Das Qualifying bedeutet in der heutigen Formel 1 fast die halbe Miete. Ohne eine gute Startposition rückt der Sieg bereits am Samstag in weite Ferne. Dennoch gab es in mehr als 70 Jahren Formel 1 verrückte Rennen, bei denen ein schlecht qualifizierter Fahrer den Grand Prix gewann. Der aktuelle Weltmeister Max Verstappen hat sich mit seinem Triumph auf dem Hungaroring in die Phalanx der großen Aufholjagden katapultiert. Allerdings liegt er in der Rangliste verglichen mit anderen Renncomebacks am Sonntag nicht ganz vorne.
John Watson: Von Platz 22 zum Sieg
Über allen thront John Watson in der Rangliste der größten Aufholjagden, die in einem Sieg endeten. Der Engländer gewann 1983 den Großen Preis der USA West in Long Beach von Startplatz 22. Watson hatte in seinem McLaren MP/1C als beste Qualifikationszeit nur eine 1:30.100 Minuten erzielt. Dem damals 36-Jährigen fehlten fast vier Sekunden auf Pole-Mann Patrick Tambay im Ferrari, der vor seinem Teamkollegen René Arnoux ins Rennen ging. Eine Parallele zu heute: Schnelle Ferrari im Qualifying gewinnen zwangsläufig nicht am Sonntag das Rennen.
Als die Startampeln sonntags ausgingen, arbeiteten sich Watson und sein Teamkollege Niki Lauda peu à peu nach vorne. Der McLaren funktionierte mit den Michelin-Reifen im Rennen deutlich besser als auf eine schnelle Runde. Nachdem sich durch Kollisionen und technische Defekte die Konkurrenz selbst eliminiert hatte, feierte John Watson nach fast zwei Stunden Rennzeit den fünften und letzten Sieg seiner Formel-1-Karriere. Niki Lauda komplettierte den Doppel-Erfolg.
Lewis Hamilton: São-Paulo-Samba
Einer der größten aller Zeiten darf in dem Ranking ebenfalls nicht fehlen. In Brasilien 2021 zeigte Lewis Hamilton, wie stark das Feuer noch in einem siebenfachen Weltmeister lodert. Im Kampf um seinen achten Titel mit Max Verstappen musste der Engländer nach einem technischen Verstoß vom letzten Startplatz in das Sprint-Qualifying am Samstag gehen. Der Rekordsieger pflügte durch das Feld und landete nach 24 Runden auf Platz 5. Doch von diesem Rang durfte Hamilton am Sonntag nicht ins Rennen starten. Eine Motorenstrafe beförderte ihn auf Startplatz 10 zurück.
Doch davon ließ sich der Mercedes-Mann nicht beirren. Ein Gegner nach dem anderen fiel Hamilton zum Opfer. Bis er sich schließlich an seinen WM-Widersacher Verstappen herangerobbt hatte. Es entstand ein packender Zweikampf, bei dem der Niederländer sich bis aufs Blut verteidigte. Mehrmals an der Grenze des Erlaubten und darüber hinaus. Lewis Hamilton blieb mit seiner Erfahrung jedoch cool und wartete auf seine Chance. Er überholte Verstappen, gewann am Ende in São Paulo und krönte damit seine doppelte Aufholjagd an Samstag und Sonntag.
Rubens Barrichello: Tränenreicher Triumph
Weit vorne in der Wertung der größten Aufholjagden der Geschichte liegt Rubens Barrichello. Der Brasilianer siegte beim Großen Preis von Deutschland 2000 vom 18. Startplatz aus. Am Samstag hatte der Ferrari-Pilot noch verwachst, während Teamkollege und WM-Führender Michael Schumacher seinen F1-2000 in die erste Reihe stellte. Doch der Held des Volks wurde am Start von David Coulthard im McLaren abgedrängt und Schumacher kollidierte mit Giancarlo Fisichellas Benetton, der den ausweichenden Ferrari abschoss. Aus in der ersten Kurve.
An der Spitze zogen die McLaren-Mercedes von Mika Häkkinen und David Coulthard ihre Kreise. Doch ein verrückter Fan verschaffte sich nach 25 Runden Zugang zur Strecke. Das Safety Car kam heraus und der Vorsprung der McLaren war dahin. Einsetzender Regen am Ende führte dazu, dass viele Fahrer auf Regenreifen wechselten. Barrichello hingegen blieb auf den Trockenreifen draußen und fuhr zu seinem ersten Grand-Prix-Sieg. Auf dem Podium konnte der emotionale Brasilianer seine Gefühle nicht zurückhalten und ließ seinen Tränen freien Lauf.
