Es ist ein altes Problem des Journalismus: Wie weit dürfen sich nationale TV-Sender bei den Übertragungen von Sportereignissen auf die Seite ihrer nationalen Athleten schlagen? Nach Meinung von Adrian Newey haben es die Berichterstatter des britischen Senders Sky F1 in den letzten Jahren mit der Bevorzugung etwas übertrieben.
Der langjährige Chefkonstrukteur von Red Bull behauptet, dass vor allem Sebastian Vettel und Max Verstappen darunter leiden mussten. "Ich bin nicht sicher, ob die Leute von außen Max überhaupt anerkennen und richtig verstehen, bei Sebastian war das auch schon nicht der Fall", erklärte der kürzlich von Aston Martin verpflichtete Ingenieur im britischen "High Performance"-Podcast.
Laut Newey ist daran vor allem die einseitige Berichterstattung schuld: "Beide haben immer wieder unter einer Art Dämonisierung gelitten, was ich sehr unfair finde. Das liegt vielleicht auch ein bisschen an den britischen Medien. Sky hat weltweit einen großen Einfluss, sie besitzen ein internationales Publikum, aber ihre Berichterstattung ist sehr nationalistisch, wenn ich das sagen darf, und das kann die Meinung beeinflussen."
Nationale Brille keine Ausnahme
Auch in sozialen Medien ist die Berichterstattung von Sky immer wieder ein Thema. Das Programm wird in vielen englischsprachigen Ländern einfach übernommen. Auch beim Streamingdienst "F1 TV" bekommen die Zuschauer die Inhalte mit den Kommentatoren und den Experten des britischen Pay-TV-Senders ausgespielt, auch wenn sie vielleicht gar nicht von der britischen Insel aus zugreifen.
Sebastian Vettel wurde in seiner erfolgreichsten Formel-1-Zeit bei Red Bull, die von 2009 bis 2013 reichte, auf dem Podium immer wieder mit negativen Reaktionen konfrontiert – genau, wie auch das bei Max Verstappen in den letzten Jahren der Fall war. Inwieweit die Öffentlichkeit von der Berichterstattung dazu angestachelt wurde oder ob die Fans einfach nur keine Lust auf lange Siegesserien hatten, lässt sich schwer sagen.
Zur Verteidigung von Sky TV muss man anfügen, dass eine nationalistische Färbung der Berichterstattung nicht nur in England zu erkennen ist. In den Niederlanden konzentriert sich aktuell alles auf Nationalheld Verstappen, in Spanien steht Fernando Alonso ganz im Fokus und in Italien dreht sich alles um Ferrari. Dass da die journalistische Distanz öfter mal auf der Strecke bleibt, ist kein Motorsportproblem, sondern ein generelles Thema in der Sportberichterstattung.
Schumi-TV bei RTL
Auch Deutschland ist davon nicht ausgenommen. "Wir haben früher Schumi-TV gemacht. Aber die Zuschauer wollten das auch sehen", gab RTL-Moderator Florian König mit Blick auf die goldene Schumacher-Ära Ende der 90er und Anfang der 2000er Jahre einmal zu. Das Problem hierzulande lag darin, dass die Einschaltquoten sofort massiv eingebrochen sind, als der umjubelte Held Ende 2006 seinen Rücktritt erklärte.
Damals wurde der Vorwurf laut, dass es RTL versäumt hatte, den deutschen Fans auch die anderen Fahrer nahezubringen und sie als Stars aufzubauen, die es lohnt zu unterstützen. Selbst in den Weltmeisterjahren von Sebastian Vettel erreichten die Übertragungen nie wieder die Reichweiten wie zu Schumis Zeiten. Allerdings muss RTL bei der Berichterstattung auch nicht auf Zuschauer aus anderen Ländern Rücksicht nehmen, wie es beim britischen Sky F1 TV der Fall ist.
Schon vor der Newey-Kritik hatte Red Bull immer mal wieder seinen Ärger über die Berichterstattung von Sky geäußert. Am Wochenende des Mexiko Grand Prix 2022 boykottierte man den TV-Sender sogar, nachdem ein Sky-Reporter in einem Einspieler behauptet hatte, dass Lewis Hamilton im WM-Finale 2021 der WM-Titel geklaut wurde. Schon damals wurde der Vorwurf laut, dass man Verstappen nicht genug Respekt entgegenbringt.
Verstappen wie Alonso
"Es gibt im Journalismus aktuell diesen Trend: Man hievt die Menschen entweder auf ein Podest oder wirft sie auf den Boden", kritisiert Newey. Der Ingenieur nutzte die Gelegenheit, um die Fans über die Qualitäten von Verstappen aufzuklären: "Max ist sehr intelligent. Und er hat diese unglaubliche Gabe, das Auto fast automatisch zu fahren. Er hat im Cockpit noch so viele Kapazitäten frei, dass er bewusst darüber nachdenken kann, wie er mit dem Auto umgeht, wie er die Reifen behandelt, was er für Einstellungen verändert. Und wenn er mal nicht weiterweiß, fragt er seinen Renningenieur über Funk."
Newey vergleicht Verstappen mit Alonso: "Beide können ein Rennen lesen, ohne die Informationen vor der Nase zu haben. Ich frage mich immer, wie das geht. Die Fahrer schauen zum Beispiel auf die Videowände. Nur die Spitzenfahrer können das. Max ist sehr selbstsicher, was nicht heißt, dass er arrogant ist. Er denkt viel nach. Aber er lässt die Dinge nicht an sich ran. Er kann negative Dinge ausblenden, um den Job zu erledigen und das zu tun, was er liebt. Und das ist, Rennautos zu fahren."