Warum ist die Red-Bull-Serie gerissen?
Die Formel-1-Saison 2023 ist eine Saison voller Drehungen und Wendungen. Bis zum Singapur-Wochenende gab es nur eine einzige Konstante: Red Bull räumte am Ende immer den Siegerpokal ab. Egal ob Motorenstrafen, unpassende Safety-Cars oder verrückte Wetterkapriolen – nichts konnte Max Verstappen zuletzt aufhalten. Doch nun hat es auch das Weltmeisterteam erwischt. Analog zu Mercedes 2015 wurde das dominante Auto der Saison vom Stadtkurs auf dem falschen Fuß erwischt.
Das Drama nahm schon am Freitag seinen Lauf. Beide Fahrer kämpften mit einer schlechten Balance und mangelndem Grip. Der erste Verdacht galt dem Unterboden-Upgrade. In der Nacht zum Samstag wurde zurückgerüstet: "Am Unterboden lag es nicht, wie wir mittlerweile wissen. Den haben wir nur ausgebaut, um eine Fehlerquelle zu eliminieren", so Horner. Im dritten Training kam auch noch ein Kupplungsproblem am Auto bei Verstappen dazu.
Und dann wurde das Fahrwerk kurz vor dem Qualifying noch einmal heruntergeschraubt, was zu einem heftigen Aufsetzen in den Bremszonen führte. Die Ingenieure wurden von unterschiedlichen Asphaltsorten und den Bodenwellen genarrt. "Die Simulationen vor dem Wochenende haben zu falschen Schlussfolgerungen geführt", gab Horner zu. Bei der Kurskorrektur verzettelten sich die Techniker. "Das Auto ist komplett aus dem Arbeitsfenster gefallen. Dabei wurden einige Schwächen offenbart."
Die Quittung waren die Startplätze 11 und 13. Im Rennen versuchte man es mit einer Verzweiflungsstrategie. Beide Piloten wurden auf harten Reifen losgeschickt. "Um die Taktik zum Erfolg zu bringen, hätten wir ein frühes oder ein spätes Safety-Car gebraucht. Leider kam es mittendrin zum falschen Zeitpunkt und gab den anderen das Geschenk des Gratis-Stopps."
Immerhin stimmte die Pace des Autos plötzlich. Dabei durfte vor dem Rennen am Setup nicht mehr viel verändert werden. Trotzdem brachten die Piloten die Reifen auf einmal ins Arbeitsfenster. "Am Anfang hat wohl das höhere Gewicht des Benzins geholfen", grübelte Helmut Marko. "Aber auch im letzten Stint auf Mediums hatten wir die schnellsten Autos im Feld."
Ganz so extrem, wie Marko es sehen wollte, fiel die Wende nicht aus. Mercedes hatte nur kurz nach Red Bull die Reifen gewechselt. Lewis Hamilton fuhr direkt die schnellste Rennrunde, die sieben Zehntel unter Verstappens Bestwert lag. Horner hielt aber fest: "Wir haben die Probleme verstanden. Wenn wir noch einmal hier anreisen würden, sähe alles ganz anders aus."
Einige Konkurrenten spekulierten, dass vielleicht die Technische Direktive zu flexiblen Flügeln und Unterböden Red Bull ausgebremst haben könnte. Doch Horner versuchte diesen Verdacht schon im Keim zum ersticken: "Wir mussten nichts am Auto ändern." Sollte es in Suzuka aber wieder schlecht laufen, werden diesbezüglich sicher noch ein paar Nachfragen kommen.
Warum war Ferrari besser als erwartet?
Auf Strecken, die viel Abtrieb verlangen, konnte Ferrari dieses Jahr eigentlich nicht glänzen. Nach dem starken Heimspiel in Monza erwartete die Scuderia deshalb ein schwächeres Singapur-Wochenende. Und dann startete die Scuderia einen Durchmarsch mit Bestzeiten in allen Sessions. Das verlangte nach einer Erklärung.
Der Schlüssel lag laut Teamchef Frederic Vasseur in der Pleite von Zandvoort. "Da haben wir einen großen Schritt mit dem Setup gemacht. Der hat uns auch schon in Monza geholfen." Ferrari versteht plötzlich sein eigenes Auto besser. Die richtigen Einstellungen bringen mehr Rundenzeit als Upgrades. In Singapur half auch noch, dass es nur einen einzigen Kurventyp gibt. Ferrari schaffte es offenbar, sein Auto perfekt darauf abzustimmen. Der SF-23 geht zudem gut über Randsteine und Bodenwellen.
Der richtige Härtetest wartet aber schon kommendes Wochenende in Suzuka. "Wir müssen ruhig bleiben", dämpft Vasseur die Erwartungen. "Man wird mit zwei guten Wochenenden nicht Weltmeister. Es gibt keine magischen Lösungen in der Formel 1, die einem plötzlich eine halbe Sekunde bringen." Auch Sieger Carlos Sainz hielt den Ball flach: "Wir werden auch wieder mal schlechte Wochenenden haben. Wir hatten Glück, dass wir ausgerechnet hier stark waren, wo Red Bull Schwäche zeigte."
War die Mercedes-Strategie richtig?
