Ist die neue Saison schon gelaufen?
Die neue Formel-1-Saison 2024 hat genauso begonnen, wie die alte aufgehört hat. Max Verstappen raste in Bahrain auf die Pole Position, führte alle Rennrunden an und schnappte sich auch noch den Bonuspunkt für die schnellste Runde. Den Zielstrich kreuzte der Dominator mit 22,4 Sekunden Vorsprung. "Max fuhr heute nicht nur einer anderen Liga. Er war in einer anderen Galaxie unterwegs", bilanzierte Mercedes-Teamchef Toto Wolff anerkennend. Die neutralen Fans befürchten schon wieder die nächste Siegesserie und eine eintönige Saison. Auf die Frage, ob es etwas gibt, dass für mehr Spannung als 2023 spricht, antwortete Wolff nur knapp: "Leider nicht."
Im Red-Bull-Lager wollte man Wolffs vorgezogenen Glückwünsche zur Titelverteidigung nicht so einfach annehmen. "Ich würde ihm gerne Recht geben, aber unsere Ergebnisse am Donnerstag und Freitag deuten nicht in diese Richtung", winkte Red-Bull-Sportchef Helmut Marko ab. "Wir haben gemerkt, dass unser Auto windempfindlicher ist als die anderen. Und dann hatten wir auch noch Probleme mit den Reifentemperaturen. Außer mir hat keiner im Team daran geglaubt, dass wir hier auf Pole fahren." Teamchef Christian Horner versuchte ebenfalls, die Klatsche für die Konkurrenz kleinzureden: "Mein Gefühl sagt mir, dass sich das Feld im Laufe des Jahres zusammenschieben wird. Man sollte aus einem Rennen auf einer speziellen Strecke mit einem speziellen Asphalt nicht zu viel herauslesen."
Der große Vorsprung von Verstappen habe sich laut Horner vor allem im letzten Stint mit den weichen Reifen gebildet. Bei Red Bull konnte man nicht nachvollziehen, warum sich die direkten Gegner nicht ebenfalls ein paar frische Softs für aufgehoben haben. Schließlich hatte Red Bull schon im Vorjahr mit dieser Strategie Erfolg. "Der harte Reifen hat bei den Testfahrten noch gut ausgesehen, heute aber leider nicht", verteidigt sich Wolff. "Es war die konservativere Wahl. Den weichen Reifen musste man am Anfang eines Stints vorsichtig anfahren. Das geht nur, wenn man einen Pace-Vorteil hat. Das konnte sich nur Red Bull leisten."
Vielleicht wird am Ende alles sogar noch schlimmer, als es in Bahrain aussah. Marko gab zu: "Wir befinden uns noch in der Lernphase mit dem neuen Auto. Dass wir jetzt schon so einen Erfolg feiern können, sollte die Gegner etwas beunruhigen." Außerdem machten sich im Fahrerlager von Bahrain Gerüchte breit, dass Red Bull zum Europa-Auftakt in Imola direkt ein großes Upgrade nachschieben wird, das einen ordentlichen Schritt verspricht. Darauf angesprochen grinste Marko nur vielsagend: "Schaun wir mal."
Was bremste Ferrari und Mercedes?
Max Verstappen sprach nach der Zieldurchfahrt von einem perfekten Rennen mit einem optimal abgestimmten Auto. Das konnte die direkte Konkurrenz leider nicht vorweisen. Ferrari präsentierte sich zwar als zweite Kraft im Feld, wurde aber unter Wert geschlagen. Sowohl Carlos Sainz als auch Charles Leclerc kämpften mit Bremsproblemen. Im Fall von Leclerc war es so schlimm, dass das Auto beim Verzögern heftig nach rechts zog.
"Es wurde in der Anfangsphase immer schlimmer. Die Vorderreifen haben ständig blockiert. Erst ab Runde zehn hat sich das Problem stabilisiert und ich konnte mich darauf einstellen", berichtete der Monegasse. Trotzdem zog Teamchef Frederic Vasseur am Ende ein positives Fazit: "Wir haben den Rückstand im Vergleich zum Vorjahr halbiert. Wenn Bahrain wieder unser schlechtestes Rennen der Saison wird, bin ich zufrieden."
