Die Formel 1 gleicht hin und wieder einer TV-Soap. Intrigen, Lügen, Heucheleien – all das gibt es in der Königsklasse des Motorsports. Sie liefert Geschichten und macht sich damit selbst interessant. In den letzten 20 Jahren gab es immer wieder Skandale, die den Sport erschütterten und für ein großes Medieninteresse sorgten.
Wir zeigen Ihnen die spektakulärsten Fälle seit 2003, die für Beben in der Formel-1-Welt sorgten und auch heute noch nicht in Vergessenheit geraten sind.
2008: Crashgate
Mit Spannung blickten Teams, Fahrer und Fans im September 2008 nach Singapur. Erstmals in ihrer Geschichte trug die Formel 1 ein Nachtrennen aus. Bereits in den freien Trainings hatte sich gezeigt, dass Fernando Alonso in seinem Renault gut mit der Strecke zurechtkam. Aber ein Problem mit dem Benzindruck verbannte ihn auf den 15. Startplatz. Der Sieg schien schon am Samstag verloren.
Bis in Runde 12 dümpelte Alonso auf Rang 11 herum. Dann ging der Asturier an die Box, um frische Pneus aufzuziehen und nachzutanken. Untypisch für die damalige Zeit. In der Regel versuchten Piloten, die von weiter hinten starteten, länger draußen zu bleiben, um die Konkurrenz durch einen späteren Stopp zu überholen.
Zwei Runden nach Alonsos Service knallte sein Teamkollege Nelson Piquet Junior in die Mauer. Rennleiter Charlie Whiting schickte das Safety Car auf die Strecke. Viele Fahrer fuhren an die Box, das spülte den Spanier auf Rang 5. Die vor ihm liegenden Fahrer mussten alle später tanken und Reifen wechseln. Alonso gewann das Rennen und feierte ausgelassen. Dass ausgerechnet Piquet verunfallte, hatte schon kurz nach dem Rennen einen Beigeschmack.
Ein Jahr später platzte die Bombe: Piquet packte aus. Der Brasilianer hatte seinen R28 absichtlich abgelegt. Auf Ansage des damaligen Teamchefs Flavio Briatore und des Chefingenieurs Pat Symonds sollte Piquet sein Auto crashen, damit Alonso durch die Safety-Car-Phase nach vorne gespült wird. Die FIA sperrte Briatore und Symonds, Piquet bekam als Kronzeuge keine Strafe, doch in der Formel 1 fasste der Sohn des dreimaligen Weltmeisters Nelson keinen Fuß mehr.
2007: Spygate
Der Name Fernando Alonso taucht auch beim nächsten Skandal auf. Ein Jahr vor Crashgate erschütterte Spygate den Formel-1-Kosmos. Die neuen McLaren-Piloten Alonso, der Rookie Lewis Hamilton und der als Schumi-Nachfolger verpflichtete Kimi Räikkönen kämpften bis zum letzten Rennen um die Weltmeisterschaft. Schon Monate zuvor begann ein wahrer Krimi.
Im April 2007 war ein Dossier mit 780 Seiten in die Hände von McLaren-Ingenieur Mike Coughlan gelangt. Darin befanden sich Informationen wie Konstruktionszeichnungen, Daten, Abstimmungsblätter, Zukunftspläne, Arbeitsprozesse und Budgets von Ferrari. Coughlan erhielt das Dossier von Ferrari-Logistikchef Nigel Stepney. Der Transfer flog auf, als Stepneys Ehefrau in einem Copyshop die Unterlagen einscannte. Der Ladenbesitzer setzte Ferrari in Kenntnis und die Lawine kam ins Rollen.
McLaren-Teamchef Ron Dennis beteuerte, das Traditionsteam würde nicht betrügen: "Es ist absolut unmöglich, dass in unserem Haus etwas Illegales passiert." Doch das halbe Design-Team in Woking wusste Bescheid. Ausgerechnet Fernando Alonso fiel seiner Truppe in den Rücken. Möglicherweise sah er sich von seinem Teamchef im Stich gelassen, weil in seinen Augen Dennis dessen Ziehsohn Hamilton mehr unterstützte. Den entscheidenden Hinweis lieferte Alonsos Landsmann und der langjährige McLaren-Testfahrer Pedro de la Rosa. Alonso drohte Dennis mit den Infos an die Öffentlichkeit zu gehen. Dennis erstattete Selbstanzeige.