Gerne hätte auch Mercedes von dem Red-Bull-Patzer profitiert. Der Bronzeplatz durch Lewis Hamilton war am Ende fast schon eine Enttäuschung. George Russell hatte sich nach starken Longruns im Training und der zweitbesten Qualirunde berechtigte Hoffnungen auf den Sieg gemacht. Nach zwei Renndritteln hing er dem führenden Sainz im Heck. Doch der Spanier verbummelte so geschickt das Tempo, dass keiner vorbeikam und sich im Feld auch keine großen Lücken für einen Boxenstopp bildeten.
Dann brachte Esteban Ocon mit seinem Getriebedefekt etwas Würze ins Spiel. Um den Alpine zu bergen, rief die Rennleitung eine virtuelle Safety-Car-Phase aus. Aus dem Spitzenpulk holte nur Mercedes seine beiden Autos rein. Sonst hatte auch keiner der Siegkandidaten mehr frische Mediums im Schrank. Russell gab seinen zweiten Platz freiwillig ab und fand sich plötzlich mit 17 Sekunden Rückstand auf Rang vier wieder.
Mit Hamilton im Schlepptau startete der Mercedes-Express dann die große Schlussattacke. Sie brachte das Werksduo aber nur noch vorbei an Leclerc. Carlos Sainz und Lando Norris bildeten clever einen eigenen DRS-Zug, den Russell einfach nicht attackieren konnte. Nach einem heftigen Mauerkontakt in Kurve 10 crashte der Brite in der allerletzten Runde dann auch noch ganz raus.
Toto Wolff wollte keine Kritik an der Taktik üben: "Wir haben voll auf Sieg gespielt. Wären wir draußengeblieben, hätte es keine Chance zum Überholen gegeben und wir wären auf den Plätzen zwei und vier ins Ziel gerollt. Wir sind Risiko gegangen. Das würde ich immer wieder so machen." Mercedes war so von der Taktik überzeugt, dass man auch nicht splitten wollte. Am Ende wurde das Risiko einfach nicht belohnt.
Was war mit Fernando Alonso los?
Aston Martin erlebte in Singapur das schlechteste Wochenende der Saison. Zum ersten Mal fuhr Fernando Alonso dieses Jahr nicht in die Punkte. Die Probleme begannen schon kurz nach dem Start, als die Verkleidung eines vorderen Querlenkers plötzlich auf Halbmast hing und die Aerodynamik störte.
Als das Feld in der Safety-Car-Phase zum Reifenwechsel eilte, rutschte der Routinier dann auch noch kurz neben die Boxeneinfahrt. Dafür setzte es eine Fünf-Sekunden-Strafe. "Kurz vor einem Boxenstopp müssen die Fahrer viele Einstellungen ändern. Vielleicht hat da etwas nicht gepasst", nahm Teamchef Mike Krack seinen Fahrer in Schutz.
Doch das war nur der Anfang eines verkorksten Abends. Wie die Mercedes wollte Alonso die VSC-Phase zu einem zweiten Service nutzen. Doch dabei ging alles schief. "Es hat damit begonnen, dass die Mechaniker fünf Sekunden warten mussten. Dann hat irgendwas mit den Wagenhebern nicht gepasst", erklärte Krack. Die Schrauber mussten mehrmals ansetzen. Insgesamt stand Alonso über 25 Sekunden vor der Garage.
Nach starken Longruns am Freitag passte im Rennen zudem die Pace plötzlich nicht mehr. "Es hängt hier alles an den Reifentemperaturen. Vielleicht haben wir die Abstimmung einen Schritt zu hart gewählt", zuckte Alonso nach dem Rennen mit den Schultern. Im letzten Stint legte der 42-Jährige mit gebrauchten Soft-Reifen noch einen Dreher auf den Asphalt. Die Quittung war der letzte Platz. "Heute ist alles schiefgegangen, was schiefgehen konnte."
Wie holte Magnussen den letzten WM-Punkt?
Kevin Magnussen setzte mit der sechstschnellsten Quali-Zeit schon am Samstag ein Highlight. Doch im Rennen mussten sich die Haas-Piloten wieder einmal früh nach hinten orientieren. Alonso und Ocon überrumpelten Magnussen schon am Start. Auch Verstappen war nicht zu halten. Und als sich der Däne in der 35. Runden mit Pierre Gasly anlegte und ihn ein Bremsproblem aus dem Tritt brachte, schienen WM-Punkte in ganz weiter Ferne.
Die VSC-Phase bot den Strategen dann aber die Chance zu einer Verzweiflungstaktik. Magnussen wurde in Runde 43 auf Soft-Reifen gesetzt. Kaum einer glaubte, dass der weiche Gummi auf dem Haas bis zum Ende halten würde. Doch in den letzten fünf Runden schnappte sich der Routinier nacheinander Alex Albon, der von Perez zur Seite gerempelt wurde, Guanyu Zhou und Teamkollege Nico Hülkenberg. Als auf den letzten Metern auch noch Russell rausflog, hatte Magnussen plötzlich einen WM-Punkt in der Tasche.
"Es war eigentlich schon Game Over", erklärte der Pilot nach dem Rennen ungläubig. "Das war ein hartes Stück Arbeit. Am Ende konnten wir einen Punkt aus dem Hut zaubern." Hülkenberg war weniger begeistert. Als Magnussen zum letzten Stopp kam, lag der Rheinländer drei Plätze vor dem Schwesterauto. "Da haben wir eine Chance verpasst. Ich hätte noch weiter vorne landen können als Kevin."