Als die Formel 1 im Vorjahr auf Groundeffect-Autos umschwenkte, da war die Vielfalt im Feld groß. Die Teams hatten die Regeln auf unterschiedliche Weise interpretiert, was sich in der Form der Autos widerspiegelte. Schon im zweiten Jahr glichen sich die Teams an. Immer mehr verließen ihren alten Weg und folgten Klassenprimus Red Bull mit seinem Downwash-Konzept der Seitenkästen.
Selbst Ferrari und Mercedes schauten beim Erzrivalen ab, um aufzuschließen. Was bis jetzt allerdings nicht funktioniert hat. Vielleicht auch, weil ihnen das alte Konzept beim neuen Fesseln anlegt. Wer an die Architektur des Autos heranwill, muss ein neues Chassis bauen. Das macht man nicht unter der Saison. Besonders nicht in Zeiten der Budgetdeckelung.
Haas in Red Bulls Spur
Fünf Rennen vor Saisonende 2023 ist die Konvergenz im Feld abgeschlossen. Als letztes Team begibt sich Haas in die Spuren von Red Bull. Durch die enge Technikpartnerschaft mit Ferrari war der VF-23 dem roten Auto sehr ähnlich. Beide kennzeichnete eine in die Seitenkästen eingelassene "Badewanne", die Ferrari in Spanien umbaute und Haas zum Heimspiel in Austin.
Es ist ungewöhnlich, dass ein Rennstall so kurz vor Saisonende einen neuen Weg einschlägt. Doch Haas sah sich dazu gezwungen. Mit der alten Philosophie konnten die Ingenieure anstellen, was sie wollten. Auf der Rennstrecke kam nicht mehr Abtrieb an. Und auch der Luftwiderstand wurde nicht geringer. Die Diskrepanz zwischen Entwicklungsarbeit in der Fabrik und Ergebnis auf der Rennstrecke wurde immer größer. Haas saß in einer Sackgasse, aus der man sich nun Schritt für Schritt herausbewegen will.
Diese Groundeffect-Autos haben schon viele genarrt. Weil fast alles von der Bodenfreiheit abhängt. Labor und Rennstrecke sind zwei verschiedene Paar Stiefel. Wer ein paar Millimeter gegenüber der Papierform in der Wirklichkeit zu hoch fahren muss, verliert sofort zehn bis 20 Punkte Abtrieb. Oder noch mehr. Deshalb ist bei Haas die Erwartungshaltung an die B-Version auch erstmal gering. "Wenn das ankommt, was uns die Windkanaldaten versprechen, unterschreibe ich sofort", sagt Teamchef Guenther Steiner. Dann wäre die Ausbaustufe, die im Ferrari-Windkanal entwickelt wurde, ein großer Erfolg. Dabei geht es nicht unbedingt um mehr Abtrieb in der Spitze, sondern um gleichbleibenden durch die Kurve.
Das Problem mit dem Windkanal
Doch der Südtiroler weiß um die Tücken. "Im Windkanal simulierst du keinen Seitenwind. Im Windkanal funktioniert jeder Luftwirbel ungestört. Auf der Rennstrecke jedoch gibt es so viele Einflussfaktoren, welche die Aerodynamik stören." Und genau das war für Haas wie für Ferrari mit dem alten Konzept ein riesiges Problem. In turbulenter Luft, im Verkehr hinter anderen Autos, verlor der US-Rennwagen überproportional an Anpressdruck. Eingeschlagene Vorderräder störten den Luftstrom so sehr, dass im Heck viel Abtrieb verloren ging. Deshalb entwickelte sich der VF-23 zu einem Reifenfresser.
Die Fahrer hoffen, dass es mit der B-Version besser wird. Dass der umgebaute US-Rennwagen die Hinterreifen wenigstens nicht mehr ganz so sehr frisst. Dass mehr Konstanz ins System kommt und die Balance durch die Kurve hinweg gleich bleibt, weil das Arbeitsfenster wächst. In der Theorie soll es so sein. Doch kommt das auch in der Praxis an? Beim Heimspiel hat Haas nur ein Training, um das neue Paket kennenzulernen und das Setup zu arretieren, bevor es in die Qualifikation am Freitagabend geht.
Denkbar ungünstige Voraussetzungen. "Aber warum sollen wir warten", entgegnet Steiner. "Hier in Austin könnte das Sprintformat als Ausrede herhalten, nichts zu tun. In Mexiko die Höhe. In Brasilien dann wieder der Sprint. Und Las Vegas ist für alle neu. Es bringt nichts, wenn wir warten. Wir sehen es so: Wir haben noch fünf Rennen, um zu lernen. Und wenn es nicht funktioniert, dann haben wir auch was gelernt."
Vier Mechaniker, eine Werkstatt
Das ist der springende Punkt. Haas nutzt den Schlussspurt in vorderster Linie, um sich besser auf 2024 vorzubereiten. Mit dem Umbau wollen die Ingenieure wichtige Daten und Erkenntnisse sammeln, die in die Entwicklung des nächstjährigen VF-24 einfließen. Erst dann wird Haas alle Schwachstellen ausbauen können. Die B-Version muss zu Teilen noch damit leben.
Für den Aufbau mietete Haas extra eine Werkstatt unweit der Rennstrecke in Austin an. Dort bereiteten vier Mechaniker ab Samstag (14.10.) den runderneuerten Rennwagen vor. Schon am Montag-Vormittag waren die Arbeiten weit fortgeschritten. "Ich habe angerufen, und die Jungs saßen beim Frühstück. Sie konnten sich das leisten, weil sie nicht mehr viel tun mussten. Sie haben einen unglaublichen Job gemacht", lobt der Teamchef.
Fast die komplette Bodykit ist neu. Da fallen zunächst die veränderte Motorabdeckung und die neu geformten Seitenkästen ins Auge. Eine Rampe auf der Oberseite leitet die Luft vorbei am Hinterrad. Auch der Einlass in den Seitenkasten ist neu. Unter der Verkleidung selbst haben die Ingenieure nur geringfügige Anpassungen vorgenommen. Die Kühler sind die alten, und nur die Zufuhr an die neue Einlass-Geometrie angepasst. Neue Kühler sind ein Projekt für 2024.
Kompromiss mit Crashstruktur
Das alte Konzept zwingt Kompromisse auf. Man sieht einen auf der Unterseite des Seitenkasten. Die untere Crashstruktur ragt heraus. Haas konnte sie nicht versetzen, weil es sonst ein neues Chassis bräuchte. Deshalb ist der Seitenkasten auch nicht so stark unterschnitten, wie es die Ingenieure gerne hätten. Auch nicht im hinteren Bereich, weil hier die Elektronikboxen sitzen. Im alten, breit wie hoch bauenden Seitenkasten konnte man sie leicht verstauen. Im neuen Seitenkasten stören sie, weil sie bei der Formgebung und dadurch bei der Aerodynamik einschränken.
Das wichtigste Bauteil der modernen Formel-1-Autos ist der Unterboden. Selbstredend hat Haas auch hier Hand angelegt. Besonders im vorderen Teil bei den Venturi-Kanälen, und weniger im hinteren. Alles nach Vorbild von Red Bull. Drei Kits der Ausbaustufe hat der US-Rennstall für den GP USA fertig bekommen. Das schafft Puffer, falls mal was schiefgeht.