Meistens ist Angst kein guter Ratgeber. Angst vor dem Versagen. Die trieb Ferrari in Jeddah in die nächste Falle. Man hatte sich vorgenommen, wenigstens als Zweiter hinter den überragenden Red Bull nach Hause zu fahren. Nach 50 Runden war Ferrari chancenlos Vierter. Die Ohrfeige fiel noch schlimmer aus als in Bahrain. "Wir haben einen riesigen Berg Arbeit vor uns", reklamierte Carlos Sainz nach dem Rennen, das Ferrari die Plätze 6 und 7 brachte.
Teamchef Frédéric Vasseur versuchte, die Niederlage zu relativieren: "Wir waren schneller als in Bahrain und haben Fortschritte gezeigt. Leider nur bis zum ersten Stint im Rennen. Dann haben wir auf den harten Reifen Grip verloren. Das müssen wir untersuchen." Der neue Capo fordert: "Wir müssen unser Potenzial das ganze Wochenende zeigen und nicht nur über drei Viertel der Veranstaltung."
Ferraris Angst vor Defekt
Ferraris Probleme im Rennen waren vermutlich hausgemacht. Die komplette Vorbereitung war getrieben von der Sorge, in den gleichen Hammer zu laufen wie in Bahrain. Also einen Defekt im Antrieb und eine starke Reifenabnutzung, die beim Saisonauftakt zu einem Rückstand von 48 Sekunden auf den Sieger geführt hatte.
Priorität hatte die Zuverlässigkeit. Deshalb wurden als Vorsichtsmaßnahme in beiden Autos auch die Motoren getauscht, obwohl die ursächlich nichts mit dem Ausfall von Charles Leclerc in Bahrain zu tun hatten. Der Teufel steckte in einem Steuergerät.
Alle Piloten mit Ferrari-Motor waren in den freien Trainings angehalten, mit der niedrigsten Powerstufe zu fahren. Nur für jeweils eine Runde durfte Stufe 2 aktiviert werden, um so etwas wie ein Gefühl dafür zu bekommen, wie sich das Auto mit mehr Power anfühlt. In Qualifikation und Rennen wurde dann Stufe 1 gezündet, die dann noch einmal einen deutlichen Leistungsschub bringt.
Für die Fahrer waren die schnellen Runden am Samstagabend eine Herausforderung. Sie saßen in einem Auto, das sie so vorher noch nie gefahren haben. Unter den Umständen ist Leclercs Q3-Zeit ein Fortschritt. Auf den Trainingsschnellsten Sergio Perez fehlten nur 0,155 Sekunden. Aston Martin und Mercedes lagen 0,310 respektive 0,437 Sekunden zurück.
Angst vor Reifenverschleiß
Um den Reifenverschleiß zu senken, opferte Ferrari drei Trainingssitzungen dafür, die reifenschonendste Fahrzeugabstimmung zu finden. Das komplette Programm war auch darauf ausgerichtet, sich einen frischen Satz Soft für das Rennen aufzuheben. Notfalls mit dem Opfer eines schlechteren Startplatzes. Der erste Stint zeigte, dass die Ingenieure gute Arbeit geleistet hatten.
Leclerc kämpfte sich vom zwölften Startplatz auf Rang 6 nach vorne, ohne dabei seine Soft-Reifen zu verheizen. Sainz war auf den Medium-Gummis gut bei der Musik. Das Rundenzeiten-Delta im Vergleich zu George Russell wurde mit jeder Runde kleiner. Das sprach für besseres Reifenmanagement als bei Mercedes. Rückblickend kamen beide Ferrari-Piloten zu früh an die Box.
Die Reifen hätten es noch länger ausgehalten. Die Konkurrenz blieb auf der Strecke und profitierte vom Safety Car. Sainz sieht das nicht als Ausrede: "Mit oder ohne Safety Car. Wir waren danach auf den harten Reifen zu langsam. Das Ergebnis hätte bei einem glücklicheren Timing nicht anders ausgesehen."
Ferrari ohne Grip auf harten Reifen
In den letzten 30 Runden verlor Ferrari 36 Sekunden auf den Sieger, 15 Sekunden auf Aston Martin und zehn Sekunden auf Mercedes. Leclerc präzisierte: "Das hatte nichts mit der Reifenabnutzung zu tun. Wir waren einfach zu langsam." Sainz rätselte: "Am Freitag lagen wir bei den Longruns noch auf dem Niveau von Aston Martin und Mercedes. Am Sonntag konnten wir sie nicht halten."
Auch wenn Vasseur vor der eingehenden Analyse noch kein Urteil abgeben wollte, liefert die Vorgeschichte eine Erklärung dafür, warum Ferrari auf den harten Reifen keinen Grip gefunden hat. Man hatte sich so darauf versteift, die beiden weicheren Reifenmischungen zu schonen, dass die Fahrzeugabstimmung für den C2-Reifen vermutlich zu nett war.
Der Longrun auf den harten Reifen im ersten Freitagstraining war wenig repräsentativ. Da lag die Asphalttemperatur um zwölf Grad über der im Rennen. Und da galten noch um ein PSI niedrigere Reifendrücke. Dass Leclerc in diesem Training die schnellste Zeit auf den harten Pirellis fuhr, hat Ferrari vermutlich in die Irre geführt.
Braucht Ferrari radikalen Schritt?
Die Fahrer fordern angesichts des großen Rückstands auf Red Bull radikale Schritte. Leclerc hatte schon nach seiner vielversprechenden Q3-Zeit vor zu viel Optimismus gewarnt: "Bei allem Fortschritt: Red Bull fährt immer noch auf einem anderen Planeten." Und das muss das Ziel eines Teams sein, das 2022 Vize-Weltmeister geworden ist.
Vasseur hat alle Hände voll zu tun, dass aus Ferrari kein Panikorchester wird. Der Franzose versucht, die positiven Aspekte herauszukehren und die negativen in ein besseres Licht zu setzen. Im Gegensatz zu Mercedes zweifelt Ferrari noch nicht am Konzept seines Autos. "Nicht alles war schlecht in Jeddah. Ein schwacher Stint wird nicht unser Entwicklungsprogramm in Frage stellen. Unser Problem ist, dass wir das Potenzial des Autos nicht regelmäßig abrufen können."
Die Unsicherheit bei der Suche nach der Optimierung des SF-23 verwundert, da das Auto keine Unbekannte ist. Es ist eine radikale Weiterentwicklung des Vorgängers. Ob es schon an seine Grenzen kommt und andere Konzepte mehr Luft nach oben lassen, werden die nächsten zwei Monate zeigen. Ferrari plant zu jedem der nächsten Rennen Upgrades. Vasseur will sich darauf allein nicht verlassen: "Zuerst müssen wir verstehen, wie wir unser Paket optimieren. Erst dann können die Entwicklungsschritte greifen."