Kimi Räikkönen: In der letzten Runde zum Sieg
Der Finne Kimi Räikkönen saß im Jahr 2005 im schnellsten Auto des Feldes. Zum WM-Titel reichte es für den McLaren-Mercedes-Fahrer dennoch nicht. Zuverlässigkeitsprobleme und ein schwacher Saisonstart ließen Räikkönen von Beginn an hinter den konstanten Fernando Alonso im Renault zurückfallen. Den Großen Preis von Japan nahm der Spanier bereits als Weltmeister in Angriff, nachdem er ein Rennen zuvor die Krone in Brasilien fixiert hatte.
Ein verregnetes Qualifying ließ die ersten Drei der Weltmeisterschaft nur von hinten starten. Sowohl Michael Schumacher als auch Alonso und Räikkönen fanden sich am Ende des Feldes wieder. Das sorgte für Spannung am Sonntag, als die Stars durch das Feld pflügten. Allen voran Kimi Räikkönen zeigte, was an guten Tagen in ihm steckte. Anfangs der letzten Runde lag der McLaren-Pilot auf dem zweiten Platz hinter Renault-Fahrer Giancarlo Fisichella. Den Römer trickste Räikkönen am Ende der Start- und Zielgeraden aus und ließ ihn außen herum stehen. Ein Manöver für die Geschichtsbücher.
Michael Schumacher: Spa-Gala im Regen
Ein Mann darf in dieser Rangliste natürlich nicht fehlen. Der Rekordweltmeister Michael Schumacher hat bei 91 Grand-Prix-Siegen auch den ein oder anderen Triumph eingefahren, der heraussticht. Einer davon ist der Sieg beim Großen Preis von Belgien 1995. In Spa-Francorchamps qualifzierte sich der damalige Benetton-Pilot nur auf dem 16. Startplatz. Der im Williams fahrende WM-Rivale Damon Hill ging von Rang 8 ins Rennen.
Der Start am Sonntag erfolgte unter trockenen Bedingungen. Schnell kämpfte sich Schumacher nach vorne und lag nach seinem ersten Boxenstopp in der 18. Runde auf Platz 2. Nur Hill fuhr vor dem Kerpener. Dann setzte Regen ein. Während der Engländer sich Regenreifen in der Box abholte, blieb Schumacher auf seinen Slicks draußen und übernahm die Spitze. Zwar konnte Hill schnell zum Deutschen aufschließen, doch der damals 26-Jährige zeigte all sein Können und hielt den Benetton auf nasser Bahn mit Trockenreifen vor dem schnelleren Williams.
Zwar überholte Hill Schumacher schließlich, doch der Regen hörte kurze Zeit später auf. Schumacher konnte mit den Slicks auf abtrockender Strecke wieder aufschließen und schnappte sich seinen Rivalen. Als der Regen erneut einsetzte, wechselten beide auf Regenreifen. Schumacher ließ daraufhin nichts mehr anbrennen und gewann auf seiner Lieblingsstrecke.
Fernando Alonso: Das größte Schurkenstück der Formel 1
Im Gegensatz zu den anderen Aufholjagden trägt die von Fernando Alonso in Singapur 2008 einen dunklen Schandfleck. Der Renault-Pilot war nach einem Jahr voller Querelen bei McLaren zurück in den Schoß von Flavio Briatore bei den Franzosen gekehrt. Doch die Truppe aus Enstone stellte dem Spanier kein siegfähiges Auto für die Saison 2008 zur Verfügung. Erst in Singapur hatte das Team den Anschluss an die Spitze gefunden.
Das Qualifying aber ging wegen eines technischen Defekts in die Hose und Alonso musste von Platz 15 starten. Im Rennen am Sonntag steuerte Alonso bereits in der zwölften Runde als erster Fahrer die Box an, um nachzutanken und neue Reifen montieren zu lassen. Zunächst fiel der Spanier auf Rang 20 zurück. Doch wie durch ein Geschenk des Himmels crashte dann ausgerechnet sein Teamkollege Nelson Piquet junior. Das Safety Car kam heraus und da alle Konkurrenten in dieser Zeit an die Box fuhren, lag Alonso plötzlich auf Platz 1. Diesen gab der Asturier bis ins Ziel nicht mehr ab.
Ein Jahr später kam die Wahrheit ans Licht. Teamchef Flavio Briatore und Technikchef Pat Symonds hatten Piquet angewiesen, seinen Renault in die Wand zu stopfen. Das verkündete der Brasilianer gegenüber der FIA, nachdem er kurz zuvor rausgeschmissen wurde. Die Untersuchungen im Anschluss belegten eindeutig, dass der Crash Absicht war, um eine Safety-Car-Phase auszulösen. Dadurch spülte es Alonso an die Spitze. Briatore und Symonds erhielten für ihr Vergehen saftige Strafen. Alonso beteuert bis heute, nichts von dieser Anweisung gewusst zu haben. Ein dunkler Fleck bleibt dennoch.