Die Formel 1 ist ein schnelles Geschäft. Auf und abseits der Rennstrecke. Und besonders, wenn man bei Red Bull engagiert ist. Wir kennen es aus der Vergangenheit: Die Verantwortlichen zögern nicht lange, wenn bei einem Fahrer die Leistung nicht stimmt. Nyck de Vries ist das letzte Opfer der kurzen Zündschnur. Nach nur zehn Rennen verlor der Niederländer sein Cockpit bei Alpha Tauri.
Obwohl der Verlust schmerzt, tritt de Vries nicht nach. "Das Leben ist eine schwierige Reise. Manchmal muss man auf seinem Weg auch harte Schläge einstecken", heißt es in einem Statement des 28-Jährigen, in dem er sich bei Red Bull und Alpha Tauri bedankt, die Chance bekommen zu haben, seinen Formel-1-Traum zumindest für ein halbes Jahr zu leben. De Vries hat sich jetzt erstmal selbst eine Auszeit verordnet, um sich zu sammeln.
Schnell, schneller, Red Bull
Sein Rauswurf öffnet einem alten Bekannten die Tür, der seit Ende der vergangenen Saison "den Luxus der freien Zeit hatte". Daniel Ricciardo ist acht Monate nach seinem letzten Auftritt zurück in der Formel 1. Der Australier setzt sich am Donnerstag (20.7.) an einen Tisch im Red-Bull-Motorhome, das in diesem Moment von Journalisten bevölkert wird. "Was passiert erst, wenn ich mal Weltmeister werde", scherzt Ricciardo beim Blick in die schreibende Meute.
Die Rückkehr des 34-Jährigen ist die große Geschichte vor dem Rennwochenende in Ungarn. Ricciardo erzählt, dass er gar nicht lange Zeit hatte, zu überlegen. Es eröffnete sich die Gelegenheit, und er musste zugreifen. "Ich kenne ja Red Bull. Hier kann alles ganz schnell gehen. Wir haben uns am Silverstone-Wochenende über die Situation ausgetauscht. Dann kam mein Test, der gut verlief. Nach zwei Runs habe ich viele Leute in der Garage lächeln sehen. Ich habe mich bereit gefühlt. Sie haben mir gesagt, dass ich bereit aussehe. Und schon wurde ich zu einem Fahrer von Alpha Tauri."
Ricciardo testete in der Woche nach dem GP England den aktuellen Red Bull RB19 im Zuge eines Reifentests. Seine Rundenzeiten gaben den Verantwortlichen bei Red Bull offenbar den letzten Schubser, um den Fahrerwechsel beim Schwesterteam vorzunehmen. De Vries flog raus, Ersatzfahrer Ricciardo wird an seiner Stelle mit dem Stammcockpit betraut.
Der nostalgische Ricciardo
Zwei harte Jahre bei McLaren hatten Ricciardo in ein persönliches Tief gestürzt. Der vorher erfolgreiche Rennfahrer wurde von Teamkollege Lando Norris demontiert. Mit einer Ausnahme: Nur beim GP Italien 2021 ließ Ricciardo mit dem achten GP-Sieg seine einstige Klasse aufblitzen. Ansonsten herrschte meist Ratlosigkeit. Ricciardo kam weder mit dem MCL35M noch dem MCL36 zurecht. "Mein Fahrstil passte nicht zu diesen Autos. Ich bin dann mental in eine Falle gelaufen, aus der ich nicht herauskam."
Die Pause tat ihm offenbar gut. "Ich konnte abschalten. Es war wie ein Neustart für meinen Kopf. Ich bin keine Autos gefahren, sondern einzig auf einem Dirt-Bike gesessen. Und ich konnte reflektieren, was in meiner Karriere gut gelaufen ist, und was ich hätte besser machen können." Die Rückkehr in die Red-Bull-Familie päppelte den 232-fachen GP-Teilnehmer auf. Ricciardo fuhr 2012 und 2013 für Toro Rosso – heute Alpha Tauri – und zwischen 2014 und 2018 für das A-Team. "Es liegt fast schon so etwas wie Nostalgie in der Luft, wenn ich mit Helmut quatsche." Gemeint ist Red Bulls Sportchef Helmut Marko.
Im alten Umfeld habe er seine Liebe zur Formel 1 wiedergewonnen. Mit jedem Test im Simulator kam ein bisschen mehr davon zurück. Der Reifentest im echten Rennauto bestätigte dann auch den Piloten. "Ich habe wieder das Verlangen in mir gespürt, Formel 1 zu fahren." Von daher griff Ricciardo zu, als ihm Helmut Marko und Christian Horner den Platz bei Alpha Tauri offerierten.
Zwei Rennen zum Verarbeiten
Man wartete nicht einmal bis zur Sommerpause ab. "Typisch für Red Bull, sie gehen unkonventionelle Wege", meint Ricciardo dazu. Der Strahlemann aus Perth sieht das Positive darin. "Ich habe zwei Rennen, und danach eine vierwöchige Pause, in der ich alles verarbeiten kann. Das sollte mir helfen." Seinen neuen Dienstwagen kennt er bisher nur aus einem Tag im Simulator. In der virtuellen Welt erlebte Ricciardo in der letzten Woche einen soliden Testtag. "Das Auto hat sich in Ordnung angefühlt."
Der AT04 ist aktuell vermutlich das langsamste Auto im Feld. Eines, in dem Ricciardo zu kämpfen haben wird. "Im Red Bull hat sich alles natürlich angefühlt." Mit anderen Worten: Der Pilot fuhr, ohne groß nachdenken zu müssen. Er folgte seinen Instinkten. Im Alpha Tauri dürfte das anders aussehen. "Ich weiß, dass ich vom besten Auto in ein nicht so gutes umsteige. Ich weiß auch, dass ich dieses Wochenende viel lernen werde, und nicht alle Probleme lösen kann. Aber der Test im Red Bull gibt mir eine gute Referenz, in welche Richtung wir uns mit dem Alpha Tauri bewegen müssen."
Eine Schwäche des AT04 besteht darin, dass das Auto in der Bremsphase und am Kurveneingang nicht satt genug liegt. Es fehlt Abtrieb. Da stellt sich die Frage, wie Ricciardo damit zurechtkommt. Gerade mit dem Bremsverhalten haderte der Australier in seiner zweijährigen Phase bei McLaren. Er konnte seinen Fahrstil damals nie an die Eigenheiten des Papaya-Rennwagens anpassen. Gelingt ihm das im Alpha Tauri?
Über Alpha Tauri zu Red Bull?
Es muss ihm gelingen, wenn der Weg wieder nach oben führen soll. Ricciardos langfristiges Ziel lautet, das Cockpit bei Red Bull neben Weltmeister Max Verstappen zu erobern. "Das ist der Traum, dort wieder zu landen", sagt er. Dafür muss er nun aber erst einmal die Kröte eines langsamen Autos schlucken. "Der Einstieg bei Alpha Tauri ist der beste Weg für mich."
Um nach oben zu kommen, muss er auch erstmal seinen neuen Teamkollegen Yuki Tsunoda schlagen. Das ist die Grundvoraussetzung, auch wenn das noch keiner laut ausspricht. "Es gibt keine speziellen Kriterien, die ich erfüllen muss. Für mich ergibt sich einfach eine neue Chance, zu beweisen, wer ich wirklich bin. Eine Chance, um es besser zu machen als bei McLaren. Ich weiß aber auch, dass ich in den kommenden zwölf Rennen etwas zeigen muss."