Das Rennen in Australien wird den Fans in Erinnerung bleiben. Max Verstappen triumphierte. Mercedes bezwang Aston Martin im Kampf um die Verfolger-Rolle. Ferrari scheiterte an einem Unfall und einer späten Strafe. Die Rennleitung griff gleich mehrmals ein. In unserer Rennanalyse beantworten wir die wichtigsten Fragen.
Wurden Unfälle wegen der Show in Kauf genommen?
Die Fans ließen eine La-Ola-Welle über die Tribüne wabern, die Rechteinhaber rieben sich die Hände. Nach zwei eintönigen Rennen sorgte der GP Australien endlich für reichlich Spektakel in der Formel 1. Drei Mal fuhr das Safety Car raus. Drei Mal brach die Rennleitung ab. Nach einem Unfall von Alexander Albon in Runde sieben. Nach einem Crash von Kevin Magnussen im 54. Umlauf. Nach einem wilden Neustart in der vorletzten Runde.
Bei so viel Action stellt sich zwangsläufig die Frage, ob die Show an diesem Tag bewusst über den Sport gestellt wurde. Weltmeister Max Verstappen vertrat die Meinung: "Die ersten beiden Zwischenfälle hätte man mit einem Safety Car lösen können." Albon wurde bei seinem Einschlag in Kurve sechs zurück auf die Strecke gewirbelt – und mit dem Williams viel Kies sowie Trümmerteile. Das veranlasste die Rennleitung zum Abbruch, damit die Streckenposten den Asphalt fegen konnten.
Man muss vielleicht nicht so handeln, kann es aber so handhaben, lautete dazu die Meinung im Fahrerlager. George Russell und Carlos Sainz waren die Verlierer, weil sie noch unter Safety Car in die Boxenstraße abgebogen waren. Lewis Hamilton, Max Verstappen und Fernando Alonso taten das nicht und profitierten von einem Gratis-Reifenwechsel unter Rot.
Die zweite Rotphase ließ Verstappen und Alonso fluchen. Der eine fürchtete um den schon sicher geglaubten Sieg, der andere um seinen Platz auf dem Podest. Das Fahrerlager war sich einig: Der Abbruch war gerechtfertigt, weil zu viele Carbon-Splitter und spitze Gegenstände zwischen den Kurven zwei und drei verteilt waren.
Es standen danach noch zwei Runden auf dem Programm. Der folgende Restart führte zum völligen Durcheinander. Gleich mehrere Fahrer verpassten den Bremspunkte in Kurve eins. Sainz räumte Alonso ab. Nyck de Vries und Logan Sargeant strandeten im Kiesbett. Die Alpine-Fahrer kollidierten. Lance Stroll pflügte in Kurve drei durch die Auslaufzone. Wieder zog die Rennleitung die Reißleine. Sie entschied sich später dazu, noch einmal anzupfeifen, obwohl nur noch eine Runde hinter dem Safety Car bis ins Ziel möglich war.
Alpine hatte dafür geworben, nicht noch einmal freizugeben, und das Rennergebnis mit der 57. Runde nach Überfahren der Safety-Car-2-Linie zu werten, wie Teamchef Otmar Szafnauer ausführte. Dann wären seine Autos in den Punkten geblieben. Dafür gibt es im Regelwerk aber keine Grundlage. Die Maximalzeit von drei Stunden war noch lange nicht erreicht, und die Strecke in befahrbarem Zustand. Also musste man eine 58. Runde fahren.
Verstappen passierte den Zielstrich gefahrlos vor Hamilton und Alonso. Das Ende unter Safety Car schmeckte den Rechteinhabern nicht. Liberty Media strebt hier eine Regeländerung im Schulterschluss mit der FIA und den Teams an. Action bis zum Schluss soll das Gebot sein.
Warum protestierte Haas?
Das Rennen hatte ein Nachspiel. Haas reichte einen Protest ein. Der US-Rennstall wollte rückwirkend erwirken, dass die Reihenfolge auf der Safety-Car-2-Linie die Startaufstellung für den letzten Neustart bestimmt – und damit das Ergebnis. Diese befindet sich zwischen Boxengassen-Ausfahrt und der ersten Kurve. Die Konkurrenz konnte der Argumentation durchaus etwas abgewinnen.
Haas verwies auf Artikel 57.3 des Sportgesetzes. Dort steht geschrieben, dass "die Reihenfolge in jedem Fall am letztmöglichen Punkt bestimmt wird, an dem es möglich war, die Positionen aller Autos festzulegen". Nach Ansicht des US-Teams wäre Nico Hülkenberg dann Sechster und nicht Siebter geworden. Man stützte sich nicht auf die GPS-Daten, aber auf die Zeitnahme. Jedoch entschieden die Sportkommissare, dass Rennleiter Niels Wittich korrekt entschieden habe. Er hatte nach dem Chaos beim zweiten Neustart (Runde 57) angeordnet, vor dem letzten Restart wieder auf die alte Reihenfolge zu gehen – abzüglich der ausgeschiedenen Unfallautos.