Bei Mercedes kämpfte man gleich an mehreren Fronten. Schon nach wenigen Runden mussten die Fahrer Motorleistung reduzieren, weil die Temperaturen im Heck in die Höhe schossen. "Wir wissen gar nicht, wo das herkam. Williams hatte das gleiche Problem", grübelte Wolff. "Zusammen mit dem notwendigen Lift-and-Coast hat uns das fünf bis zu sechs Zehntel pro Runde gekostet." Die Ingenieure teilten mit, dass der Silberpfeil nicht viel anders konfiguriert war als bei den Longruns im Training, wo die Temperaturen noch im Rahmen lagen.
Dazu kämpften beide Fahrer auch noch mit einer mysteriösen Balance-Verschiebung. Am Renntag neigte der W15 plötzlich zu einem heftigen Untersteuern. Die Techniker vermuten, dass die Reifen wegen der geringeren Asphalt-Temperaturen und der geänderten Windrichtung aus dem Arbeitsfenster gefallen sind. Durch die geringere Belastung beim Bremsen durch das Lift-and-Coast kühlten die Vorderreifen noch zusätzlich aus.
Was bremste McLaren und Aston Martin?
McLaren und Aston Martin mussten sich in Bahrain hinter Red Bull, Ferrari und Mercedes anstellen. Lando Norris schob sich nur deshalb zwischen die beiden Mercedes, weil Lewis Hamilton das Qualifying verpatzte. Oscar Piastri hätte das auch schaffen können, hätten sich seine Strategen beim zweiten Boxenstopp nicht von Hamiltons Undercut überraschen lassen. "Unser Fehler", gab Teamchef Andrea Stella zu.
Stella schob die dezente Vorstellung seiner Autos auf das Streckenlayout und den rauen Asphalt. "Bahrain ist nicht unsere Strecke. Hier kommt alles zusammen, was unser Auto nicht mag. Trotzdem waren Ferrari und Ferrari wenigstens in Reichweite." Zusammenfassend fehlt einfach Grip in langsamen Kurven. Das wollen die McLaren-Ingenieure mit den nächsten Upgrades lösen. "Die Aerodynamik spielt dabei die größere Rolle als die Mechanik."
Aston Martin belegte mit einem Rückstand von mehr als 70 Sekunden die beiden letzten Plätze in den Top Ten. Das ist auf einem Streckentyp wie Bahrain das Limit, erklärt Fernando Alonso: "Wir haben in schnellen Kurven gewonnen und in langsamen verloren. In Bahrain gibt es mehr langsame Kurven." Den starken Kontrast zu seinem sechsten Startplatz kommentiert der Veteran kurz und knapp: "Das war der Fahrer."
Aston Martin erkannte schnell, dass mehr als der neunte Platz nur möglich ist, wenn man mit der Strategie pokert. Deshalb zögerte Alonso seine Boxenstopps beide Male hinaus, in der Hoffnung, ein Safety-Car würde ihm einen Gratis-Boxenstopp in die Hände spielen. Es kam nicht. "Uns war klar, dass wir nur nach vorne kommen können, wenn wir etwas anderes tun als unsere Gegner", erklärte Teamchef Mike Krack.
Hätte Hülkenberg punkten können?
Bis zum Rennstart zeigte Nico Hülkenberg in Bahrain ein starkes Auftaktwochenende. In der zweiten Qualifying-Runde brannte der Rheinländer sogar die sechstschnellste Zeit in den Asphalt. Im Q3-Finale verzichtete er dann freiwillig auf eine bessere Startposition, um sich einen Satz frischer weicher Reifen für das Rennen aufzuheben. Doch der sollte ihm am Ende leider nicht viel nutzen.
