18 Überholmanöver, 36 Boxenstopps: Dieses Missverhältnis zeigt, dass der GP Ungarn nicht das spannendste Rennen in der Geschichte des Hungarorings war. Nachdem Max Verstappen schon beim Start die Quali-Niederlage korrigiert hatte und sich Oscar Piastri, Lando Norris und Lewis Hamilton hinter ihm einreihten, war eine natürliche Reihenfolge gegeben, an der sich nur etwas änderte, weil Hamilton nicht seinen besten Tag erwischt hatte.
Mercedes hatte bei drückend heißen Bedingungen vielleicht das zweitschnellste Auto im Feld, doch der Vorteil gegenüber McLaren war zu klein, um auf der Rennstrecke etwas zu ändern. Piastri rutschte nur aus dem Kreis der Podest-Kandidaten, weil er sich auf einem Randstein den Unterboden beschädigt hatte. Das kostete Abtrieb und trieb den Reifenverschleiß nach oben.
Piastri wird für das Team geopfert
Lando Norris konnte sich bei Hamilton bedanken, dass er zum zweiten Mal in Folge als Zweiter ins Ziel fuhr. Der Versuch von Mercedes, einen der McLaren mit einem Undercut zu knacken, führte dazu, dass die McLaren-Strategen die Reihenfolge beim ersten Boxentopp änderten. Nicht der besser platzierte Piastri bekam den Vorzug, sondern Norris. Das kostete Piastri eine Position an seinen Teamkollegen.
Teamchef Andrea Stella erklärte, warum die Strategen gegen die goldene Regel verstießen: "Wir mussten Lando vor dem Undercut von Hamilton schützen. Seine Position war mehr in Gefahr als die von Oscar. In solchen Momenten musst du zuerst an das Teamergebnis denken."
Pech für Piastri: 2,2 Sekunden Vorsprung auf Norris reichten nicht aus, um seinen zweiten Platz zu halten. Der Australier kam eine Runde nach dem Teamkollegen an die Box, reihte sich aber hinter ihm wieder ein. "Das lag auch daran, dass Lando eine extrem schnelle Runde aus der Box gefahren war", rechnete Stella vor.
Hamilton verschläft den zweiten Stint
Der Plan von Mercedes, Hamilton an einem der McLaren vorbeizubringen, funktionierte nicht. Der siebenfache Weltmeister hatte zu viel Respekt davor, dass es ihm die Hinterreifen bei 50 Grad Asphalttemperatur und zu aggressiven ersten Runden heimzahlen würden. "Wir waren beim Reifenmanagement zu konservativ", bilanzierte Teamchef Toto Wolff.
Das war eine freundliche Umschreibung dafür, dass der Quali-Schnellste in fünf Runden 8,8 Sekunden auf Norris verlor. Zum Vergleich listen wir hier die Rundenzeiten der beiden Engländer auf. Hamilton ging in Runde 16 mit einem Rückstand von 3,5 Sekunden auf Norris an die Box. Fünf Runden später war das Defizit trotz des früheren Boxenstopps auf 12,3 Sekunden angewachsen. Das fiel auch dem Rekordsieger auf. Bei der Nachfrage am Funk, wieso der Abstand plötzlich so groß sei, bekam er keine ehrliche Antwort. Die hätte so ausgesehen:
Runde | Norris | Hamilton |
IN-Runde | 1.27,115 min (17) | 1.27,791 min (16) |
OUT-Runde | 1.40,528 min | 1.44,676 min |
2. Runde | 1.23,543 min | 1.25,756 min |
3. Runde | 1.23,941 min | 1.25,538 min |
4. Runde | 1.23,499 min | 1.24,258 min |
5. Runde | 1.23,881 min (22) | 1.24,403 min (21) |
Erst in seiner zwölften Runde nach dem Boxenstopp fuhr Hamilton schnellere Zeiten als Norris. Trotz der vorsichtigen Anfahrphase profitierte der Mercedes-Pilot im zweiten Stint nicht davon, was daran lag, dass sich der harte Reifen über die Distanz anders verhielt als der Medium-Gummi, den beide im ersten Abschnitt auf dem Auto hatten. Hamilton schätzte die harte Mischung völlig falsch ein.
Als Norris in Runde 43 seinen zweiten Stopp einlegte, hatte er immer noch 11,4 Sekunden Vorsprung. Hamilton konnte seinen zweiten Reifenwechsel fünf Runden länger hinauszögern, doch das wurde nicht zum Matchwinner im Duell gegen Norris. Der McLaren-Pilot verlor in den letzten 20 Runden 16,7 Sekunden auf Hamilton, aber er blieb vorne.
