Red Bull Singapur-Pleite: Was ist schiefgelaufen?

Red Bull kassiert bittere Niederlage
Was ist bei Red Bull schiefgelaufen?

GP Singapur 2023

Red Bull hat in Singapur mit starker Gegenwehr gerechnet. Doch dass beide Fahrer im Q2 ausscheiden, kam nicht mal in den schlimmsten Alpträumen vor. Und jetzt rätseln Max Verstappen und das Team, was da schiefgelaufen ist.

Sergio Perez & Max Verstappen - Red Bull - Formel 1 - GP Singapur - 16. September 2023
Foto: Wilhelm

Aus den Gesichtern sprach Ratlosigkeit. Für Red Bull war die Qualifikation zum GP Singapur schon nach dem Q2 gelaufen. Max Verstappen landete auf Platz 11, Sergio Perez auf Rang 13. Abstand zur Spitze: Sieben Zehntel. Die ganze Saison lang war es umgekehrt. Verstappen sprach am Funk fassungslos von einer "schockierenden Erfahrung". Technik-Guru Adrian Newey schüttelte den Kopf: "Wir müssen jetzt herausfinden, was da passiert ist."

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Verstappen hatte in Singapur mit einem schweren Gang gerechnet. Wenn die Siegesserie in Gefahr sein würde, dann hier. Der Marina Bay Circuit stellte 2015 schon den dominanten Mercedes ein Bein. Obwohl die Strecke aus Sicht der Ingenieure gar nicht so schwierig aussieht.

Alle Kurven haben einen ähnlichen Charakter. Das kann die Aufgabe erleichtern, wenn man ein Auto hat, das sich auf einen bestimmten Typ Kurve gut einstellen lässt. Und es kann diejenigen ausbremsen, die genau da ein Problem haben. Und auf dem Marina Bay Circuit haben sie es dann 19 Mal pro Runde.

Adrian Newey - Red Bull - Formel 1 - GP Singapur - 16. September 2023
Motorsport Images

Adrian Newey konnte es nicht fassen. Das beste Auto der Saison ging in Singapur komplett unter.

Dem Simulator zu hörig

Teamchef Christian Horner fasste die ersten zwei Tage in Singapur in drei Sätze. "Das ist das beste Auto, das wir je gebaut haben. Doch aus irgendeinem Grund reagiert das Auto hier nicht auf die Veränderungen, die wir vornehmen. Bei so großen Abständen hat das normalerweise mit Reifentemperaturen zu tun."

Aus Sicht von Red Bull-Sportchef Helmut Marko lag das ganze Wochenende ein böser Fluch über der Mission: "Wir haben mit Schwierigkeiten am Freitag begonnen, uns dann im dritten Training verbessert, waren im Q1 noch einigermaßen dabei und sind im Q2 total abgestürzt. Andere haben sich um sechs bis acht Zehntel verbessert, wir nur um zwei. Zuerst haben wir langsam die Balance im Auto wiedergefunden und dann auf einen Schlag wieder verloren."

Für den Grazer begann die Misere schon viel früher in der Vorbereitung. Die Simulationen empfahlen den Ingenieuren ein Setup, das sich als Niete erwies. "Da war nicht einkalkuliert, dass die neu asphaltierten Stellen viel ebener sind als es früher der Fall war. Und wenn du dann der Technik so hörig bist, dauert es zu lange, bis du reagierst."

Red Bull - Technik - GP Singapur 2023
ams

Der neue Unterboden wurde nach dem Test am Freitag wieder eingepackt.

Ein grundlegender Fehler

Schon am Freitag schimpften die Red Bull-Piloten über massive Balance-Probleme. Untersteuern bis zum Scheitelpunkt, Übersteuern beim Rausfahren. Und ein unberechenbares Fahrverhalten beim Bremsen. Nach dem Datenstudium über Nacht entschied man sich, das Auto tiefer zu setzen. Und nachdem das besser funktioniert hatte, wurde die Bodenfreiheit ein weiteres Mal abgesenkt.

Offenbar eine Spur zu viel. Max Verstappen hatte genau diesen Punkt im Verdacht, als er sagte: "Das Auto hat in den Bremszonen immer massiv aufgesetzt und dadurch keinen Grip." Der Holländer schloss daraus, dass der Red Bull zu tief eingestellt war. TV-Experte Martin Brundle analysierte: "Es sah so aus, als hätte der Unterboden überhaupt nicht funktioniert. Und wenn das bei diesen Autos der Fall ist, passt die ganze Aerodynamik nicht mehr." Marko gibt der Einschätzung recht: "Da lag ein grundlegender Fehler vor."

Bei der Fehlersuche gerieten die Red-Bull-Techniker immer tiefer in einen Irrgarten. Am Freitag wurde ein neuer Unterboden gegen einen alten getestet und am Samstag aussortiert. Es passiert in diesem Team selten, dass Upgrades nicht funktionieren. Normalerweise hat Red Bull die höchste Trefferquote.

