen einen eBKV der zweiten Generation", sagt Martin Werner, Projektleiter Fahrwerk und Antrieb. "Das alleine ist aber nicht die Erklärung für das unbefriedigende Pedalgefühl. Die Beläge spielen auch eine Rolle, die hier sind für Märkte, in denen die Geräuschentwicklung oberste Priorität hat. Da müssen wir noch mal ran." Im Übrigen ist auch der montierte Reifentyp für Märkte wie die USA gedacht, wo die Kunden extrem hohe Laufleistungen absoluter Performance vorziehen.

Porsche Cayenne 2023 Abnahmefahrt
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Natürlich zählt auch Stadtverkehr zum Bestandteil der Erprobungsfahrten – anspruchsvoll für den Kühlkreislauf.

Wie auch immer: Der S fetzt. Und zwar so sehr, dass im Display eine Warnmeldung aufleuchtet, die einen Fahrwerksfehler verkündet und zum Stopp auffordert. Das geht mit deutlichen Aufbaubewegungen einher, da die Elektronik im Notfall auf die softeste Kennlinie umstellt. Jedenfalls passt irgendwas mit den Höhenstandswerten der Dämpfer bei extremer Beanspruchung nicht – ein Software-Thema, gleich behoben. "Es wäre fatal, täten sich jetzt noch größere Baustellen auf", sagt Modellreihenleiter Stefan Fegg. Die Produktion soll im Frühjahr starten. Man liege mit der Entwicklung im Plan, ergänzt Fegg und lädt zur Fahrt im Basis-V6 ein.

Der wirkt im direkten Vergleich natürlich etwas betulicher, wobei sich der Unterschied auf einem Niveau bewegt, der irgendwo zwischen dem Erst- und Letztplatzierten bei den Weltmeisterschaften im Siebenkampf bewegt. Jedenfalls wirkt das Basismodell sehr ausgewogen, durchaus kraftvoll, lebendig, bei sich. Fegg plaudert unterdessen ein wenig über die Antriebe, warum es beim S zum Wechsel auf den V8 kam: "Wir wollten eben eine Leistungssteigerung, doch damit gelangte der V6 an seine Grenze, also haben wir rechtzeitig den V8 beantragt – und bekommen."

Die Evo-Variante des Vierliter-Aggregats dient als Basis für weitere Derivate (Turbo, GTS, das Spiel ist hinlänglich bekannt), ist sogar für EU7 vorbereitet. Schließlich muss der Cayenne mindestens bis 2029 durchhalten, weitere Überarbeitungen nicht ausgeschlossen. Dann kommt der elektrisch angetriebene Nachfolger. Und dann wird sicher wieder heftig diskutiert.

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Fazit

Nur ein bisschen Optik-Schnickschnack? Nicht nur. Ein neu eingerichtetes Interieur prägt den Cayenne , vor allem jedoch ein Fahrwerk, das einem deutlich mehr Federungskomfort bei schwindelerregender Agilität und absoluter Fahrsicherheit bietet. Und: Der V8-Motor kommt wieder, jetzt schon im S!