Praga. Nie gehört? Das liegt wahrscheinlich daran, dass die Firma eher bekannt ist für den Bau von Go-Karts, Lkw oder Crossmotorrädern, also Vehikeln, mit denen man normalerweise nicht täglich zu tun hat. Wobei Praga vor rund 100 Jahren mal der größte Autohersteller Tschechiens war. Solche Ambitionen haben sie in Prag zwar nicht mehr, aber sie wollen den schnellsten Sportwagen mit Straßenzulassung bauen. Wobei es nicht gilt, neue Topspeed-Rekorde zu knacken, sondern Rundenzeiten in den Asphalt zu stempeln, bei denen die bekannten Hypercar-Hersteller einpacken können. Beste Voraussetzung: Erfahrung aus dem Motorsport mit dem seit 2013 gebauten, reinrassigen Rennwagen Praga R1.
Kein Hybrid-Schnickschnack, sondern der V6-Biturbo mit 700 PS aus dem Nissan GT-R
Auf den ersten Blick sieht der Bohema ähnlich kompromisslos aus, wie der R1 und man kommt schnell ins Grübeln, wie das mit der Straßenzulassung klappen soll. Doch die Entwickler sind sich ihrer Sache sicher, haben doch schon Extremisten, wie der BAC Mono, die Plakette vom britischen TÜV bekommen. Und außerdem haben sie sich bei der Konstruktion an die strengen Europäischen Regularien gehalten, angefangen bei den Emissionen. Euro 6d sei kein Problem, sagt Projektleiter und Ingenieur Jan Martínek, auch ohne OPF. Dafür aber mit riesigen Kats, die ein Vielfaches derer kosten, die beim verbauten Aggregat gewöhnlich die Abgase filtern. Und das sollte den meisten Sportwagenfans bekannt sein: der VR38DETT genannte 3,8-Liter-V6-Biturbo aus dem Nissan GT-R. Stolz ist man bei Praga auf die Kooperation mit dem japanischen Auto-Giganten, der brandneue Serien-Exemplare der seit 2007 gebauten, standfesten und deshalb bei Tunern sehr beliebten Maschine nach Großbritannien liefert, wo sie bei den Spezialisten von Litchfield Engineering nur leicht modifiziert wird und auch einen neuen Namen bekommt: PL38DETT. Zu den Änderungen gehören neue Turbos und Ladeluftkühler sowie der Umbau auf Trockensumpfschmierung, sodass der Motor nun 14 Zentimeter flacher baut (Stichwort Schwerpunkt) und das mit der Ölversorgung auch bei extrem hohen Quer-Kräften funktioniert. Ergebnis: Ein moderates Leistungsplus im Vergleich zum GT-R Nismo auf 700 PS bei 6.800 Touren, und ein maximales Drehmoment von 725 Newtonmetern zwischen 3.000 und 6.000 Kurbelwellenumdrehungen.
900 kg Abtrieb bei weniger als 1.000 kg Gewicht
Doch beim Praga Bohema geht es nicht primär um Leistung und Tempo auf der Geraden – vergleichsweise mickrige 305 km/h sollen möglich sein – sondern Kurvenspeed ist die Devise des Hypersportwagens, der aussieht wie ein Le Mans-Prototyp. Im Zentrum des Mittelmotor-Renners steht ein Kohlefaser-Monocoque für zwei Personen mit allerlei Flügelwerk drumherum, das den Bohema auf die Straße pressen und saugen soll, sodass bei 250 km/h extreme 900 Kilogramm Abtrieb erzeugt werden – bei einem Fahrzeuggewicht von bloß 982 kg (inklusive aller Flüssigkeiten aber leerem 74-Liter-Tank). Das Thema Aerodynamik ging das kleine Ingenieursteam übrigens nicht bloß theoretisch mit allerlei Simulationen am Computer an, sondern man buchte einen Formel 1-Windkanal, optimierte die Karosserie unter "realen" Bedingungen, bekam Input von rennsporterfahrenen Experten.
Die Kraftübertragung auf die Hinterräder übernimmt ein sequenzielles Sechsgang-Getriebe von Hewland mit automatisch gesteuerter Kupplung, das man – wie sollte es auch anders sein – per Lenkradwippen schaltet. Und damit willkommen im Cockpit.
