Wenigstens einen Erfolg an elf Rennwochenenden konnte Mercedes gegen Red Bull verbuchen. Lewis Hamilton bezwang den übermächtigen Max Verstappen in der Qualifikation zum GP Ungarn und beschenkte sich mit der 104. Pole Position der Karriere. Einen Tag später endete die Herrlichkeit schon nach 444 Metern. Verstappen drückte sich in der ersten Kurve innen vorbei am Briten. Oscar Piastri schlüpfte ihm mit durch. Und Lando Norris im zweiten McLaren eine Kurve später außen herum.
Mercedes-Teamchef Toto Wolff war nach dem Budapest-Rennen bedient. Aus seiner Sicht hatte Mercedes das zweitschnellste Rennauto, war aber mit den Reifen zu konservativ. Das Ergebnis war der vierte Platz von Hamilton. Der sechste Platz von George Russell aus der 18. Startposition war hingegen ein Erfolg. Er schlug dabei selbst die besten Hochrechnungen der Simulationswerkzeuge.
Teamkollege Hamilton begann die Stints zu zögerlich – aus Sorge, die Pirellis würden sonst hinten heraus wegbrechen. Es fehlte der richtige Mittelweg. Chefingenieur Andrew Shovlin schilderte noch ein zweites Problem. "Wir mussten auf die Motor-Temperaturen achten, was beide Autos viel Rennzeit gekostet hat, da die Umgebungstemperatur etwas höher war als erwartet." Rennleiter Wolff hielt ernüchtert fest: "Wir waren schnell, wenn wir uns mit dem Rest vergleichen. Aber am Ende ist es irrelevant. Ganz vorne fährt ein Auto in der Formel 1, das 33 Sekunden vor dem Rest ins Ziel kommt."
Mercedes: interessante Entwicklungsrichtung
Bis jetzt ist Red Bull an Rennsonntagen unschlagbar. Und es ist schwer vorstellbar, wie sich das in diesem Jahr noch ändern soll. Den Weltmeisterschafts-Pokal hält Verstappen ohnehin schon mit neun Fingern in den Händen. Seine Mannschaft wird zum zweiten Mal nacheinander Konstrukteurs-Champion sein. Deshalb richtet sich der Blick der Gegner auf 2024. "Wir werden viele Veränderungen brauchen, um wieder wettbewerbsfähig zu sein", lässt Wolff wissen.
Noch schafft es Mercedes nicht, sein Auto hin zu einem Allrounder zu entwickeln. Anfangs konnte der W14 besonders die schnellen Kurven. Inzwischen gelingen diese nicht mehr so recht, dafür aber langsame und mittelschnelle. Es ist die Krux, mit den Groundeffect-Autos beides zu vereinen. Oder zumindest so nah wie möglich dorthin zu bekommen. Dafür braucht Mercedes größere Eingriffe. "Die Entwicklungsrichtung, die wir eingeschlagen haben, ist eine ziemlich interessante", sagt der Teamchef. "Wir sehen Möglichkeiten, wie wir näher kommen können."
Dabei schaue man sich auch die Gegner an. "Wir scheuen uns nicht, jeden Stein umzudrehen und jedes Konzept zu begutachten. Was bei den anderen gut ist und was nicht", führt Wolff aus. Eine Priorität: Die Ingenieure müssen dem Silberpfeil das Launische austreiben. Ihn berechenbarer machen. "Das ist unsere große Schwäche, und nicht mangelnder Abtrieb", so Wolff. Sein Starfahrer hebt die positiven Aspekte der Saison hervor. "Wir entwickeln uns weiter. Nicht so schnell, wie wir es gerne hätten. Andere schaffen da größere Sprünge. Aber wir bewegen uns immerhin vorwärts", erzählte Lewis Hamilton vor dem Budapest-Wochenende.
Meistens erst ab Samstag schnell
Der Rekordsieger der Formel 1 sprach bei den letzten Rennen davon, den Kopf so oft wie möglich mit den Ingenieuren zusammenzustecken, um bessere Lösungen zu erarbeiten. Er wünscht sich speziell ein nach hinten gerücktes Cockpit. Hamilton weiß, wie kompliziert die Groundeffect-Generation ist. Dass sie bisher nur Red Bull wirklich durchschaut hat. "Alles spielt sich unter dem Auto im Bereich von Millimetern ab. Ihr müsstet mal die komplizierten Strömungskulturen und Wirbel am Unterboden sehen. Wir mussten dafür erst mal unsere Entwicklungs-Werkzeuge anpassen." Nachsatz: "Das Reglement limitiert zusätzlich unsere Ressourcen. Wir können den Windkanal nicht unbegrenzt nutzen. Deshalb müssen wir sehr methodisch vorgehen, in dem, was wir machen."
Eine Baustelle sind die Vorab-Simulationen. An Trainingsfreitagen schwächelt Mercedes oft, um ab Samstag zuzulegen. Der Simulator braucht scheinbar brandaktuelle Daten. Den Ingenieuren sind mit dem W14 in dieser Saison ein Stück weit die Hände gebunden. Das Chassis mit der vorgelagerten oberen Crashstruktur schränkt sie ein. Es unter der Saison zu verändern, würde sehr viel Geld verschlingen. Was schwer mit der Budgetdeckelung vereinbar wäre.
Die Ingenieure verweisen in diesem Zusammenhang gerne darauf, dass ein Chassis-Umbau unter der Saison obendrein zu aufwendig wäre. Technikchef James Allison drückte es im ams-Interview martialisch aus. "Die Geometrie zu ändern, wäre Selbstverstümmelung. Es würde von wichtigeren Dingen ablenken."
Mercedes glaubt an sich
Mercedes befindet sich gewissermaßen in der Konzeptfalle. Dort kommt man frühestens 2024 heraus. Es heißt, die Ingenieure seien zuversichtlich. Dass sie wissen, was zu tun sei. Zweimal sind sie mit ihrem Groundeffect-Auto bereits auf die Nase gefallen. 2022 scheiterte Mercedes an einer zu tiefen Bodenfreiheit. Bouncing warf den scheinbaren Windkanal-Weltmeister aus der Spur.
Für 2023 antizipierten die Mercedes-Ingenieure falsch. Sie unterschätzten den Effekt der um 15 Millimeter nach oben gebogenen Unterbodenkanten. Mit der Folge, dass sie die Aerodynamik des W14 für mehr Bodenfreiheit auslegten. Red Bull machte das Gegenteil und ging runter. Seit dem Monaco-Upgrade versucht Mercedes, die Bodenfreiheit schrittweise zu verringern.
Sicher hat der Rückfall auch mit einem Aderlass im Technikbüro in den letzten Jahren zu tun. Auch wenn es die Mercedes-Verantwortlichen abstreiten. Doch wer gute Ingenieure verliert, der muss es irgendwann spüren. Sicher ist auch, dass Mercedes die abgespeckten Aufhängungen auf dem falschen Fuß erwischt haben. Die konventionelle Mechanik der Groundeffect-Autos war für sie kontraproduktiv. Eine spitze Aerodynamik lässt sich nicht mehr so einfach glätten wie früher. Mercedes war bei den alten Autos im Bereich der Mechanik noch die Benchmark gewesen.
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