Wenn Red Bull nicht auf seinem Stammplatz an der Spitze steht, verlangt das nach einer Erklärung. Wenn die Autos dann noch mit einem großen Aerodynamikpaket bestückt sind, das mindestens zwei Zehntel bringen soll, umso mehr. Und wenn Max Verstappen und Sergio Perez ein atypisches Trainingsprogramm fahren, Perez im ersten Training noch einen schweren Unfall baut, dann erst Recht.
Beginnen wir mit den Fakten. Max Verstappen und Sergio Perez beendeten den ersten Trainingstag auf dem Hungaroring auf den Plätzen 11 und 18. Der Tag von Perez begann mit einem Highspeed-Unfall in Kurve 4. Der Teufel sitzt immer noch im Kopf, seit der Fahrer-Rochade mit Daniel Ricciardo als De-Vries-Ersatz vielleicht umso mehr.
Der WM-Zweite berührte beim Einlenken in Kurve 4 mit dem linken Vorderrad das Gras. Beim Einschlag in die Reifenstapel brach das linke Vorderrad ab. Nase, Frontflügel, Seitenkasten und Unterboden wurden in Mitleidenschaft gezogen. "Jetzt hat er keine Ersatzteile mehr", kommentierte Sportchef Helmut Marko ohne Mitleid. Red Bull ist beim Debüt des zweiten großen Upgrades der Saison noch knapp mit Teilen.
Kein Rückbau auf alten Red Bull
Die Konkurrenz befürchtete im Vorfeld noch mehr Prügel als sonst. Am ersten Tag blieben sie aus. Die Red-Bull-Fahrer klagten über ein ungewöhnliches Fahrverhalten. Der RB19 zeigte sich auf Randsteinen und in bestimmten Kurventypen von seiner launischen Seite. "Wir brauchen noch Feintuning. Aber im Longrun sind wir stark. Das beruhigt mich", atmete Marko auf. Ein Rückbau auf die alte Version kommt nicht in Frage.
Verstappen schaffte einen Dauerlauf, und das auch nur über neun Runden auf den Soft-Reifen, die am Sonntag gar nicht zum Einsatz kommen. Bei Perez waren Pirellis C5-Sohlen so schnell verschlissen, dass er gegen den Plan eine Garnitur Medium anfahren musste.
Am ersten Trainingstag auf dem Hungaroring war Reifensparen angesagt. Pirelli stellt diesmal nur elf statt 13 Sätze Reifen bereit. In den Qualifikationsrunden Q1 bis Q3 müssen je ein Satz hart, medium und soft gefahren werden. Deshalb verzichtete Verstappen bewusst auf die härteren Mischungen. Mercedes absolvierte das ganze zweite Training auf einem gebrauchten Satz medium, den man aus dem Vormittag hinübergerettet hatte.
Weil in der ersten Trainingssitzung schon nach fünf Minuten Regen einsetzte und die Teams sich auf Reifensparen verlegten, sind die Datenspeicher nur mäßig gefüllt und die Longruns schwer miteinander vergleichbar. Bestzeithalter Charles Leclerc traute sich deshalb auch keine Analyse zu: "Wegen der neuen Reifenverteilung macht jeder etwas anderes, und es ist fast unmöglich, herauszulesen, wer wo steht. Unser Auto fühlt sich gut an, hat aber an den bekannten Stellen immer noch seine Schwachpunkte. Red Bull hatte vielleicht nicht den besten Tag, aber ich erwarte sie immer noch vorne."
Sechs Dinge, die Sie wissen müssen
1) Was war mit Red Bull los?
Red Bull rangiert in der zweiten Tabellenhälfte. Auf eine Runde kamen Max Verstappen und Sergio Perez nicht wie gewünscht in Fahrt. Sie rapportierten Probleme über die Randsteine und mit der Balance in bestimmten Kurventypen. Am Ende fehlten Verstappen fast sechs Zehntel auf die Bestzeit. Perez lag 1,3 Sekunden zurück. Danach war die Verwirrung groß: Lag es am Setup, am Upgrade, an beidem?
Auffällig war, dass die Red-Bull-Piloten mit einem Topspeed von 302,2 und 300,9 km/h im hinteren Teil des Klassements lagen. Normalerweise zählt das effizienteste Auto im Feld auch auf den Geraden zu den Schnellsten. "Wir müssen noch einiges verbessern, wissen aber, wo wir ansetzen müssen", bilanzierte Sportchef Helmut Marko.