Die FIA sprach eine drakonische Strafe aus: 100 Millionen US-Dollar musste McLaren für die Spionageaffäre bezahlen, dazu wurden die Engländer aus der Konstruktionswertung gestrichen. Das fehlende Preisgeld kostete McLaren weitere 60 Millionen US-Dollar. Und das, obwohl die FIA-Kommissare in keinem Detail nachweisen konnten, dass McLaren aus den Ferrari-Unterlagen sich etwas abgeschaut, beziehungsweise dadurch einen Vorteil gewonnen hatte.
2009: Liegate
Das nächste Gate in unserer Aufzählung stammt aus dem Jahr 2009. Melbourne war die Geburtsstätte von Liegate – und wieder war McLaren beteiligt. In einer Safety-Car-Phase kam Toyota-Mann Jarno Trulli von der Strecke ab und Lewis Hamilton ging an dem Italiener vorbei. Das McLaren-Team war sich unsicher, ob das regelkonform sei und wies den Weltmeister von 2008 an, Trulli vorbeizulassen. Die Rennleitung hatte von alldem nichts mitbekommen. Sie bestrafte Trulli, weil sie der Ansicht war, der Italiener hätte sich den Platz irregulär zurückgeholt.
McLaren wies Hamilton im Anschluss an das Rennen an, zu lügen. Der Engländer habe Trulli nicht freiwillig passieren lassen, schwindelte der McLaren-Pilot. Kurz danach flog die Lüge auf. Trulli bekam den dritten Platz zurück, Hamilton wurde disqualifiziert. Die Medien stürzten sich beim nächsten Rennen in Malaysia auf den damals 24-Jährigen, der sich gegen den Spießrutenlauf wehrte: "Ich bin kein Lügner!"
Dave Ryan wurde als Bauernopfer auserkoren. Der Teammanager verlor seinen Job bei McLaren. Vermutlich kam der Befehl aber von der Teamleitung. Nach Liegate erhielt Ron Dennis, der McLaren groß gemacht hatte, sogar Fahrerlagerverbot.
2019: Ferraris Sensoren
Seit Einführung der Hybrid-Ära 2014 dominierte Mercedes mit seiner Power Unit die Königsklasse. Erst peu à peu holte die Konkurrenz auf. Allen voran Ferrari reduzierte das Leistungsdefizit gegenüber der Benchmark aus Brixworth. 2017 kämpfte Sebastian Vettel erstmals im Ferrari um die WM, 2018 ebenfalls. Das Rennen in Spa-Francorchamps trieb Mercedes in den Wahnsinn.
Auf der Kemmel-Geraden in Spa flog Vettel in der Startrunde am Mercedes-Piloten Hamilton vorbei. Er ließ den Silberpfeil wie ein Formel-2-Auto stehen und den Weltmeister konsterniert zurück. In der Pressekonferenz war Hamilton sichtbar geplättet vom Power-Vorteil der roten Rakete. Wie konnte der Ferrari so viel mehr Leistung generieren?
2019 war Ferrari wieder weiter weg von Mercedes – zumindest im Renntrimm. Im Qualifying hingegen glänzten Vettel und sein neuer Teamkollege Charles Leclerc mit Spitzenergebnissen und Pole Positions. Die Konkurrenz von Mercedes und Red-Bull-Honda murrte ob dieser Anomalie. 50 PS mehr soll das italienische Triebwerk ihrer Rechnung nach im Quali-Trimm mobilisiert haben.
Im Herbst lief das Fass über. Mercedes und Red-Bull-Honda griffen in Austin ihren Konkurrenten scharf an. Red-Bull-Motorsportchef Helmut Marko erklärte in Texas: "Ferraris Vorteil war einfach zu krass. Weil die FIA auf unsere Anfragen nie reagiert hat, haben wir jetzt den Druck etwas intensiviert." Das war mit Mercedes abgesprochen.
