Die Formel-1-Strategen waren wieder einmal in Erklärungsnot. Am Sprint-Wochenende in Miami passierten viele Dinge, die schwer zu verstehen waren. Lando Norris fuhr im SQ2 auf Medium Reifen mit 1.27,597 Minuten eine klare Bestzeit. Nur wenige Minuten später war er auf Soft-Gummis neun Zehntel langsamer. "Wir haben die Reifen überkocht. Und die Fahrer haben Fehler gemacht", urteilte McLaren-Chef Zak Brown.
Daniel Ricciardo kam im Sprint als Vierter ins Ziel. Drei Stunden später reichte es im Qualifying nur zu Startplatz 18. Die Mercedes-Piloten gingen im letzten Versuch des Q3 auf Medium-Reifen auf die Bahn. Weil sie nichts anderes mehr übrig hatten.
George Russell stellte seine Soft-Zeit praktisch ein. Lewis Hamilton war mit der härteren Mischung um eine halbe Sekunde schneller. Auch Lando Norris streute einen Satz Medium in seine Qualifikations-Runs ein: "Weil ich mich auf den Soft-Reifen nicht sicher fühlte und wieder Vertrauen zurückgewinnen wollte."
Der kleinste Rutscher hatte große Folgen. Charles Leclerc erwischte es im Q3 in Kurve 5, Lewis Hamilton in Kurve 11. Den Rest der Runde ging dann nichts mehr. "Die Reifenoberfläche war sofort zu heiß, und das wurde immer schlimmer", klagte Leclerc. Nach Ansicht von Aston-Martin-Chefingenieur Tom McCullough lag es am Streckenlayout des Miami Autodrome, dass sich die Reifen nur schwer erholen können. "Von Kurve 4 bis 7 und von Kurve 11 bis 16 ist der Reifen unter Dauerstress. Da baut sich nach einer Initialzündung immer mehr Temperatur auf."
Soft hält, Medium rennt
Dabei war Pirellis weichste Mischung kein schlechter Reifen. Yuki Tsunoda und Logan Sargeant pokerten damit im Sprint. Am Ende war es kein Poker. Tsunoda arbeitete sich vom 15. Startplatz auf Rang acht nach vorne und holte noch einen Punkt. Sargeant wurde Zehnter und spulte eines der besten Rennen seiner Formel-1-Karriere ab.
Seltsam war auch, dass die Pole Position um 0,430 Sekunden über dem Vorjahr lag. Das Rennen war nach Abzug der kurzen VSC-Phase und den vier Runden hinter dem Safety-Car um 20 Sekunden langsamer als 2023. Die Teams schoben es auf die hohen Temperaturen. Doch auch im Jahr davor war es heiß.
Es musste andere Gründe haben. Ein Indiz dafür lieferte der Grip auf der Strecke. Mehr Gummiauflage beflügelte die Autos weniger als erwartet. Vom ersten Training zum Q3 wurden die Autos nur um 1,3 Sekunden schneller. Bei der Ausgabe 2023 fielen die Rundenzeiten um 3,2 Sekunden.
Selbst Pirelli-Sportchef Mario Isola zeigte sich überrascht: "Der Soft-Reifen war über die Distanz besser als gedacht. Dafür lag der Medium in der ersten Runde viel näher am Soft, als wir es vorausberechnet hatten." Isola hatte für die ungewöhnlichen Charaktereigenschaften seiner Reifen nur eine Erklärung: "Der Veranstalter hat vor dem Rennen den Asphalt behandelt und etwas an der Rauigkeit verändert. Es scheint so, als hätten die Reifentypen unterschiedlich darauf reagiert."
Viele Probleme mit der Fahrzeugbalance
Auch im Rennen setzte sich das Rätselraten fort. Lando Norris war auf 27 Runden alten Medium-Reifen vier Zehntel schneller als Max Verstappen auf nahezu frischen harten Sohlen. Im direkten Vergleich der alten Medium-Reifen gegen die neuen harten Gummis gewann Norris pro Runde drei Zehntel auf den Weltmeister.
Verstappen klagte über Balanceprobleme. Übersteuern in langsamen Kurven, Untersteuern in schnellen. Teamkollege Sergio Perez ging es ähnlich. Die Mercedes-Piloten verfluchten die harten Reifen, waren auf den Medium-Gummis aber bei der Musik. Es war in Miami noch schwieriger als sonst, Vorder- und Hinterreifen gleichzeitig in ihr Arbeitsfenster zu bekommen. Auch die Aston Martin und die Haas fühlten sich auf der C3-Mischung wohler als auf dem C2. Und den hatten sich alle Teams krampfhaft für das Rennen aufgehoben.
Das hohe Startgewicht und unterschiedliche Reifentypen mit unterschiedlicher Lebensdauer haben dem Hauptrennen gutgetan. Es wurden 40 Überholmanöver gezählt. Dazu viele Rad-an-Radkämpfe. Da war der Sprint mit sieben Positionswechseln eher enttäuschend. Es gab kein Unterscheidungsmerkmal. Mit zwei Ausnahmen waren alle Fahrer auf Medium-Reifen unterwegs, und das Startgewicht war bei 19 Runden relativ gering. Das entlastete die Reifen. So konnten alle konstant ihre Rundenzeiten fahren.
DRS erwies sich seltener als sonst als Hilfe. Das lag daran, dass die Messpunkte für das Zeitdelta der beiden Autos direkt hinter Kurvenfolgen lagen, in denen die Reifen besonders leiden mussten. Es war schwer, in diesem Bereich am Vordermann dranzubleiben. Nico Hülkenberg sprach aus Erfahrung. "Wenn du nur ein Auto vor dir hattest, ging es noch mit den Turbulenzen. Aber an fünfter oder sechster Stelle im Pulk war es brutal. Da hast du so viel schlechte Luft abbekommen, dass du nur gerutscht bist."