Beide Fahrer waren mit dem Ziel in die zweite Sitzung gegangen, nur einen Satz Soft zu verwenden. Perez musste nach sechs Runden auf eine Garnitur Medium umsteigen, die er drei Runden lang fuhr, nur um zum Schluss noch einmal fünf Runden auf den abgefahrenen Softs herumzurutschen. Im Longrun lief es für Verstappen besser. Das Team hatte vorher einige Korrekturen an der Abstimmung angebracht.
Doch Verstappens Longrun-Bestzeit auf den Soft-Reifen hat wenig Aussagekraft. Der Soft ist zu weich für das Rennen, und der Weltmeister musste eine Abkühlrunde in seinen Dauerlauf einschieben. Das gleiche galt für Charles Leclerc, der auf dem gleichen Reifentyp im Mittel nur zwei Zehntel langsamer war. Verstappen kritisierte das neue Qualifikationsformat, das die Teams zum Reifensparen zwingt: "Es wird nicht einfach herauszufinden, ob das Upgrade auf der Strecke tut, was die Simulationen versprochen haben. Wir brauchen am Samstag mehr Runden, um unser Upgrade besser zu verstehen."
2) Welchem Auto passt der Hungaroring am besten?
Wenn der erste Trainingstag repräsentativ war, dann muss man fast sagen: dem McLaren. Sollte sich die gute Form bestätigen, wäre das eine Sensation, weil das Auto vor dem großen Upgrade in langsamen und mittelschnellen Kurven seine Probleme hatte. Teamchef Andrea Stella stapelte deshalb tief: "Wenn wir es ins Q3 und in die Punkteränge schaffen, wäre das eine Bestätigung dafür, dass wir mit dem Upgrade einen echten Fortschritt gemacht haben." Geholfen haben sicher die kühlen Temperaturen. Am Samstag und Sonntag soll es deutlich heißer werden. Bis dahin werden auch die Bedenken im Team über die wahren Qualitäten der B-Version des MCL60 bleiben.
Lando Norris war schnell auf eine Runde und über die Distanz. Der Engländer verfehlte Leclercs Bestzeit um 15 Tausendstelsekunden und lag im Longrun auf Medium-Reifen hinter den beiden Alfa-Sauber-Piloten auf Rang 3. Valtteri Bottas und Guanyu Zhou waren allen ein Rätsel. Die beiden splitteten ihre Longruns in zwei Teile und waren ungewöhnlich flott unterwegs. Auch Ferrari machte einen starken Eindruck. Auf eine Runde kennt man das. Diesmal konnte auch ein böiger Wind den roten Autos nichts anhaben. Und im Soft-Longrun fehlte auf Red Bull weniger Zeit als üblich.
Mercedes war mit den Plätzen 16 und 20 nicht zufrieden. Das Team hat sich Soft-Reifen für den Samstag aufgespart und will sich erst im dritten Training auf die Qualifikation einschießen. Dafür haben Lewis Hamilton und George Russell insgesamt 51 Runden Erfahrung mit dem Reifen gesammelt, der am Sonntag die wichtigste Option werden könnte.
Mercedes kam mit einem Satz Medium über den gesamten Tag. Da am Morgen hauptsächlich mit Intermediates gefahren wurde, übernahm man die kaum benutzte Garnitur Medium. Die Ingenieure müssen noch viel Kopfarbeit in das Setup stecken. "Irgendwie hatte es den Eindruck, als hätten wir die Reifen nicht in ihr Arbeitsfenster gebracht", erklärte Russell. Chefingenieur Andrew Shovlin bestätigte: "Wir müssen noch an der Balance arbeiten."
Aston Martin konnte nur in den Medium-Longruns überzeugen. Wie Mercedes will man sich erst am Samstag um die Qualifikation kümmern. "Wir haben viele Runden abgespult und viele Daten gesammelt", hakte Fernando Alonso den Tag als Erfolg ab. Alonso und Stroll zählten mit 32 und 33 Runden zu den fleißigsten Fahrern im Feld.
3) Kann Alpine zum Geheimfavoriten werden?
Das beste Saisonresultat erzielte Alpine in Monte Carlo. Esteban Ocon feierte dort einem Podestplatz. Inzwischen weiß man bei Alpine warum. Weil in Monte Carlo Motor-Power keine Rolle spielt. Am Hungaroring ist es mit nur 58 Prozent Volllast ähnlich. Prompt landeten Pierre Gasly und Esteban Ocon auf den Plätzen 3 und 5.
Die französischen Nationalrennwagen haben ein Problem mit der Motorleistung. Vergleichsmessungen haben ergeben, dass auf Ferrari, Mercedes und Honda mindestens 30 PS fehlen. Auch im Longrun waren Gasly und Ocon bei der Musik. Gasly fehlten zwei Zehntel auf Norris.
