Wieso lag das F1-Feld in Melbourne näher zusammen?

Enge Zeitabstände in Melbourne
Wieso lag das F1-Feld so nah zusammen?

GP Australien 2023

Die Abstände im Feld schrumpften beim GP Australien zusammen. Sieben Autos bewegten sich teilweise innerhalb von einer halben Sekunde pro Runde. Der glatte Asphalt, tiefe Temperaturen, das schnelle Layout und vier DRS-Zonen sorgten für den Zusammenschluss.

Start - GP Australien 2023 - Melbourne
Foto: Motorsport Images

In der Qualifikation ist es normal, dass die Differenz zwischen den einzelnen Autos kleiner ausfällt. Der Extra-Grip frischer Reifen überdeckt Defizite bei der Mechanik und der Aerodynamik. Mit dem Red Bull strich in den ersten drei Qualifyings zwar jeweils der schnellste Rennwagen die Pole Position ein. Doch der Abstand zum ersten Verfolger lag mit eineinhalb bis drei Zehntelsekunden noch im erträglichen Maß.

Sowohl in Bahrain als auch in Saudi-Arabien ging die Schere über die Distanz auf. Red Bull zerstörte im Renntrim die Konkurrenz. Besonders nach der einzigen Safety-Car-Phase in Jeddah ließen Max Verstappen und Sergio Perez die Muskeln spielen – und hängten die Verfolger von Aston Martin, Mercedes und Ferrari in rund 30 Runden ab.

Unsere Highlights
Max Verstappen - Red Bull - GP Australien 2023 - Melbourne - Rennen
Wilhelm
Max Verstappen gewann in Australien sein zweites Saisonrennen.

Red Bull nicht mehr so überlegen

Auch in Australien war Red Bull eine Macht. Die Qualifikation entschied Verstappen mit einem Vorsprung von 0,236 Sekunden zu George Russell für sich. Der Unterschied wäre größer ausgefallen, wenn der Weltmeister seine Reifen in den optimalen Arbeitsbereich gefahren hätte. Was Mercedes-Pilot Russell schaffte.

Einen Tag später rechnete jeder mit einem weiteren Red-Bull-Sieg, was auch eintraf. Jedoch zog sich das Formel-1-Feld nicht mehr so auseinander wie in den ersten beiden Grand Prix der Saison. Die übliche Grübchenbildung blieb aus. Es gab eine Phase gegen Rennmitte, da wechselte die schnellste Rundenzeit wie bei einem Ping-Pong-Spiel zwischen verschiedenen Fahrern hin und her. Sieben Autos bewegten sich teils innerhalb einer halben Sekunde. Wir haben exemplarisch dazu die Rundenzeiten aus dem 28. Umlauf herausgesucht:

  • Verstappen (Red Bull): 1:21.926
  • Hamilton (Mercedes): 1:22.008
  • Alonso (Aston Martin): 1:21.901
  • Sainz (Ferrari): 1:21.919
  • Gasly (Alpine): 1:22.026
  • Stroll (Aston Martin): 1:22.187
  • Hülkenberg (Haas): 1:22.333
  • Norris (McLaren): 1:22.426
  • Perez (Red Bull): 1:22.244
  • Ocon (Alpine): 1:22.256

Geringere Deltas pro Runde

Verstappen kontrollierte das Rennen von der Spitze. Er teilte sich sein Tempo ein. Er war nicht gezwungen, schneller zu fahren. Und doch war der Red Bull an diesem Tag nicht so überlegen wie noch in Bahrain und in Saudi-Arabien. Das veranschaulichen auch die Rundenzeiten von Perez. Mercedes, Aston Martin und Ferrari verkürzten. Alpine zeigte eine Formsteigerung, die sich selbst die Teamführung nicht so recht erklären konnte. Plötzlich bewegten sich die blauen Autos fast auf dem Niveau der Topautos. Pierre Gasly hielt den Ferrari von Carlos Sainz stets in Sichtweite.

