Die Formel 1 ist ein irrsinnig komplexer Sport. Da können Fehlentscheidungen schon mal vorkommen. Schließlich sind Menschen im Spiel, die diesen Sport betreiben. Ob sie fahren, ob sie Räder montieren, ob sie das Geschehen auf der Rennstrecke überwachen. Dutzende Kameras rund um die Piste, Onboard-Aufnahmen, Fans mit Handys auf den Tribünen: Was früher vielleicht verborgen blieb, wird heute aufgedeckt. Das macht den Job von allen komplizierter – und von der Rennleitung besonders.
Ich habe mir neulich ein altes Rennen angesehen: den GP Ungarn 2001. Da drehte sich Jenson Button mitten im Rennen in der Zielkurve weg und kam nicht mehr vom Fleck. Die Streckenposten schwenkten an einer unübersichtlichen Stelle die gelben Flaggen, während Kollegen den Benetton-Renault wegschoben. Früher kein Problem, nach heutigen Maßstäben würde ich behaupten, dass es für die Rennleitung eine Schelte gegeben hätte. Die Streckenposten waren ohne Safety-Car einer unnötigen Gefahr ausgesetzt.
FIA verpasst umfassende Restrukturierung
Damals war Charlie Whiting der oberste Wächter der Formel 1. Ein Gigant, der sicher auch Fehler gemacht hat. Wie jeder Mensch. Sein Nachfolger Michael Masi machte einen, als er das Safety-Car im Saisonfinale von Abu Dhabi falsch anwendete. Der Australier wollte dem Sport ein WM-Finale unter grüner Flagge ermöglichen. Es kostete ihn den Job – auf Druck von Mercedes, wie man hörte. Dass die sauer waren, ist allzu verständlich, schließlich verlor Lewis Hamilton so den Titel.
Leider ist die FIA in diesem Fall eingeknickt. Denn Masis Nachfolger machen keine bessere Arbeit. Aus meiner Sicht hat sich nichts verbessert. Die Teammanager sind nicht glücklich. Die Fahrer sind es nicht. Masi hatte zugehört und versucht, alle ins Boot zu holen. Seine Nachfolger sollen – so hört man – alles besser wissen. Sie meinen es jedenfalls. Man gewinnt den Eindruck: Entweder ist die Kommunikation zwischen Rennleitung und Teams/Fahrern gestört oder sie ist gar nicht vorhanden.
Einer der beiden ist schon weg. Niels Wittich und Eduardo Freitas, denen der erfahrene Herbie Blash als Berater zur Seite gestellt wurde, teilten sich bis zum GP Japan die Aufgabe. Seit dem Fast-Unfall von Pierre Gasly mit einem Bergekran wurde Freitas abberufen, und Wittich ist der alleinige Rennleiter. Auch das macht es nicht besser.
Mehr Reformen nötig
Die FIA hat über den Winter umstrukturiert. Nur hat sie leider nur ein paar Pflaster hier und da hingeklebt, statt die Rennleitung umfassend neu auszurichten. Man hatte keinen besseren als Masi und hat ihn trotzdem entfernt. Man hat den Rennleiter von der Kommunikation mit den Teams während des Rennens entkoppelt. Dafür gibt es einen Mittelsmann. Immerhin das. So können die Teams keinen direkten Einfluss mehr nehmen, und der Rennleiter sich konzentrieren.
Es hätte aber noch mehr Reformen gebraucht. Es bräuchte ein großes und eingespieltes Team, das sich die vielen Aufgaben teilt und gegenseitig stützt, um Fehlentscheidungen zu vermeiden. Und eines, das dafür sorgt, dass die gleichen Fehler nicht zwei oder drei Mal passieren. Auch das hat man offensichtlich verpasst.
Das Programm mit 22 Rennen ist zu viel geworden. Im nächsten Jahr sollen es 24 sein. Die Arbeitsbelastung ist zu hoch. Genau deshalb braucht es mehr als nur einen Oberaufseher. In einem Formel-1-Team ist der Teamchef ja nicht auch gleichzeitig der Chefstratege, Teammanager und Performance-Ingenieur. Masi stolperte auch, weil er wie Whiting alles machte, neue Strecken abnahm und jedes Rennwochenende organisierte.