Ferrari im Angsthasen-Modus
Der GP Ungarn war ein klassisches Zweistopp-Rennen. Als erfolgreichste Reifensequenz erwies sich Medium-Hart-Medium. Es war die Standardwahl der Reifenstreichler wie Verstappen, Norris, Hamilton, Piastri und Ricciardo.
Max Verstappen erkannte am Sonntag sein Auto nicht wieder. Das Untersteuern war verschwunden, der Red Bull bewegte sich wie auf Schienen. "Ich hätte im letzten Stint auch einen Soft-Reifen nehmen können. Das Auto war unglaublich gut. Es sieht so aus als hätten uns das Setup und die Hitze in die Karten gespielt."
Alle Teams, die im Rennen eine starke Reifenabnutzung befürchten mussten, wählten die Angsthasentaktik mit Medium-Hart-Hart. Dazu gehörten natürlich die Ferrari, die Haas und die Williams, überraschenderweise auch die Alfa Romeo und ein Aston Martin.
Fernando Alonso musste mehr Reifenmanagement betreiben als ihm lieb war. Seine Hoffnung, im Rennen die Autos, die sich in den letzten Qualifikationsminuten vor ihn gedrängelt hatten, mit dem geringeren Reifenabbau zu schlagen, erfüllte sich nicht.
Soft als Starthilfe für Sainz und Stroll
Carlos Sainz und Lance Stroll versuchten ihre schlechten Startplätze mit Soft-Reifen am Start zu korrigieren, was ihnen wegen des kürzeren ersten Stints zwei Mal die harten Reifen aufzwang. Der Gripvorteil zahlte sich beim Start aus. Sainz machte fünf Positionen gut, Stroll vier. Stroll kam nur 9 Runden weit, Sainz erstaunlicherweise 15 Runden. Beide wurden für ihre Alternativ-Taktik mit WM-Punkten belohnt.
Sainz musste schlucken, dass Charles Leclerc beim zweiten Boxenstopp den Undercut bekam. Der Vize-Weltmeister von 2022 wäre ohne seine Boxenpannen weit vor Sainz gelandet. Der missglückte erste Reifenwechsel dauerte 9,3 Sekunden. Dazu kamen 5 Sekunden Strafe, weil Leclerc in der Boxeneinfahrt den Tempomat zu spät gedrückt hatte und mit 80,7 km/h geblitzt wurde.
Eine noch größere Aufgabe als Sainz und Stroll hatten Sergio Perez und George Russell von den Startplätzen 9 und 18 vor der Brust. Red Bull wollte Perez unbedingt auf das Podium bringen. Mercedes rechnete für Russell Platz 11 bei normalem Rennverlauf aus und Rang 7, wenn es gelingen würde, alles von A bis Z perfekt auf die Bahn zu zaubern.
Um das Vorhaben umzusetzen, mussten beide auf den harten Reifen starten und lange fahren, um dann Zeit gut zu machen, wenn die Medium-Starter aus dem Weg waren. Perez hielt bis Runde 24 durch, Russell bis Runde 28. Das brachte ihnen zunächst nur einen bescheidenen Platzgewinn. Perez rückte nach der Serie der ersten Boxenstopps auf Platz 7 vor, Russell an die 14. Stelle.
Perez und Russell gewinnen im Mittelstint
Der entscheidende Stint war der zweite. Jetzt fuhren beide mit Medium-Reifen außerhalb der normalen Sequenz und mussten nun mit frischen Sohlen und dem Vorteil der weicheren Mischung im Vergleich zum Rest des Feldes Tempo machen. Nur so konnte die Aufholjagd gelingen.
Die zweiten Reifenwechsel fanden dann wieder im Rahmen der anderen statt. Perez fuhr den dritten Satz etwas zu forsch an und büßte dafür in den letzten sieben Runden. Deshalb musste er von Norris abrücken und sah Hamilton immer größer im Rückspiegel. Perez machte den Überrundungsverkehr und den hohen Gummiabrieb, der neben der Ideallinie lag, dafür verantwortlich: "Ich musste einmal von der Linie runter und habe zwei Runden gebraucht, bis die Reifen wieder sauber waren."
Russell ließ in seiner finalen Attacke beide Ferrari aussteigen. Auf Sainz fehlten nach dem zweiten Boxenstopp nur 4,3 Sekunden. Der Spanier hatte mit seinen harten Reifen gegen Russell auf den Medium-Gummis keine Chance. Das Duell gegen Leclerc erledigte die Strafe. Der Mercedes-Pilot flog 0,5 Sekunden hinter Leclerc über die Ziellinie, stand in der Wertung aber 4,5 Sekunden vor dem Mann mit der Startnummer 16.