Aiways, BYD, Lynk & Co, MG oder auch Nio und Great Wall Motor (GWM): Die Chinesen preschen auf den europäischen Markt. GWM kommt jetzt zunächst mit der Marke Wey nach Deutschland, später dann mit ihrer E-Auto-Marke Ora, über die wir beispielsweise im Sommer berichteten, weil sie in Europa ein Designpatent für einen Käfer-Abklatsch angemeldet haben.
Zumindest die Gesamterscheinung dieses Wey Coffee 01 wirkt nicht nach offensichtlicher Designkopie. Objektiv streckt er sich auf 4,87 Meter Außenlänge, womit er zwischen den typischen Maßen für Mittel- und Oberklasse-SUV liegt (Kia-Sorento-Format). Völlig aus der Reihe tanzt er mit seinem Hochvoltakku, der mit einer Kapazität von 39,7 kWh gut 8 kWh über dem schon außergewöhnlich großen Plug-in-Akku des Mercedes GLE 350 de liegt. Wey nennt eine WLTP-Elektroreichweite von 146 Kilometern, zudem soll über den DC-Ladeanschluss mit bis zu 50 kW geladen werden.
Doch auch abseits des Stromspeichers trägt der Coffee 01 einen besonderen Antriebsstrang: Im Motorraum steckt ein Miller-Zyklus-Turbobenziner plus Elektromotor und Neungang-Doppelkupplungsgetriebe, was bemerkenswert ist, weil der in China Mocca genannte SUV ein Planetengetriebe verwendet. Einzigartig ist jedoch die elektrische Hinterachse. Nicht das Konzept per se, denn etwa Stellantis-Plug-in-Modelle wie der Peugeot 3008 nutzen das Konzept eines solchen Allradsystems ohne mechanische Verbindung beider Antriebsachsen ebenso. Die Besonderheit bei Wey stellt das Zweigang-Getriebe des Hinterachsmotors dar.
Richtig Tempo im E-Modus
Die Vorteile sind ein stärkerer Durchzug sowie ein höheres Maximaltempo im E-Betrieb. Die Ingenieure berichten von mehr als 200 km/h, die darin bei recht sachter Beschleunigung möglich sein sollen. Für die Praxis relevanter ist der Nullhundertwert, den sie mit "gut sieben Sekunden" beziffern. Bis zum auto motor und sport-Test können wir zunächst nur festhalten, dass der 2,4-Tonner im E-Modus für einen PHEV tatsächlich auffällig zügig beschleunigt. Allerdings schmeißt die Software den Verbrenner auf dem letzten Bisschen des Fahrpedalwegs ungefragt an, damit im Zweifel für Überholvorgänge genug Vortrieb generiert wird: Eine sinnvolle Sicherheitsfunktion, die über einen (nicht vorhandenen) Kick-down-Knopf sauber getrennt werden könnte.
Für den mit Komponenten der GWM-Tochter Hycet zusammengestellten Antriebsstrang gibt Wey eine Systemleistung von 476 PS an – die Maximalleistung der Elektromotoren beträgt 120 und 135 kW, der Verbrenner leistet bis zu 204 PS. Die Eckdaten im Hybridmodus: 0 auf 100 km/h in 5,0 Sekunden, 235 km/h Vmax.
Im Sportmodus zieht der 01 bei Volllast nicht ganz auf dem Niveau durch, das das Systemdrehmoment von 847 Nm suggeriert. Schnell ist er aber definitiv, wenngleich der Hybridantrieb sich ab und an auch erstmal sortieren muss, wenn du aufs Fahrpedal latschst – dann wird die Leistung erst phasenweise freigegeben. Unproblematisch ist hingegen ein leerer Akku, denn der Verbrenner generiert trotzdem genügend Vortrieb, außerdem soll er im Allradmodus im Zweifel Energie in den Akku speisen, um die E-Hinterachse stets antreiben zu können.
Das Getriebe schaltet im Alltagsbetrieb meistens geschmeidig und oft sogar unmerklich – da fallen die manchmal leichten Rucke bei hoher Last nicht stark ins Gewicht. Anders sieht das mit den Lenkradwippen aus, denn zwischen Eingabe und Gangwechsel vergeht teilweise deutlich über eine Sekunde. Für sportliches Fahren sind die Wippen also völlig unnütz: Wey spricht diesbezüglich von einem alten Software-Stand.