4) Wie schlägt sich Ricciardo ?
Auf eine Runde verlor Daniel Ricciardo 0,451 Sekunden auf Teamkollege Yuki Tsunoda. Das ist auf einer Strecke mit nur 78 Sekunden Fahrtzeit eine Menge Holz. Der Heimkehrer hatte allerdings nur einen Tag im Simulator, um sich auf den Alpha Tauri einzuschießen. Teamchef Franz Tost bittet um Geduld: "Es ist klar, dass Daniel nach so langer Pause ein bisschen Eingewöhnungszeit braucht, um aus den Soft-Reifen das Maximum herauszuholen."
Im Longrun sieht es besser aus. Ricciardo drehte zwar 30 Runden, schaffte aber nur ein Mal sechs Runden am Stück, mit einer Abkühlrunde dazwischen. Sein Schnitt: 1.23,831 Minuten. Teamkollege Yuki Tsunoda drehte 17 Runden auf den Soft-Reifen und war im Mittel mit 1.24,035 Minuten erstaunlich schnell.
5) Wie stehen Hülkenbergs Chancen?
Es war das übliche Spiel. Auf eine Runde landete Nico Hülkenberg mühelos in den Top Ten. Auf Platz 6 fehlten dem Haas-Pilot nur 0,372 Sekunden auf die Tagesbestzeit. "Leider lief es im Longrun wie üblich nicht so toll. Es fühlte sich im Auto nicht gut an. Wir müssen sehen, ob wir kurzfristig Lösungen finden. Die werden wir brauchen, weil es deutlich heißer werden soll." Eine Maßnahme könnte sein, den Abtrieb zu erhöhen. Die Haas waren die schnellsten Autos auf der Zielgerade.
Hülkenberg rangierte im Medium-Dauerlauf an letzter Stelle und war im Schnitt 0,7 langsamer als Alexander Albon in einem Williams, der auf langsamen Rennstrecken nicht gerade eine Rakete ist. Der Deutsche fürchtet außerdem, dass ihm das neue Qualifikationssystem mit vorgeschriebenen Reifen für das Q1, Q2 und Q3 einen Streich spielen könnte. "Mit den harten Reifen durch das Q1 zu kommen, wird keine leichte Aufgabe."
6) Ist der weiche Reifen ein Rennreifen?
Pirelli hat weichere Reifen im Gepäck als letztes Jahr. Der Medium-Reifen von heute (C4) war der Soft-Reifen von gestern. Der C2-Gummi erwies sich 2022 als zu hart. Das brachte Pirelli dazu, die Optionen zu korrigieren. Das wirft gleichzeitig die Frage auf: Ist der Soft-Reifen (C5) für den Dauerlauf zu weich?
Vor dem ersten Trainingstag wetteten die meisten Ingenieure darauf, dass am Sonntag mit den Mischungen hart und medium gefahren wird. Der erste Trainingstag bestätigte diese Einschätzung. Vergessen Sie die Soft-Longrun. Sie sagen nichts aus. Pirelli-Sportchef Mario Isola kann sich am Sonntag sogar drei Stopps vorstellen, wenn die Temperatur tatsächlich wie angekündigt auf 32 Grad steigt.
Fahrer | Schnitt Rundenzeit | Runden | Reifentyp | Stint |
Verstappen | 1.23,335 min | 9 | soft | 3 |
Leclerc | 1.23,547 min | 9 | soft | 2 |
Sainz | 1.23,850 min | 9 | soft | 2 |
Tsunoda | 1.24,035 min | 17 | soft | 1 |
Bottas | 1.23,269 min | 3+10 | medium | 1+2 |
Zhou | 1.23,309 min | 4+11 | medium | 1+2 |
Norris | 1.23,464 min | 19 | medium | 1 |
PiastrI | 1.23,640 min | 7 | medium | 1 |
Gasly | 1.23,685 min | 15 | medium | 1 |
Russell | 1.23,741 min | 9+6 | medium | 1+2 |
Alonso | 1.23,781 min | 14 | medium | 1 |
Stroll | 1.23,840 min | 15 | medium | 1 |
Ocon | 1.23,872 min | 17 | medium | 1 |
Albon | 1.23,915 min | 16 | medium | 2 |
Hamilton | 1.24,073 min | 18 | medium | 1 |
Sargeant | 1.24,261 min | 17 | medium | 2 |
Hülkenberg | 1.24,794 min | 19 | medium | 2 |
Magnussen | 1.24,559 min | 13 | hart | 2 |