Wenige Wochen später zum Saisonfinale in Abu Dhabi gab es den nächsten Aufreger um Ferrari. Die Italiener füllten 6,6 Liter mehr Sprit in Leclercs Auto, als das Team vorher bei der FIA angegeben hatte. Leclerc wurde im Anschluss an das Rennen – zur Überraschung vieler – nicht disqualifiziert. Es setzte lediglich eine Geldstrafe in Höhe von 50.000 Euro.
Viele Experten im Fahrerlager sahen sich nach diesem Vorfall bestätigt. Es hieß von ihrer Seite, Ferrari würde an den Messinstrumenten tricksen. Die stellen die Benzindurchflussmenge fest. Schleust man mehr Treibstoff durch, steigt die Leistung. Das könnte Ferrari beim Power-Vorteil geholfen haben.
Während der letzten Testfahrten zur Saison 2020 ploppte eine interessante Meldung auf. Die FIA einigte sich mit dem Team darauf, die Scuderia nicht zu bestrafen. Dafür mussten die Italiener aber einige Pflichten erfüllen. Die beinhalteten die Bereitstellung von Werkzeugen, mit denen die Technikkommissare illegalen Praktiken schneller auf die Schliche kommen würden.
Ferrari musste zusätzlich viel Geld in die Forschung von CO₂-neutralem Kraftstoff investieren. Die FIA konnte nicht eindeutig nachweisen, dass Ferrari betrogen habe. Dass Ferrari in der Saison 2020 dann aber mit einem völlig neu aufgelegten Motor ein Leistungsdefizit gegenüber der Konkurrenz hatte, hinterlässt bei einigen einen faden Beigeschmack.
2021: Red Bulls Budget-Bruch
Das Jahr 2021 sorgte nicht nur sportlich für eine Zäsur, in dem Max Verstappen den Dauerweltmeister Lewis Hamilton entthronte. In der langen Geschichte der Formel 1 galt erstmals eine Kostenobergrenze. Für die Saison 2021 war das Limit für 20 Rennen auf 145 Millionen US-Dollar angesetzt. Da der Kalender zwei Grands Prix mehr auflistete und drei Sprintrennen beinhaltete, stieg die Grenze auf etwa 149 Millionen US-Dollar.
2022 waberten in Singapur Gerüchte durch das Fahrerlager, dass Red Bull gegen die Obergrenze verstoßen haben soll. Einen Tag nach dem Großen Preis von Japan bestätigte die FIA den Fall, der logischerweise große Aufregung erzeugte.
Red Bull lag nach eigener Dokumentation deutlich unter der Kostenobergrenze. Die Buchprüfer der FIA kamen zu einem anderen Ergebnis. Sie warfen dem Team vor, in 13 Punkten die Kosten falsch zugeordnet oder zu niedrig verbucht zu haben. Dazu zählten Catering-Ausgaben in der Fabrik, Sozialversicherungsbeträge, Bonuszahlungen, Gewinne aus der Veräußerung von Anlagevermögen, Lehrlingsgehälter, Nutzungskosten des Motors, Reisekosten und Verwendung von Vorräten.
Schlussendlich stellte die FIA fest, dass Red Bull das Limit um mehr als zwei Millionen US-Dollar überzog. Das fällt unter die Kategorie "kleinere Verletzung der Regeln". Die FIA bestrafte das Weltmeister-Team und reduzierte die zur Verfügung stehende Zeit im Windkanal. Zehn Prozent nahm die FIA der Truppe weg. Da Red Bull aufgrund des Konstrukteurs-Titels ohnehin nur 70 Prozent Windkanalzeit zustanden, verlor das Team sieben Prozent. Red Bull musste sieben Millionen US-Dollar binnen 30 Tagen an die FIA zahlen.
2005: Indys Reifen-GAU
Als die Formel 1 im Juni 2005 nach Indianapolis reiste, war die Dominanz von Schumacher und Ferrari gebrochen. Michelin hatte den deutlich besseren Reifen als Bridgestone, den Ferrari verwendete. Fernando Alonso im Renault und Kimi Räikkönen als McLaren-Pilot kämpften um den Titel, da konnte auch Michael Schumachers Klasse nichts dagegen ausrichten.