Athletik beschränkt sich auf Sprints
Da der Automatikmodus die Gänge sinnvoll verwaltet, stört das deshalb nicht übermäßig, weil kurvige Pisten im Coffee 01 ohnehin kein großes Vergnügen sind, was definitiv nicht an der fantastischen Testroute liegt. Zwar stolpert er nicht über die Bergpiste, jedoch fehlt ihm mit seinem Passivstoßdämpfer-Stahlfedern-Fahrwerk das nötige Besteck, um das hohe Gewicht etwas zu kaschieren.
Doch vor allem passt das Verhältnis der Lenkkräfte beim Ein- und Zurücklenken nicht gut zusammen, was bei höheren Querkräften häufiger zu wenig präzisen Lenkbewegungen führt. Hinzu kommt, dass die Griffmulden hinter den Lenkradspeichen bei höheren Lenkwinkeln keine gute Ergonomie bieten: Durchaus ein Faktor, der auch im Alltag stört. Darin verhält sich die rückmeldungsarme Lenkung ansonsten unauffällig, lediglich eine etwas weiter ausziehbare Lenksäule wäre wünschenswert.
Auf der Habenseite federt das Fahrwerk meistens angenehm nachgiebig und hält Karosseriebewegungen in Grenzen. Das gilt im Regelfall auch für Vertikalbewegungen des Aufbaus, wobei es auf welligen Straßen auch mal ziemlich schaukelig werden kann. In Anbetracht der verwendeten Technik haben die Ingenieure dennoch einen kundenorientierten Kompromiss gefunden, der Komfort vor Dynamik stellt.
Ein Komfortmanko stellt die Rekuperation dar: Diese lässt sich zwar dreistufig einstellen, jedoch nur über ein Infotainment-Untermenü, und selbst die stärkste Stufe hält auf abschüssigen Straßen ein Tempo von rund 40 km/h nicht nur nicht, sondern baut sogar noch einige km/h auf. Gut abgestimmt ist hingegen die Überblendung der Rekuperation auf die mechanische Bremse, zudem fällt es mit der Bremspedalabstimmung leicht, ruckfrei anzuhalten.
Kameraüberwachung ab Werk
Ein Komfortplus sind die etwas weicher gepolsterten Sitze, die ordentlich stützen, wenngleich im Basistrimm eine verstellbare Lordosenstütze fehlt. Eine Memoryfunktion für die elektrische Verstellung kann über den Touchscreen genutzt werden – oder soll beim Fahrerwechsel auch automatisch über das an der A-Säule montierte Sensorsystem inklusive Kamera funktionieren.
Im Fahrbetrieb überwacht das System den Fahrer und mahnt zur Aufmerksamkeit, wenn der etwa zu lange in den Außenspiegel oder auf den 14,6-Zoll-Bildschirm schaut: erst per Sprachhinweis, dann per Zupfern am Gurtsystem – die Funktion lässt sich aber deaktivieren.
Da manch essenzielle Einstellung wie der Spurhalteassistent in Untermenüs vergraben ist, lenkt die überaus touchlastige Bedienung tatsächlich häufiger vom Verkehrsgeschehen ab. Prinzipiell sind die Menüs aber nachvollziehbar sortiert, zudem reagiert das Infotainment schnell auf Eingaben. Schade jedoch, dass es nicht wenigstens eine klassische Klimabedieneinheit gibt, denn der separate Monitor dafür ist unvorteilhaft angewinkelt und die Zwei-Finger-Gesten für Temperatur und Lüfterstärke erleichtern die Steuerung nur bedingt.
Weitere Assistenz gibt es etwa in Form einer aktiven Spurführung, die auf den wenig kurvigen Autobahnen auf der Teststrecke zuverlässig funktioniert, über Land aber schon bei kleineren Korrekturen durch den Fahrer aussteigt, um sich kurz darauf wieder zu aktivieren – Sprachausgabehinweise inklusive. Störend ist außerdem, dass die Geschwindigkeit über den Tempomathebel nur in zu großen Fünferschritten eingestellt werden kann. Ebenfalls etwas grob, aber dennoch effektiv wirkte die adaptive Lichtverteilung der LED-Scheinwerfer, die entsprechende Bereiche bei einem rund zehnminütigen Test zuverlässig, aber eben wenig filigran abblendet.
