McLaren Heckflügel-Trick: Auch Ferrari verbiegt sich

Streit um McLaren-Heckflügel-Trick
Ferrari mit eigenem Verbiege-Konzept

Nach der Flexi-Show des McLaren-Heckflügels in Baku ist die Aufregung groß. Was bringt der Trick? Bei genauer Analyse der Bilder fällt auf, dass auch andere mit einer gezielten Verbiegung arbeiten.

Charles Lecerc - GP Aserbaidschan 2024
Foto: xpb

Die Bilder sprechen für sich. Aufmerksame Fans haben nach dem GP Aserbaidschan die Heckflügel der Autos auf der Geraden studiert und dabei sehr genau hingeschaut. An den McLaren verbiegen sich ab Kurve 18 bei etwa 280 km/h die Heckflügel-Flaps in der Nähe der Endplatten nach oben.

Die rückwärts gerichtete Kamera zeigt ganz klar, dass sich damit an den Enden die Spalte zwischen Hauptblatt und Flap auf eine Länge von jeweils zehn Zentimetern rechts und links sichtbar vergrößert. Der erwünschte Effekt liegt auf der Hand. So will McLaren den Luftwiderstand des Flügels ab einer bestimmten Geschwindigkeit und Last reduzieren, solange das Auto mit nicht aktiviertem DRS unterwegs ist.

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Die Verbiegung ist ganz klar gewollt und nicht etwa zufällig. Sie war schon bei den Rennen vorher zu sehen, je nach Heckflügel-Familie ab unterschiedlicher Geschwindigkeit. Doch war die Vergrößerung der so genannten "Slotgap" auch der Matchwinner im Duell Oscar Piastri gegen Charles Leclerc? Das ist zu bezweifeln, wenn man die Zahlen genau analysiert.

Oscar Piastri - GP Aserbaidschan 2024
Wilhelm

In den Speed-Messungen lässt sich die Wirkung des McLaren-Tricks nicht erkennen.

Alle mit gleichem DRS-Gewinn

Der ehrlichste Topspeed-Vergleich lässt sich in der Qualifikation ziehen, weil da jeder unter gleichen Bedingungen fährt. Ab Kurve 16 fahren alle Vollgas. Im ersten Teil durch das Geschlängel bis weit in die Gerade hinein muss DRS geschlossen sein. Dort liegt auch die erste Messstelle. Laut FIA-Protokoll 137 Meter vor dem Beginn der DRS-Zone.

Der Topspeed-Bestwert wird in Baku ausnahmsweise auf dem Zielstrich ermittelt. Dort haben in der Qualifikation alle den Heckflügel geöffnet. Man bekommt also eine gute Aussage, wie sich die Geschwindigkeiten vom Nicht-DRS Messpunkt bis zum DRS-Messpunkt steigern.

Wir haben aus jedem Team den Fahrer herausgepickt, der in seiner schnellsten Quali-Runde keinen Windschatten abbekommen hat. Also Oscar Piastri, Charles Leclerc und Sergio Perez. Bei Mercedes sind beide Daten relevant. George Russell hatte wohl etwas Hilfe durch ein vorausfahrendes Auto, Lewis Hamilton nicht. Der Mittelwert erzählt die Wahrheit. Und hier ist das Ergebnis:

Ferrari zu langsam statt McLaren zu schnell

Die Tabelle zeigt, dass McLaren, Ferrari und Red Bull in einem ähnlichen Abtriebs-Fenster unterwegs sind. Mercedes hatte nach eigener Aussage auf weniger Anpressdruck gesetzt und war deshalb an beiden Messstellen besser als die Konkurrenz. Trotzdem liegt die Differenz der Autos zwischen Nicht-DRS und DRS innerhalb von 1 km/h.

Wäre der McLaren-Trick die entscheidende Erfindung, müsste bei Piastri der erste Wert deutlich näher am zweiten liegen. Tut er nicht. Die Differenz zu seinem späteren Renngegner Leclerc beträgt gerade mal 0,2 km/h. Das Argument, dass sich McLaren dank dem speziellen Flap-Layout einen größeren Flügel erlauben könnte, der dann in den Kurven Vorteile bringt, wird von Sektorzeiten widerlegt.

Leclerc ist in der Qualifikation in Sektor 1 und Sektor 2 schneller und im dritten Sektor praktisch gleich schnell. Im Rennen liegt er immer knapp hinter Piastri, was aber logisch ist, weil er 30 Runden lang die verwirbelte Luft des McLaren abbekam.

