Red Bull redet sich die Lage nicht schön. "McLaren ist die neue Messlatte", gibt Teamchef Christian Horner unumwunden zu. Und er verschließt auch nicht die Augen davor, dass nach dem Ergebnis von Zandvoort beide WM-Titel in Gefahr sind. "Wenn McLaren dieses Tempo halten kann, dann wird es in beiden Meisterschaften eng."
Bei den Konstrukteuren ist es das schon. Theoretisch könnte McLaren bereits in Monza die WM-Führung übernehmen. Die Differenz ist auf 30 Punkte geschrumpft. Maximal sind an normalen Rennwochenenden ohne Sprint 44 Zähler in der Verlosung. Max Verstappens Vorsprung von 70 Punkten ist nur auf den ersten Blick komfortabel. "Wenn Lando so weiterfährt, kann es schnell eng werden. Sein Sieg in Zandvoort wird ihm noch mehr Selbstvertrauen geben. Der Druck liegt auf uns, jetzt dagegenzuhalten", fordert Horner.
Die Red-Bull-Ingenieure suchen fieberhaft nach dem Fehler. Irgendwo sind sie im Entwicklungsprogramm falsch abgebogen. Nur wo? Keines der Upgrades in Suzuka, Imola, Barcelona und Zandvoort brachte einen spürbaren Fortschritt. Nur noch mehr Fragezeichen, mehr Instabilität, mehr Reifenverschleiß.
Horner gibt auch Frontflügel die Schuld
Sportchef Helmut Marko treibt vor allem die ungewohnt hohe Reifenabnutzung um. Das war früher eine Stärke des Red Bull. Doch wenn die Fahrzeugbalance nicht passt, leiden auch die Reifen. Der McLaren hat genau da seinen großen Sprung gemacht. "Die schnellste Runde von Norris ohne DRS ganz zum Schluss zeigt, wie überlegen Lando war. Das bedeutet für uns viel Arbeit und viel Nachdenken", stellte Marko fest.
Gleichzeitig landet McLaren mit jedem Entwicklungsschritt einen Volltreffer. Das Upgrade von Miami überraschte selbst seine Erfinder. "Es hat mehr geliefert als wir uns ausgerechnet hatten", bestätigt Technikchef Rob Marshall. Auch die neuen Teile in Zandvoort funktionierten auf Anhieb. "In jedem Detail liegen ein paar Millisekunden, aber unter dem Strich ist es dann doch ein Zehntel", verrät der frühere Red-Bull-Ingenieur. Ein Zehntel ist bei der aktuellen Leistungsdichte schon fast ein Lotto-Sechser.
Horner gibt aber nicht nur den Verirrungen bei der eigenen Entwicklung die Schuld. "Die anderen haben beim Frontflügel einen Schritt vorwärts gemacht. Die Flügel von McLaren und Mercedes verbiegen sich in einem ganz anderen Winkel als der Rest."
Das Flügel-Experiment
Max Verstappen akzeptiert das Kräfteverhältnis so wie es ist. Das heißt nicht, dass er aufgegeben hat. Aber er weiß, dass es bei Rennen wie in Zandvoort sinnlos ist, das Unmögliche zu versuchen. Jetzt ist bei ihm erst einmal Schadensbegrenzung angesagt. Wichtig war, den zweiten McLaren von Oscar Piastri auf Distanz zu halten. Da leistete Charles Leclerc Schützenhilfe.
Der Clan des Weltmeisters fordert zwar schon ziemlich lautstark ein besseres Auto, doch das ist leichter gesagt als getan. Die Ingenieure haben den RB20 ja nicht absichtlich schlechter gemacht. Wie tückisch diese Groundeffect-Autos sein können, zeigt sich auch bei Mercedes und Ferrari. Die legten nach ein paar Schritten vorwärts auch erst einmal wieder den Rückwärtsgang ein.
Wie händeringend Red Bull nach einer Lösung sucht, macht das Setup-Experiment deutlich. Verstappen wurde mit maximalem Abtrieb losgeschickt, Sergio Perez mit deutlich weniger. Dazu wurden unterschiedliche Unterboden-Versionen verbaut. Das Topspeed-Delta betrug 6 km/h. Technikchef Pierre Waché erklärte: "Wir wollten herausfinden, wie sich das auf die Reifenabnutzung auswirkt."
Die Antwort war, dass Perez im zweiten Stint mit den harten Reifen trotz weniger Anpressdruck fünf Sekunden auf seinen Teamkollegen aufgeholt hat. Dafür hatte der Monaco-Flügel Verstappen in die erste Startreihe geholfen. Ohne wäre es eng geworden. Im Duell mit Norris wurde er zum Bremsfallschirm. Horner sah ein: "Die Reifenabnutzung war generell niedriger als gedacht. Weniger Flügel wäre besser gewesen. Aber die Daten könnten uns helfen, wieder auf den richtigen Weg zu finden."