Helmut Marko & Max Verstappen - Red Bull - Formel 1 - GP Singapur - 16. September 2023
Wilhelm

Die Verantwortlichen suchten nach der Quali-Pleite nach Erklärungen.

Haben TDs Red Bull ausgebremst?

Das Ausmaß der Niederlage nährte natürlich die Spekulationen, dass die beiden Technischen Direktiven Red Bull ausgebremst haben könnten. TD018 soll das Verbiegen der Flügel in Relation zu ihren Aufhängungspunkten verhindern, TD039 das Abfedern des Unterbodens beim Aufsetzen auf die Straße.

Der neue Unterboden hat laut Marko nichts mit den Klarstellungen der FIA zu tun. "Der war schon von langer Hand geplant. Er hat im Simulator gut funktioniert und mehr Abtrieb versprochen." Auch Mercedes-Teamchef Toto Wolff warnt vor voreiligen Schlussfolgerungen: "Jeder musste auf die TDs irgendwie reagieren. Der eine mehr, der andere weniger. Man kann aber nicht nach zwei Trainingstagen und mit einem Satz Daten sagen, ob das irgendwelche Auswirkungen hat." Also warten bis Suzuka.

Seltsam ist, dass Red Bull im DRS-Modus nicht mehr so viel profitiert hat wie vorher. Ferrari hat dem WM-Spitzenreiter hier den Rang abgelaufen. Man sollte aber nicht zu viel aus den scheinbaren Indizien herauslesen. McLaren-Teamchef Andrea Stella erklärt: "Ich weiß nicht, ob Red Bull überhaupt davon betroffen ist. Und wenn es so wäre, würde dieser Effekt nicht einen so großen Rückstand erklären."

Ferrari - GP Singapur 2023
xpb

Gegen Ferrari sieht Red Bull in Singapur kein Land. Es droht die erste Saisonniederlage.

Im Rennen keine Rakete

Für Red Bull geht es jetzt darum, am Sonntag den Schaden zu begrenzen. Was laut Marko schwer bis unmöglich wird: "Bevor wir etwas am Auto reparieren, müssen wir erst einmal verstehen, warum es so schlecht war. Deshalb können wir für den Sonntag keine Rakete erwarten." Verstappen machte in Galgenhumor: "Bitte kein Safety-Car. Sonst wird es ein langer und harter Nachmittag für uns. Ich will, dass es so schnell wie möglich vorbeigeht."

Nur Horner gibt sich kämpferisch: "Wir werden nicht aufgeben, aber von Startplätzen außerhalb der Top Ten wird es schwer. Wir sind leider limitiert in dem, was wir machen können. Vielleicht hilft uns der Regen oder Safety-Cars. Wir müssen aber erst einmal das Auto in ein besseres Arbeitsfenster bekommen."

So wie am Freitag, als Sergio Perez den schnellsten Longrun abspulte? Das wird nicht mehr möglich sein, denn der Red Bull war im zweiten Training völlig anders abgestimmt, als es jetzt für das Rennen der Fall ist. Marko rechnet fest damit, dass die goldene Serie zu Ende geht: "Irgendwann musste es ja mal passieren, aber dass es uns gleich so krass trifft, ist schon hart und schwer zu verstehen."

Sergio Perez & Max Verstappen - Red Bull - Formel 1 - GP Singapur - 16. September 2023
Wilhelm

Immerhin kam Max Verstappen um eine weitere Startplatzstrafe herum.

Zwei Verwarnungen und ein Freispruch

Als wäre ein launisches Auto nicht genug, gab es rund um die Qualifikation auch noch andere Probleme. Im dritten Training klagten die Fahrer über zu harsche Gangwechsel. Eine Fehlfunktion der Kupplung, die einigermaßen gelöst wurde. Perez spürte im Q2 vor der dritten Kurve plötzlichen Leistungsverlust. "Und dann kam plötzlich wieder zu viel Power, und ich habe das Auto verloren." Der Dreher besiegelte den 13. Startplatz.

Max Verstappen wurde gleich wegen drei Vergehen zu den Sportkommissaren geladen. Er hatte Yuki Tsunoda und Logan Sargeant auf der Strecke behindert und im Q1 ohne ersichtlichen Grund 18 Sekunden an der Boxenausfahrt gewartet und hinter sich einen Stau produziert. "Wir wollten Max nicht auch noch in den Verkehr schicken", hieß es im Team.

Verstappen rechnete mit einer Strafversetzung um fünf Plätze. Was dem zwölffachen Saisonsieger ziemlich egal war. "Es macht keinen Unterschied, ob wir auf Platz 11, 15 oder von ganz hinten starten. Wir müssen jetzt verstehen, was schiefgelaufen ist."

Am Ende kam Verstappen mit einem blauen Auge davon. Er kassierte zwei Verwarnungen, mehr nicht. Beim offensichtlichsten Fall tauchte der Kläger aber nicht auf. Alpha Tauri schickte Tsunoda nicht zum Rapport zu den Kommissaren. Natürlich mit der Absicht, dem großen Bruder nicht noch mehr Ärger zu bereiten. Und wo kein Kläger, auch keine allzu große Strafe.