Zwei Liegeschalen und jede Menge geschickt untergebrachte Knöpfe
Doch in das muss man sich erst einmal hineinfädeln, zunächst auf den Seitenkasten setzen, die Beine voran durch die kleine Öffnung schieben, sich am Dach festhaltendend den Hintern hinterher. Und vorher nicht vergessen, das Lenkrad abzunehmen. Drinnen liegst du fast, in fixen Schalen, die in die Verkleidungsteile übergehen und dich perfekt umschließen. Das Bohema-Cockpit ist allerdings nichts für Klaustrophobiker und Zwei-Meter-Menschen. Die Ergonomie der schmalen Kanzel allerdings ist erstaunlich. Damit sich Fahrer und Beifahrer mit den Ellenbogen nicht ins Gehege kommen, ist der Sitz des Sozius leicht nach hinten versetzt. Die Lehne des Fahrersitzes kann man sogar um wenige Zentimeter steiler stellen, das Lenkrad ist in Höhe und Tiefe justierbar und die Pedalbox gleitet dir auf Knopfdruck entgegen oder du kannst sie mit den Füßen nach vorn schieben.
Wie in einem Flugzeug sind einige Tasten und Schalter im Dachhimmel untergebracht, zum Beispiel für die Steuerung der Außen- und Innenbeleuchtung sowie die Klimatisierung. Auch zwei Leselampen baut Praga in den Bohema. Oberhalb der Mittelkonsole sitzt einer von vier Luftausströmern, in den eine ausklappbare Smartphone-Halterung pfiffig integriert ist. Auf der Mittelkonsole findet man Knöpfe für Warnblinkanlage, Launch Control, Scheibenheizung und Parkbremse, unter den Türen sitzt die Steuereinheit für die Außenspiegel, die an ellenlangen Kohlefaserstegen, kurz hinter den vorderen Radkästen in der Luft stehen. Übersichtlichkeit? Erstaunlich gut. Und zur Not gibt’s eine Rückfahrkamera, die ihr Bild aufs Lenkraddisplay projiziert. Dort werden auch sämtliche Fahr- und Motordaten aufgelistet, mit Tasten drumherum, zum Beispiel für Blinker, Hupe oder die Scheibenwaschanlage und Drehrädchen für Scheibenwischer und Fahrmodi.
Kofferräume mit Maßgepäck in den Seitenkästen
Wie alle Hypercar-Hersteller, preist natürlich auch Praga die Straßentauglichkeit des Bohema und dass man mit ihm bequem zum Trackday fahren könne, statt ihn auf dem Hänger zu ziehen. Dafür habe man besonders auf die Geräuschemissionen im Cockpit geachtet und auf das Ansprechverhalten der rundum nach dem Pushrod-Prinzip, also liegend installierten Fahrwerkselemente mit adaptiven Dämpfern. Was den Bohema aber ganz besonders von vielen Hypercars unterscheidet, sind seine Kofferräume, die in den Seitenkästen untergebracht sind und je 50 Liter Volumen bieten. Das genügt für Helm, Handschuhe und zweimal Wechselgarnitur – schick verpackt im ledernen Maß-Koffer.
Slickreifen für schnellere Rundenzeiten
Apropos Maß: Der Bohema rollt auf vergleichsweise kleiner und schmaler Mischbereifung vom Typ P Zero Trofeo R aus dem Hause Pirelli (vorn: 245/40 ZR 18 97 Y; hinten: 305/30 ZR 19 102 Y). Warum? Weil es in dieser Dimension auch Michelin-Slicks gibt, die im GT3-Sport verwendet werden und mit denen man auf dem Rundkurs nochmal ein paar Sekündchen rausholen kann. Fehlt also bloß noch die Testfahrt, die wir leider auf nächstes Jahr vertagen müssen. Denn erstens regnet’s wie auf Kübeln und zweitens hat der Prototyp kein Kennzeichen. Doch die Vorfreude ist ja bekanntlich die schönste Freude.
Fazit
Noch so ein Hypercar aus irgendeiner Bastelbude – könnte man sagen. Doch Praga hat mit dem Bohema nicht nur einen extremen Supersportwagen mit vergleichsweise simpler und robuster Technik entwickelt, sondern auch einen, der bis ins kleinste Detail durchdacht ist, um ihn so alltagstauglich wie möglich zu machen. Obwohl er dem Konzept eines Renn-Prototypen folgt, wie man ihn aus der WEC kennt. In der engen Kanzel wurde jeder Zentimeter genutzt, um den Innenraum so ergonomisch und funktional wie möglich zu gestalten. Bleibt nur noch die Sache mit dem Preis: 1,28 Millionen Euro sind fällig. Ohne Steuern. Wenn Sie einen Bohema haben wollen, ist übrigens Eile geboten, denn es werden nur 89 Stück gebaut. Zumindest beim Thema Exklusivität macht’s Praga also wie alle anderen Hypercar-Hersteller auch.