Nach dem ersten Neustart bis zur 50. Runde zogen sich die Top 10 um 32,923 Sekunden auseinander. Und das bei 40 Umläufen. Bei den Reifen herrschte Gleichstand. Alle hatten die harten Pirellis drauf. Nur in den Runden 18 und 19 musste die Fahrer das Tempo drosseln. Streckenposten bargen Russells kaputten Mercedes. Ein bisschen größer wäre das Delta ausgefallen, wäre Verstappen in Runde 47 in der vorletzten Kurve nicht durchs Gras gesegelt. Das kostete ihn rund dreieinhalb Sekunden.

Mercedes-Pilot Lewis Hamilton verlor zwischen Runde elf und 50 im Schnitt nur 0,207 Sekunden pro Umlauf auf Verstappen. Fernando Alonso im Aston Martin 0,247 Sekunden. Der Spanier war der Ansicht, dass er ohne den Mercedes vor der Nase etwas schneller hätte fahren können. Carlos Sainz musste sich erstmal vom elften Platz nach vorne arbeiten. Das Delta des Ferrari zum Red Bull lag bei 0,337 Sekunden, und wäre sonst geringer ausgefallen.

Wenige langsame Kurven

Alpine büßte mit Pierre Gasly im Schnitt 0,376 Sekunden pro Runde ein. Haas mit Nico Hülkenberg 0,638 Sekunden. McLaren mit Lando Norris 0,652 Sekunden. Das Mittelfeld rückte deutlich näher heran als in den ersten Rennen. Nur Williams (nach dem Albon-Ausfall), Alfa-Sauber und Alpha Tauri fielen ab.

Es gab verschiedene Gründe dafür, dass das Feld in Melbourne zusammengestaucht wurde. Das Layout begünstigte die langsameren Autos. Auf der Rennstrecke im Albert Park gibt es seit dem Umbau im letzten Jahr nur noch wenige langsame Kurven. Nur die Kurven T3 (ca. 90 km/h), T11 (ca. 105 km/h) und T13 (ca. 80 km/h) gehören ins untere Spektrum.

Es ist eine einfache Regel im Motorsport. In langsamen Kurven verliert man am meisten Zeit. Weil man dort die längste Zeit verbringt. Im Albert Park überwiegen inzwischen die mittelschnellen und schnellen Ecken. Der Kurs ist wie Jeddah eine Vollgasstrecke. Der Volllastanteil beträgt über 80 Prozent (Jeddah: 83 %) – gemessen auf die Rundendistanz. In Saudi-Arabien gibt es allerdings 13 Kurven mehr, auf denen sich über Anpressdruck ein Unterschied machen lässt. Die Strecke ist fast einen Kilometer länger.

Nico Hülkenberg - Formel 1 - GP Australien 2023
xpb
Haas und McLaren waren deutlich näher an den schnellsten Autos dran als üblich.

Vollgas statt Reifenmanagement

Kühle Temperaturen und ein glatter Asphalt führten das Feld näher zusammen. Es drohte in Australien kein Überhitzen der Reifen. Die Abnutzung fiel gering aus. Die Fahrer mussten in dieser Beziehung nicht so sehr den Gasfuß zügeln wie beispielsweise noch in Bahrain. Je mehr die Reifen nachlassen, desto mehr kommen die Stärken und Schwächen eines Autos zum Tragen. Deshalb zog der Red Bull in Bahrain davon, je länger die Stints andauerten.

Die Teams sorgten sich in Melbourne weniger darum, mit den harten Reifen nach dem Neustart über die Distanz zu kommen, als ins Graining zu laufen. Das Körnen der Gummis war in Australien speziell auf den weicheren Mischungen, und dort auf den Hinterreifen das Problem. Die härtere Mischung, höhere Temperaturen am Renntag und Management durch die Fahrer vertrieben die Sorgen.

Noch ein Faktor begünstigte engere Abstände. Durch die vier DRS-Zonen konnte der Verfolger praktisch auf jeder Gerade den Heckflügel flachstellen, wenn er innerhalb von einer Sekunde zum Vordermann lag. Das bringt allein ein paar Zehntelsekunden. Beim Hinterherfahren zerstörte man sich auf dem glatten wie kühlen Asphalt auch nicht die Reifen. In Baku wird das anders sein. Der schnellste Stadtkurs der Welt geht durch die vielen 90-Grad-Ecken und Beschleunigungsstücke speziell auf die Hinterreifen. Die Abnutzung wird höher sein – und dadurch sollten wieder größere Lücken entstehen.