Max Verstappen gewinnt in jeder Lebenslage. Der Weltmeister ist sicher ein exzellenter Fahrer, doch er hat am Sonntag auch das beste Auto im Feld. Mercedes bezahlt im Rennen für seine Schwäche am Samstag. Bei Ferrari ist es seit der Sommerpause umgekehrt. Sie fahren auf Red-Bull-Niveau am Samstag, zahlen dann aber den Preis mit erhöhter Reifenabnutzung am Sonntag.
Der GP USA lieferte ein gutes Beispiel für dieses Bild, das sich durch die komplette zweite Saisonhälfte zieht. Der erste Stint war ein Spiegelbild für den Rennspeed. Die drei Topteams gingen auf Medium-Reifen ins Rennen. Lewis Hamilton verlor in zwölf Runden 4,3 Sekunden auf Verstappen. Erst auf den harten Reifen fuhr Hamilton auf Augenhöhe mit dem Red Bull. Im letzten Stint spielte Verstappen den Reifenvorteil aus. Er war eine Stufe weicher unterwegs als Hamilton. Das machte auch die 8,1 Sekunden wett, die er länger an den Boxen stand.
Mercedes wählt hart statt medium
Mercedes hatte nicht die Freiheit wie Red Bull und Ferrari, sich je zwei Garnituren Hart und Medium für das Rennen zu reservieren. Hamilton und Russell brauchen vier Satz der Soft-Reifen, um komfortabel durch die Qualifikation zu kommen. Red Bull und Ferrari haben auf eine Runde den Speed, sich einen Satz der weichsten Mischung zu sparen und in eine der härteren Reifentypen zu investieren.
Mercedes hätte theoretisch auch einen harten Reifen und zwei Sätze Medium für das Rennen bereithalten können. Doch dann hätte man das gleiche erlebt wie im ersten Stint. "Im direkten Vergleich auf den Medium-Reifen war uns Max vier Zehntel voraus. Für uns war der härtere Reifen der bessere. Er hat uns nach acht Runden einen Vorteil von einem Zehntel gegenüber dem Medium gegeben", bedauern die Strategen.
Unberechenbares Auto bremst Hamilton
Während Teamchef Toto Wolff kurz nach Verstappens missglücktem Boxenstopp noch kurz die Hoffnung hatte, 6,4 Sekunden Vorsprung und Leclerc als Puffer dazwischen könnten Hamilton zum ersten Saisonsieg reichen, waren die Ingenieure von Anfang an skeptisch. "Wir hatten sogar Angst, von Leclerc geschlagen zu werden." Im Vergleich zu Red Bull war Mercedes nur in den S-Kurven schneller, verlor aber in den Kurven 1, 11 und 12 und auf der langen Gerade massiv Zeit. Der Mercedes erwies sich als wesentlich windanfälliger.
Das erklärt auch, warum Verstappens Aufholjagd nicht kontinuierlich verlief. Es gab immer mal wieder Runden, in denen Hamilton den Vorsprung halten konnte, dann aber auch wieder Runden, wo bis zu sieben Zehntel auf der Strecke blieben. "Das war nicht Lewis, es war unser unberechenbares Auto. Lewis sagt, dass du eine Kurve exakt so anfahren kannst wie die Runde davor, und das verdammte Ding wirft dich ab. Er kommt damit besser klar als George."
Immerhin verspürte Mercedes einen leichten Aufwärtstrend. Auf dem Papier war der Circuit of the Americas keine Mercedes-Strecke. Zu viele Bodenwellen, zu viel Wind und eine zu große Spanne zwischen den langsamen und schnellen Kurven. Da fällt der Setup-Kompromiss notgedrungen schlechter aus als auf Strecken mit einem dominanten Kurventyp. Das konnte nur heißen: Das Upgrade hat angeschlagen.