Michaels Bruder Ralf hatte in seinem Toyota im freien Training am Freitag einen Unfall. Wieder crashte der Kerpener in der Steilwandkurve. Der Einschlag verlief im Gegensatz zu 2004 glimpflich ab. Doch bei Michelin gingen die Alarmglocken an. Die Franzosen untersuchten ihre Reifen und kamen zu dem Ergebnis, dass es ein Sicherheitsrisiko wäre, das Rennen mit den zur Strecke gebrachten Gummis zu fahren.
Die Situation war noch prekärer, da im Jahr 2005 derselbe Reifensatz für Qualifying und Rennen verwendet werden musste. Michelin erklärte am Samstagmorgen, dass die überhöhte Zielkurve den Reifen zu stark zusetzte und die Reifenwand sich verbiegen würde.
Michelin forderte Rennleiter Charlie Whiting auf, die Autos einzubremsen. Dieser wollte aber nicht die anderen Teams bestrafen, die kein Problem hatten. Das wäre in Whitings Augen unfair gewesen. Seiner Meinung nach hätte Michelin eine andere Reifenmischung zur Verfügung stellen müssen, doch Michelin hatte nicht genug andere Reifensorten in Indy. Die Teams und Michelin wollten, dass Whiting eine Schikane einbauen lässt. Doch der Rennleiter weigerte sich. Eine Schikane sei keine Option gewesen, da die Strecke ohne homologiert war. Die Teams sollten andere Ideen vorbringen.
Die Qualifikation bestritten noch alle Teams. Doch der Renntag bot ein Bild, das um die Welt ging. Alle Michelin-bereiften Autos bogen nach der Aufwärmrunde in die Boxengasse ab. Lediglich sechs Autos mit Bridgestone-Reifen standen am Start. Die Ferrari, Jordan und Minardi. Ein gellendes Pfeifkonzert der aufgebrachten Fans begleitete die 73-Runden-Farce. Am Ende siegte Michael Schumacher vor Teamkollege Rubens Barrichello. Dritter wurde Jordan-Pilot Tiago Monteiro.
2005: BARs Benzin-Betrug
Ein weiterer Skandal der Saison 2005 fand einige Monate vor Indianapolis statt. Jenson Button stand als Dritter auf dem Podium. Es waren die ersten Punkte für BAR in der Saison. Doch die blieben nicht lange auf dem Konto. Button wurde disqualifziert. BAR hatte einen illegalen Tank verbaut. Den hatte das Team nicht in den technischen Zeichnungen eingetragen, die man der FIA hätte vorlegen müssen. Der Sinn hinter dem Betrug erklärt sich wie folgt: Den Zusatztank befüllte das Team während des letzten Boxenstopps.
Beim anschließenden Wiegen nach dem Rennen lag das Auto so über dem Mindestgewicht. Während des Rennens konnte BAR ein leichteres Auto verwenden. Das bringt in der Formel-1-Welt mehrere Zehntelsekunden pro Runde. Außerdem schont ein leichterer Rennwagen den Reifen. Der musste, wie bereits erwähnt, im Jahr 2005 in der Qualifikation und im Rennen halten.
Der Schwindel flog auf, weil Charlie Whiting stutzig geworden war. BAR hatte in den ersten Rennen große Probleme und war weit weg von der Spitze. In Imola stimmte schlagartig die Pace und Button kam sogar als einer der letzten an die Box. Vor diesem Hintergrund ordnete Whiting eine weitere Kontrolle an, bei der ein Zusatztank entdeckt wurde.
Die FIA griff nach diesem Betrug hart durch. Der Weltverband schloss das Team für die folgenden Grands Prix in Barcelona und Monaco aus. Zunächst wollte BAR protestieren, doch auf Rat von Bernie Ecclestone verzichtete das Team. Der damalige FIA-Präsident Max Mosley wollte BAR sogar für den Rest der Saison verbannen.