Die Stewards sprachen Wittich den nötigen Ermessensspielraum zu, und führten an, dass er mit den zu diesem Zeitpunkt vorliegenden Informationen gehandelt habe. Außerdem habe er zur Entscheidungsfindung nicht viel Zeit gehabt. Obendrein wurde angeführt, dass die Safety-Car-2-Linie nicht als Referenz dienen konnte, weil manche Fahrer früh genug bremsten, um die erste Kurve zu erwischen, andere nicht. Das wäre gewissermaßen unfair gewesen.
Gab es einen Schuldigen am Alpine-Crash?
Bis zur 54. Runde war Alpine auf dem besten Weg zu elf Punkten. Pierre Gasly befand sich auf einem sicheren fünften Platz, Esteban Ocon war Zehnter. Der zweite Rennabbruch und der fällige Neustart riss beide Alpine in der 57. Runde aus dem Rennen. Gasly rutschte wie Sergio Perez in der ersten Kurve ins Gras. Bei der Suche nach der Ideallinie verhakte sich sein Auto mit dem des Teamkollegen. Beide krachten in die Mauer.
Für das Team war der Doppelausfall in mehrerer Hinsicht bitter. Der französische Nationalrennstall verlor den fünften Platz in der WM an McLaren. Alpine verwehrte sich selbst den Lohn für eine ansprechende Pace. Der Unfallschaden geht ins Budget. Und die Ersatzteile sind knapp. "Wir müssen Gas geben, um für Baku wieder zwei Autos zusammenzuhaben, und dazu unsere Upgrades anzubringen", sagte Teamchef Otmar Szafnauer.
Die Sportkommissare werteten den Zusammenprall als Rennunfall in einer ersten Runde. Gasly schnaufte durch. Er ist nur zwei Punkte von einer Rennsperre entfernt. Bei Alpine schob man keinem Fahrer den schwarzen Peter zu. "In der Hitze mussten sie jeweils eine schnelle Entscheidung treffen. Pierre wollte auf die Rennlinie zurückkehren. Tsunoda ist ihm gerade noch rechts durchgewischt. Esteban wollte ihm folgen. Rennfahrer gehen in dieser Situation nicht vom Gas. Und bei Pierre war es nicht so, dass er in den Spiegel geschaut, und dann Esteban die Tür zugeworfen hätte", referierte der Teamchef.
Wie hätte Sainz vielleicht doch punkten können?
Carlos Sainz drehte seinen Landsmann in Runde 57 beim Neustart um. Dafür wurde er mit fünf Sekunden bestraft. Der geschädigte Alonso meinte: "Er hat das nicht mit Absicht gemacht. Mir erscheint die Strafe ziemlich brutal."
Bei Ferrari war man sauer, dass die Sportkommissare noch während des Rennens eine Strafe aussprachen, ohne Sainz anzuhören. Das passe zur nicht stringenten Linie der FIA, mal schnell zu entscheiden, und mal ewig zu warten. "Bei nur einer Runde hinter dem Safety Car hätte es Sinn ergeben, sich nach dem Rennen mit Carlos zusammenzusetzen", meinte Teamchef Frédéric Vasseur.
Die fünf Strafsekunden ließen Sainz vom vierten auf den zwölften Rang purzeln. Die Gegner waren der Meinung, dass der Spanier vielleicht hätte punkten können, wenn er unter Safety Car die maximal zehn erlaubten Wagenlängen zu Vordermann Alonso gelassen hätte, und dann aus der letzten Kurve heraus Vollgas gegeben hätte. Dann hätte er vielleicht die nötigen Zehntel herausholen können, um Achter oder Neunter zu werden. Andererseits ist es schwer, so etwas unter Safety Car perfekt zu timen. Einen Versuch wäre es aber wert gewesen.
Wie ist die Pace von Mercedes zu bewerten?
Verstappen war im Red Bull für alle außer Reichweite. Mercedes, Aston Martin und Ferrari hatten dagegen einen ähnlichen Speed – sowohl auf eine Runde als auch über die Distanz. Mercedes traf das verhältnismäßig kleine Arbeitsfenster seines Autos an diesem Wochenende. Die Ingenieure fanden die passende mechanische Abstimmung. "Die Strecke und der Asphalt haben uns geholfen. Wir sahen besser aus, als wir tatsächlich sind", äußerte sich Teamchef Toto Wolff.
Nur der Ausfall von Russell trübte die Freude bei Mercedes. Der Motor spuckte Feuer durch den Auspuff. "Es sieht nach einem Schaden in einem der Zylinder aus", berichtete Wolff. Gegen Alonso hätte sich Hamilton auch bei einem normalen Rennausgang erwehren können.
Bei Aston Martin war man überzeugt, dass es nicht zu einem Angriff gereicht hätte. "Lewis und Fernando haben Katz-und-Maus miteinander gespielt. Wenn der eine schneller war, hat der andere in der nächsten Runde gekontert. Beide haben sich auf das Reifenmanagement konzentriert."
Ferrari verzeichnete trotz der Nullrunde wenigstens Fortschritte. In Jeddah waren die roten Autos auf dem C2-Reifen noch viel zu langsam. In Australien stimmte die Geschwindigkeit auf der harten Reifenmischung, was die zwischenzeitliche Aufholjagd von Sainz unterstrich.