Ferrari-Wunder im ersten Stint
Die eigentliche Überraschung an der Spitze war Ferrari. Charles Leclerc brachte den F1-75 auf Medium-Reifen über 18 Runden, und er musste vom zwölften Startplatz auch noch acht Autos überholen, um auf Platz 4 zu landen. Jeder erwartete, dass unter den erschwerten Bedingungen die Reifen am Ferrari früher einbrechen als bei der Konkurrenz. Das Gegenteil war der Fall.
Leclerc belohnte sich für den langen Atem mit einem geschenkten Boxenstopp unter Safety-Car-Bedingungen. Da musste man den Ferrari-Pilot sogar als Siegkandidat auf dem Schirm haben. Sein Pech war, dass er sich nach dem Re-Start fünf Runden lang hinter Sergio Perez anstellen musste. Das hat fünf Sekunden gekostet. Verstappens schlechter Boxenstopp war das zweite Geschenk an Leclerc.
Der neue WM-Zweite kam nach dem zweiten Stopp vor seinem ehemaligen WM-Gegner wieder auf die Strecke, war aber im direkten Zweikampf chancenlos. Der Topspeed-Vorteil des Red Bull ist schon unter gleichen Bedingungen eklatant. Wenn Verstappen dann auch noch DRS hat, kann man ihn praktisch nicht abwehren. Leclerc versuchte es trotzdem und verheizte in dieser Phase seine Vorderreifen. Deshalb war die Reifenabnutzung im Schlussabschnitt höher als im ersten Stint. Und das rettete auch Hamilton. Trotzdem: Ferrari hat Fortschritte beim Reifenmanagement gemacht.
Aston Martin vierte Kraft
Das Duell Sergio Perez gegen George Russell wurde durch Russells Fünfsekunden-Strafe entschieden. Das warf den Mercedes-Piloten nach dem ersten Boxenstopp hinter den Mexikaner. Im direkten Duell auf der Strecke waren beide gleichermaßen gehandikapt. Beide hatten in der Startrunde in Zweikämpfen eine Frontflügelendplatte beschädigt. Da die Lücke hinter Russell groß genug war, hatte der WM-Vierte den Luxus eines freien Boxenstopps für die schnellste Runde.
Da von den drei Topteams nur Carlos Sainz die Zielflagge nicht sah, ging es für den Rest bestenfalls um Platz 6. "Ich hätte auch bei einem normalen Rennen ohne meinen Unfall mit Norris um den 6. Platz gekämpft", gab Fernando Alonso zu. Aber auch erst dann, als Sebastian Vettel mit einem 16,8-Sekunden-Stopp die Spitzenposition hinter den großen Drei geräumt hatte.
Der Aston Martin war das schnellste Auto im Verfolgerfeld. Vettel hatte bis zu dem verunglückten Reifenwechsel nur 4,5 Sekunden auf Perez und Russell und 12,2 Sekunden auf die Spitze verloren. Das bescherte ihm sogar zwei Führungsrunden, als die Kollegen vor ihm in die Boxen abgebogen waren. "Ich war selbst überrascht, wie schnell wir im Vergleich zur Spitze waren", gab Vettel zu.
Norris schlägt zu
Aston Martin wollte sich für den letzten Stint einen Reifenjoker aufheben und holte Vettel fünf Runden später als Russell und drei Runden nach Perez zum zweiten Stopp an die Box. Der Ex-Champion hatte genug Luft, um nicht in Undercuts seiner Verfolger zu laufen. Wie gut der Aston Martin unterwegs war, zeigte der letzte Stint. Vettel machte innerhalb von 15 Runden noch fünf Positionen gut und hielt trotz der vielen Zweikämpfe seine Reifen in Schuss. Die beiden Überholmanöver gegen Alexander Albon und Kevin Magnussen außen herum in den Kurven 16, 17 und 18 zählten zu den Highlights des Rennens. "Da hat sich gezeigt, warum er vier Mal Weltmeister war", lobte selbst Magnussen.