Regel-Chaos um kaputte Teile
Der GP USA führte falsche Handlungsstränge der Saison zusammen – und lässt die FIA fast schon lächerlich aussehen. Kevin Magnussen wurde in drei verschiedenen Rennen per Flagge in die Box zitiert, weil eine Frontflügelendplatte an seinem Auto schief hing. Sergio Perez und George Russell durften in Austin dagegen mit beschädigtem Flügel weiterfahren. Am Red Bull von Perez flog irgendwann die Endplatte davon. Damit das nicht passiert, hatte man Magnussen drei Mal in die Box beordert zum Reparatur-Stopp.
Wieso darf ein Red Bull weiterfahren? Wieso darf es ein Haas nicht? Obendrauf kommt: Haas hatte die Rennleitung zwei Mal aufmerksam gemacht, dass die Endplatte am Red Bull flattert. Trotzdem keine Reaktion. Entweder die Rennleitung ist überfordert oder sie ist vergesslich, wie sie die Regeln in den Rennen zuvor ausgelegt hatte. Fragen muss man sich auch, was die FIA eigentlich im neu errichteten "Remote Operations Center", dem VAR der Formel 1, treibt.
Alonso durfte mit aberissenem Seitenspiegel bis ins Ziel fahren. Da hatte die Rennleitung nichts auszusetzen, obwohl alle Welt sah, dass der Spiegel erst baumelte und dann wegflog. Wieso ist eine defekte Endplatte mal gefährlich (aber nur am Haas), mal nicht (am Red Bull) und ein loser Seitenspiegel während der Fahrt erst nicht gefährlich und nach Rennende auf einmal schon? Da konnte Alpine ja nicht mehr reagieren.
Kein Wort von Wittich
Das Hin und Her nach dem GP USA und vor dem GP Mexiko ist ja schon schlimm genug. Die Sportkommissare ließen den Protest von Haas zu, obwohl das Team damit 24 Minuten zu spät dran war. Sie kassierten ihre Entscheidung erst im zweiten Anlauf, als Alpine das "Right of Review" bemühte. Und dort hervorbrachte, dass man erst vom verspäteten Protest in Kenntnis gesetzt wurde, als das Urteil der Sportkommissare erschien.
Erst am Donnerstag vor dem GP Mexiko erfuhr Alpine, dass der verspätete Haas-Einspruch auch deshalb zugelassen worden war (durch die Stewards), weil die Rennleitung Haas mitgeteilt hatte, das Team habe eine ganze Stunde, um den Protest einzureichen. Dabei hat man laut Reglement nur eine halbe, nachdem das vorläufige Ergebnis publik ist.
In diesem Fall hätte auch der US-Rennstall die Regeln besser kennen müssen – kann man argumentieren. Trotzdem: Eine falsche Auskunft darf es erst gar nicht geben von Seiten eines FIA-Verantwortlichen. Und: Vertreter der Rennleitung saßen am Rennsonntag von Austin mit in der Anhörung der Stewards. Sie hätten dort mal sagen können, was Haas mitgeteilt wurde. Dann hätten die Sportkommissare sofort eine endgültige Entscheidung treffen können.
Es ist gut, dass Alonso den siebten Platz zurück hat. Schlecht ist es, dass die FIA jetzt in einem noch schlechteren Licht steht. Der Schaden ist angerichtet. Keiner weiß, was beim nächsten Mal passiert, wenn ein Auto beschädigt ist. Wird es direkt aus dem Verkehr gezogen oder durchgewunken? Darf man wie Alonso mit nur einem Spiegel ins Ziel fahren? Protestiert dann ein Gegner nach dem Rennen?
Die FIA muss über den Winter dringend handeln. Der Weltverband muss für klare Regeln sorgen. Er muss klarstellen, ab wann ein Auto als unsicher einzustufen ist. Mit Flickschusterei ist es nicht getan. Das Reglement gehört entrümpelt und an vielen Stellen klargezogen. Sodass es jeder versteht und korrekt anwenden kann.
Auch die (wechselnden) Sportkommissare machen eine unglückliche Figur. Guanyu Zhou wurde in Saudi-Arabien mit einer Durchfahrtsstrafe belegt, weil Alfa Romeo eine Fünfsekunden-Strafe beim Boxenstopp nicht korrekt abgesessen hatte. Alpha Tauri patzte in Austin, und Pierre Gasly bekam zehn Strafsekunden aufgebrummt. Die Organisation der FIA braucht dringend eine klare Handschrift. Und eine bessere Kommunikation.