Kampfpreis: viel Geld, viel Ausstattung
Die Matrixscheinwerfer gehören zur umfangreichen Serienausstattung, genau wie Parkkameras mit zahlreichen Ansichten, der DC-Ladeanschluss und eine anständige Musikanlage vom US-Hersteller Infinity. Weiter geht die Liste mit 21-Zoll-Felgen und einem Head-up-Display, das auf schlechten Straßen trotz per Infotainment aktiviertem Anti-Vibrations-Modus gelegentlich leicht vibriert – eine gute Ergänzung des schmalen Tachodisplays stellt es trotzdem dar.
Das derart ausgerüstete Basismodell kostet 55.900 Euro und somit beispielsweise 40 Euro weniger als ein Kia Sorento Plug-in-Hybrid, dem im Vergleich einige Ausstattungsdetails des Chinesen fehlen. In Sachen Systemleistung und Akkukapazität hält der etablierte Koreaner nicht mit: 265 PS und 13,8 kWh versus 476 PS und 39,7 kWh. Wir können also festhalten: Markttypische Preise unterbietet Wey zum Deutschlandstart deutlich.
Eine Klapperkiste gibt’s dafür nicht – im Gegenteil. Leichte Fahrwerksgeräusche kommen zwar vor, genau wie eine Vibration im Bereich der ansonsten hochwertigen Armaturentafel. Grundsätzlich wirkt der SUV abseits etwas lauteren Reifenrauschens jedoch ordentlich gedämmt und sorgfältig verarbeitet. Innenraummaterialien? Gute Qualität; teils sehr schicke Werkstoffe; saubere Übergänge an den meisten Stellen.
Fehler kamen allerdings auch vor, etwa ein offenbar grundlos eingeblendetes Motorkontrollsymbol. Zudem sprühte die Wischwasseranlage mit wenig Druck nur ins untere Scheibenviertel. Ob’s am Füllstand lag? Keine Ahnung, den kann man am zugebauten Behälter nicht ablesen und eine Warnlampe leuchtete nicht.
Fünf Sterne im Crashtest
Jedoch am allerwichtigsten: Euro NCAP bescheinigt dem Coffee 01 eine Fünf-Sterne-Sicherheit mit einer Bewertung von 91 Prozent für Erwachsene und 87 Prozent für Kinder. Erwähnenswert hierzu: Im Euro-NCAP-Dokument steht als Ausstattung "Prestige", die Wey nicht anbietet. Laut Hersteller-Internetseite gibt es die Modelle Premium und Luxury, für die Fond-Seitenairbags als Teil des Practical-Pakets 1.785 Euro Aufpreis kosten.
Jedenfalls sitzt man im Fond mit großer Kopf-, Fuß-, und Beinfreiheit super, solange der Fahrer aufgepustete Luftkissen verhindert. Sogar der Mitteltunnel hat nur eine geringe Höhe, und in der Mittelkonsole stecken auch Luftausströmer. Wer sich vom Coffee 01 selbst ein Bild machen möchte, soll das bis Ende des ersten Quartals 2023 in 60 Autohäusern der Emil-Frey-Gruppe tun können, wo die Autos auch gewartet werden.
Fazit
Keine offensichtliche Designkopie, gute Verarbeitung, top Euro-NCAP-Sicherheitsbewertung: Die größten Klischees, mit denen chinesische Autobauer kämpfen, entkräftet Wey mit dem Coffee 01 , der für viel Geld überdurchschnittlich viel bietet. 146 WLTP-Kilometer sollen mit dem großen Akku im E-Modus drin sein, zudem stecken zwei E-Motoren im Antriebsstrang. Sportlich um die Ecken fährt er nicht, zügig beschleunigen kann er aber und sein Fahrwerk trifft einen kundenorientierten Kompromiss, der Komfort in den Vordergrund stellt. Zu seinen Schwächen gehört die Lenkungsabstimmung, der manuelle Getriebemodus und in manchen Situationen fehlt Feinschliff in der Antriebsverwaltung. Hinzu kommen etwa das viel zu touchlastige Bedienkonzept und die ausschließlich schlaffen Rekuperationsmodi.