Das Duell Lando Norris gegen Fernando Alonso bestimmte der Zeitpunkt des zweiten Reifenwechsels. Alonso musste nach seinem Crash mit Stroll von Medium sofort wieder auf harte Reifen umstellen und dann 34 Runden durchhalten. "Der Medium wäre besser für unser Auto gewesen." Norris trat mit zwölf Runden frischeren Reifen gegen den Spanier an. Alonso wollte den beschädigten Alpine nicht als Ausrede gelten lassen: "Das Auto fühlte sich ganz normal an. Es hat kurz nach dem Unfall ein bisschen nach links gezogen, das hat sich aber wieder gelegt."
Alonso zählte neben Leclerc, Vettel, Ocon, Schumacher, Magnussen, Albon und Latifi zu den Safety-Car-Profiteuren. Sie konnten ihren ersten Boxenstopp in diese Phase legen. Mit Blick auf das ganze Rennen hat der glückliche Umstand nur Kevin Magnussen ein deutlich besseres Resultat geschenkt, als es bei einem normalen Rennverlauf möglich gewesen wäre. Runde 18 war eigentlich zu früh für den letzten Boxenstopp. Nur Magnussen und Albon haben bis zum Ende durchgehalten.
Alpha Tauri verschenkt Punkte
Im Kampf um Platz 8 in der Konstrukteurs-WM hat Haas einen kleinen Sieg gegen Alpha Tauri gelandet. Pierre Gasly schoss sich mit einer unnötigen Strafe wegen zu viel Abstand zum Vordermann in der Safety-Car-Phase selbst aus dem Rennen, und als dem Team beim Absitzen der fünf Sekunden vor dem zweiten Boxenstopp auch noch ein Fehler unterlief, war diese Karte endgültig verspielt. Yuki Tsunoda rettete mit einem starken Rennen und zwei relativ frühen Boxenstopps die Alpha-Tauri-Ehre.
Der Japaner wurde von einem Haas geschlagen. Nicht von dem Fahrer, der zunächst sein Gegner war. Mick Schumacher lag auf Platz 10, als Haas auf Gaslys Boxenstopp reagierte. Das war die absolut richtige Entscheidung, denn mit Gaslys Strafe war sichergestellt, dass Schumacher vor dem Franzosen landen würde. Was auch funktionierte. Nach dem Stopp hatte er nur noch einen Alpha Tauri vor der Nase. Davor waren es zwei.
Dass ein Wrackteil den Diffusor beschädigte und der Haas im Heck Abtrieb verlor, war nicht auf der Rechnung. Schumacher lag nach dem zweiten Stopp 3,5 Sekunden hinter Tsunoda. Mit einem intakten Auto hätte er gegen den Alpha-Tauri-Piloten auf der Strecke um den letzten Punkt kämpfen können.
Warum Magnussen & nicht Schumacher?
Trotzdem wurde nach dem Rennen Kritik laut, warum Magnussen die Einstopp-Strategie bekam, die schließlich zu WM-Punkten führte und nicht Schumacher. Das ist eigentlich gar keine Frage, die man sich stellen muss. Magnussens Rennen war keine Strategie, es war ein Unfall. Der eine Stopp war nie geplant. Hätte man ihn planen wollen, wäre der Däne nie in Runde 18 an die Box gekommen und hätte dann versucht, mit Medium-Reifen 38 Runden zu fahren. Das galt vor dem Rennen als Ding der Unmöglichkeit.
Die Option eines Einstopp-Rennens ergab sich erst, als Magnussen weit in die Punkteränge vorstieß und berichtete, dass die Reifen immer noch in guter Form sind. Als er in Runde 42 auf Platz 6 rutschte, sagte man am Haas-Kommandostand: Probieren wir es. "Und wenn es nicht funktioniert hätte, hätten wir Kevin bei einem späten Stopp noch die Soft-Reifen gegeben", verrät Teamchef Guenther Steiner. Dass Magnussen im Finale noch drei Plätze verlor, war keine Überraschung. Seine Gegner saßen in schnelleren Auto mit frischeren Reifen. Es reichte immer noch zu Punkten. Tsunoda war fünf Sekunden weit weg.