Kommen wir zum Rennen. Weil die Heckflügel weder gewechselt noch in ihrer Einstellung verändert werden dürfen, haben wir ein ähnliches aerodynamisches Bild wie im Training. Es ist aber wegen Windschatten-Einflüssen wesentlich schwieriger, die Zahlen zu deuten. Leclerc hatte 30 Runden lang Windschatten. Piastri aber zu Beginn des Rennens auch. Das höhere Sprit-Gewicht wirkt sich so spät auf der Geraden nur noch minimal aus.

Leclerc ist trotz DRS nicht am führenden Piastri vorbeigekommen. Aber nicht, weil der McLaren auf der Gerade so schnell, sondern weil der Ferrari so langsam war. Piastri verlor im Vergleich zum Training 1,8 km/h an Topspeed, Leclerc gewann trotz bestem Windschatten nur 4,0 km/h. Der addiert sich zum DRS-Vorteil noch dazu. Die Werte im Rennen liegen deshalb leicht über dem Training.

Das einzige Fragezeichen ist, warum Piastri am ersten Messpunkt im Vergleich zu sich selbst so viel schneller ist als am Samstag. Da man Auto nichts verändern darf, könnte ihm eines der späten Überrundungsmanöver geholfen haben. Oder er hatte im entscheidenden Moment mehr Power zur Verfügung.

Total unterschiedliche Heckflügel

Die Daten lassen vermuten, dass alle Teams mit der Biegsamkeit ihrer Heckflügel herumspielen, um in beiden Konfigurationen mehr Speed zu finden. Im Fall von Ferrari lässt sich das ebenfalls auf den Bildern der Onboard-Kamera erkennen. Man muss nur sehr genau hinschauen und vor allem an eine andere Stelle.

Vorweg: Beide Heckflügel sind von ihrem Konzept total verschieden. Bei McLaren hat das Hauptblatt einen größeren Bauch als am Ferrari, dafür stellt der SF-24 mehr Flügelfläche in den Wind. Die Endplatten sind am MCL38 viel stärker eingezogen. Der Flap von McLaren ist außen gerundet, der von Ferrari eckig. Die Einkerbung am oberen Rand in der Mitte ist bei Ferrari stärker ausgeprägt.

Der entscheidende Unterschied aber liegt in der Form der "Slotgaps" im Stand und bei niedrigen Geschwindigkeiten. Am McLaren ist sie über die gesamte Breite gleich groß. Beim Ferrari scheint sie in der Mitte gar nicht zu existieren. Erst jeweils 15 bis 20 Zentimeter rechts und links des HP-Logos öffnet sich die Ferrari-Spalte und ist an den Enden breiter als die von McLaren.

McLaren vs. Ferrari - GP Aserbaidschan 2024
xpb

Die Form der "Slotgap" zeigt, dass die Heckflügel von McLaren und Ferrari komplett verschieden sind.

So verbiegt Ferrari den Heckflügel

Allein dieses Beispiel zeigt, dass der McLaren-Trick am Ferrari gar nicht funktionieren würde, selbst wenn die Techniker in Maranello es wollten. Der Ferrari hat ein völlig anderes Aerodynamik-Konzept. Gesucht ist Stabilität in der Mitte des Flügels und Flexibilität in dem Bereich zwischen Mitte und außen.

Und so geht es. Ziemlich exakt an der gleichen Stelle, an der am McLaren der Flap nach oben klappt, öffnet sich beim Ferrari der Schlitz weiter innen als im Ruhezustand. Sie ist nun plötzlich schon ab Mitte des HP-Logos zu sehen. Ganz innen bleibt sie konstant, weiter außen offenbar auch. Es sieht so aus, als drücke es das Hauptblatt in einem bestimmten Bereich nach unten. Natürlich genau dort, wo es Ferrari will.

Die FIA ist im Moment erst einmal mit den Frontflügeln beschäftigt, weil man glaubte, die Flügel hinten sind weniger verdächtig. Das Drücken des Hauptblatts nach unten oder des Flaps nach oben sind keine neue Erfindungen. Nur so punktgenau in genau definierten Bereichen hat man es noch nie gesehen. Und wetten, dass Red Bull und Mercedes es wieder anders praktizieren. Darauf deuten alle Speed-Daten hin.

Weil kein Team einen erkennbaren Vorteil mit seinen Heckflügel-Varianten gezeigt hat, gibt es keinen Grund vom Verband, hektisch zu reagieren. Bis jetzt bewegt sich alles in einem vertretbaren Rahmen, hören wir. Die FIA wird die Entwicklung an der Flügelfront aber weiter beobachten.