Als die Lichter der Startampel ausgingen, kam Hülkenberg nur zögerlich aus den Blöcken. Teamchef Ayao Komatsu konnte oder wollte später noch keinen genauen Grund für den Zuckelstart liefern: "Es sah wie eine Verkettung verschiedener Faktoren aus." Beim Anbremsen auf die erste Kurve krachte der Rheinländer dann auch noch dem Aston Martin von Lance Stroll ins Heck. Der Kanadier drehte sich, bei Hülkenberg ging der Frontflügel zu Bruch.
Als Kettenreaktion ramponierte Valtteri Bottas mit der Frontflügel-Endplatte auch noch den Diffusor des Haas. "Ich dachte eigentlich, dass ich Lance genug Platz gelassen habe. Die Kollision kam unerwartet", berichtete ein sichtlich frustrierter Hülkenberg nach der Zieldurchfahrt. Schon im Vorjahr war das Rennen für den Blondschopf nach wenigen Metern ruiniert. Damals war er mit Esteban Ocon in Kurve 4 aneinandergeraten.
Der Fauxpas kostete den Deutschen eine Chance auf Punkte. Immerhin war vom übermäßigen Reifenverschleiß aus dem Vorjahr nichts mehr zu sehen. "Die Rennpace war okay. Der Reifenverschleiß hat sich deutlich verbessert. Im Mittelfeld waren wir voll konkurrenzfähig", freute sich der Fahrer. Teamchef Komatsu fügte an: "Wir können nun mit Autos mithalten, die letztes Jahr weit vor uns lagen. Wenn wir Stroll in einem normalen Rennen schlagen wollen, muss aber alles perfekt passen."
Warum gab es bei Toro Rosso dicke Luft?
Auch bei Toro Rosso hätte man Lance Stroll gerne den einen WM-Punkt für Platz zehn geklaut. "Ich denke, das wäre von der Pace her möglich gewesen, wenn alles perfekt funktioniert hätte. Wenn sich so eine Chance bietet, muss man zur Stelle sein. Leider hat es an der Umsetzung gehapert", klagte Geschäftsführer Peter Bayer.
Der Österreicher bemängelte ein paar kleinere Fehler bei der Strategie. Die Boxenstopps wurden zu lange hinausgezögert: "Wir hätten Stroll besser abdecken müssen und waren da ein bisschen zu lange draußen", so Bayer. Aber auch die Fahrer nimmt der Boss in die Pflicht. Daniel Ricciardo fuhr nach Problemen im ersten Stint weit außerhalb der Punkte herum. Da zauberten die Strategen Plan B aus dem Hut und setzten den Australier für den letzten Stint auf weiche Reifen.
Die Taktik funktionierte gut. Nachdem Hülkenberg ebenfalls zum letzten Stopp abgebogen war, fuhr Ricciardo innerhalb von vier Runden eine Fünf-Sekunden-Lücke auf das Schwesterauto von Yuki Tsunoda zu. Vom Kommandostand bekam der Japaner die Anweisung, den Teamkollegen durchzulassen. "Wir haben Yuki vorgewarnt. Wir hatten ihm gesagt, dass er Magnussen überholen muss. Wenn das nicht klappt, werden wir reagieren", berichtet Bayer.
Doch der kleinste Pilot im Feld stellte sich zunächst stumm: "Als wir den Platztausch angeordnet haben, hat es Yuki noch eine Runde rausgezögert. Dazu wird es sicher eine Nachbesprechung geben", ärgerte sich Bayer. Ob bei einer schnelleren Reaktion ein besseres Ergebnis als die Plätze 13 und 14 herausgesprungen wären, steht auf einem anderen Blatt. Aber hier geht es ums Prinzip.
Dass Tsunoda dann aus Frust in der Auslaufrunde dem Teamkollegen beinahe in die Seite gefahren wäre und bei seiner Schein-Attacke auch noch qualmend die Reifen stehen ließ, sieht Bayer dagegen locker: "Das war Emotion gepaart mit einem Verbremser. Die Thematik Platzwechsel wird definitiv besprochen. Das andere muss man nicht groß aufhängen."