Alpine-Teammanager Alan Permane hatte auf ein langweiliges Saisonende gehofft. Der Brite ging davon aus, dass der französische Werksrenner seinen Speed-Vorteil entsprechend in Punkte ummünzen und das Team seinen Vorsprung im Kampf um WM-Rang vier bis Abu Dhabi auf ein komfortables Maß ausbauen kann. Doch diesen Gefallen tut McLaren dem Rivalen nicht.
In Mexiko schrumpfte die Lücke wieder um vier Punkte. Nur noch sieben Zähler trennen die beiden Gegner damit vor den letzten beiden Rennen. "Für mich ist es eine 50/50-Nummer, wer sich am Ende durchsetzen wird", erklärte McLaren-Teamchef Andreas Seidl nach den Plätzen sieben und neun für Daniel Ricciardo und Lando Norris. "Es ist ein total offener Kampf. Klar haben sie den Vorteil, dass sie sieben Punkte vorne sind. In Brasilien gibt es aber auch noch zusätzliche Punkte für den Sprint."
In Mexiko sah es zunächst aber lange danach aus, als könne Alpine noch weiter wegziehen. "Wir haben leider am Start Plätze verloren. Und dann haben wir in einem Zug dringesteckt, in dem man nicht überholen konnte. Da musste jeder die Temperaturen managen. Es war leider nicht möglich zu attackieren und unsere wirkliche Pace zu zeigen. Ich denke, dass wir bei freier Fahrt genauso schnell waren wie die Alpine", blickt Seidl nüchtern auf die erste Rennhälfte zurück.
McLaren-Wende im Mexiko-Finale
Doch am Ende ging dann plötzlich doch noch die Post ab. Durch den Motorschaden bei Alonso fiel ein Alpine aus. Und Daniel Ricciardo startete plötzlich eine große Aufholjagd, nachdem er zunächst lange außerhalb der Punkte festhing. Schlüssel für das große Finale war der Wechsel auf die Soft-Reifen. Dabei spulten die McLaren-Schrauber auch noch den schnellsten Boxenstopp des ganzen Jahres ab. Der Australier wurde in nur 1,98 Sekunden abgefertigt. Es war der erste Reifenwechsel in unter zwei Sekunden mit den neuen 18-Zoll-Rädern überhaupt.
Laut Seidl hatten die Strategen die Soft-Reifen aber vorher nicht unbedingt auf dem Zettel: "Wenn wir bei Daniel die gleiche Strategie gewählt hätten, wie jeder andere, dann wären wir da rausgekommen, wo wir vorher waren. Wir hatten aber schon vor dem Rennen besprochen, dass es auf diese Strategie herauslaufen könnte. Wir haben bei Sebastian (Vettel) gesehen, dass er mit dem Soft-Reifen extrem lange fahren konnte. Deshalb haben wir es dann mit Daniel riskiert. Wir waren uns natürlich nicht sicher, ob die Reifen nicht am Schluss eingehen."
Die Reifen hielten und Ricciardo konnte gegen die Mittelfeld-Konkurrenz sogar noch eine 10-Sekunden-Strafe herausfahren, die er sich bei einer Kollision mit Yuki Tsunoda eingehandelt hatte. Der Australier rollte nach 71 Runden mit 12,1 Sekunden vor Esteban Ocon ins Ziel. Es war aber knapper, als es aussah. Lange drohte die Gefahr, dass der Alpine doch vor beiden McLaren in die Wertung kommt. Der Grund dafür hieß George Russell. Bei McLaren fürchtete man, dass Ricciardo wegen des heranstürmenden Mercedes blaue Flaggen gezeigt bekommt und sein Tempo verlangsamen muss.
Ricciardo lässt Knoten platzen
Durch das Überrunden wären die 2,1 Sekunden, die im Ziel den Unterschied machten, schnell weg gewesen. Doch dann holte Mercedes den Briten zur Erleichterung von Ricciardo kurz vor Schluss an die Box, um mit weichen Reifen noch die schnellste Rennrunde zu attackieren. "Er ist sich wahrscheinlich gar nicht bewusst, dass er mir damit einen Gefallen getan hat. Aber dafür werde ich George wohl ein Bierchen ausgeben", grinste Ricciardo im Ziel.
Vom Teamchef gab es am Ende auch noch ein Extra-Lob für den in dieser Saison so oft kritisierten Piloten: "Daniel war eigentlich schon am Freitag ab der ersten Runde auf der gleichen Pace unterwegs wie Lando. Er hat sich im Auto wohler gefühlt, die Strecke liegt ihm. Schon im Qualifying war es auch ganz knapp mit dem Q3." Am Ende war es wohl ein Glücksfall, dass der Top-Ten-Einzug um 50 Tausendstel verpasst wurde. So konnte sich Ricciardo einen frischen Soft-Reifen für den Endspurt am Sonntag aufsparen.
Die Mexiko-Leistung von Ricciardo zeigt aber auch, was möglich gewesen wäre. Leider konnte der achtfache Grand-Prix-Sieger diese Pace nur selten zeigen. Sieben Tage vor Mexiko gurkte der 33-Jährige in Austin noch chancenlos im Hinterfeld herum. Laut Seidl könnte auch die Psyche eine Rolle gespielt haben: "Es ist ein menschlicher Sport mit Athleten. Deshalb spielt es immer auch eine Rolle, wie es um die mentale Verfassung steht. Klar war das auch für ihn nicht einfach in den letzten 18 Monaten. Gleichzeitig ist er aber auch erfahren genug, dass das nicht der Performance im Weg stehen sollte."
McLaren braucht zwei starke Fahrer
Die Schuld daran, dass Ricciardo bei McLaren nicht die erhofften Ergebnisse einfahren konnte, sucht das Team nicht nur beim Piloten: "Die Verantwortung, dass wir es in den letzten zwei Jahren nicht konstant hinbekommen haben, liegt auf beiden Seiten. Der Einsatz war bei allen da. Wir haben viel probiert. Aber leider haben wir es nicht geschafft, konstant diese Performance abzurufen", gibt sich Seidl selbstkritisch.
Will man Alpine in den letzten beiden Rennen noch abfangen, braucht man nun zwei starke Fahrer, die maximale Punkte sammeln. Seidl kann nicht nachvollziehen, wie Alpine zu der Meinung kommt, aktuell das schnellere Auto zu haben: "Wenn man sich die letzten Rennen anschaut: In sechs Qualifyings waren wir vier Mal vor den Alpine. Und im Rennen geht es immer hin und her."
Von seiner gesamten Mannschaft verlangt der Bayer im Finale eine perfekte Vorstellung: "Es ist extrem eng. Ich glaube, dass wir das gleiche Bild auch in den nächsten zwei Rennen sehen werden. Wichtig ist es, fehlerfrei durch die Wochenenden zu kommen. Und natürlich spielt auch die Haltbarkeit eine Rolle."