Red Bulls Strategiefehler: Verstappen in der Reifen-Falle

Verstappen in der Strategie-Falle
Red Bull erklärt Fehler bei der Reifenwahl

GP Österreich 2024

Red Bull und Haas reservierten sich zwei Sätze harter Reifen für das Rennen. Der Rest im Feld setzte auf Medium. Was für Haas funktionierte, wurde für Red Bull zur Falle. So geriet Max Verstappen in die Fänge von Lando Norris.

Max Verstappen - Boxenstopp - Red Bull - GP Österreich 2024
Foto: Red Bull

Am Samstag glaubte sich Red Bull mit seiner Reifenwahl noch im Vorteil. Max Verstappen und Sergio Perez hatten für das Hauptrennen jeweils zwei frische Satz harte Reifen, eine neue und eine gebrauchte Garnitur Medium-Gummi in ihrem Arsenal. Nur Haas folgte dem Beispiel Red Bull. Alle anderen Teams reservierten sich lieber zwei frische Medium-Sätze.

Für Haas lohnte sich diese Taktik. "Bei uns fühlte sich der Medium-Reifen zu schwammig an. Wir wollten lieber den harten Reifen. So konnten wir früh an die Boxen kommen, den Verkehr vermeiden und dann auf den harten Reifen zwei lange Stints bis zum Ende fahren. Das hat uns beide Autos in die Punkte gebracht", erzählt Nico Hülkenberg.

Doch das Rennen an der Spitze ist ein anderes als das um die Plätze sechs bis acht. Der Medium-Reifen beim Start war für alle Gesetz. Jeder kannte seine Qualitäten aus dem Sprint-Rennen. "Der Medium war über einen 20 Runden-Stint der schnellere Reifen. Wenn du den Medium 25 Runden fährst, baut er bis dahin um zwei Sekunden ab. Mehr Runden sind deshalb nicht ratsam", erklärten die Mercedes-Strategen.

In der 23. Runde bog Verstappen mit einem Vorsprung von 5,6 Sekunden auf Lando Norris in die Boxen ab. Beide Autos wurden mit harten Reifen bestückt. Für Red Bull war Pirellis C3-Mischung ein unbekannter Reifen. Man hatte diesen Reifentyp vorher kein einziges Mal gefahren. McLaren schon.

Red Bull Boxenstopp - GP Österreich 2024
Red Bull

Für den letzten Stint von Max Verstappen blieb nur die Wahl zwischen einem frischen Satz harter Reifen und einem gebrauchten Medium.

Harter Reifen war Red Bull unbekannt

Das ist der Reiz des Sprint-Formats. Wer sich zwei Garnituren eines bestimmten Reifentyps für das Hauptrennen aufheben will, wird erst am Sonntag erfahren, wie sich dieser Reifen verhält. Deshalb verrät das erste Training am Freitag immer auch die Strategie. Man fährt den Reifen, den man für den schlechteren hält.

Red Bull glaubte, es würde der Medium-Gummi sein. "Wir haben deutlich höhere Temperaturen erwartet. Während des Rennens haben sich dann auch noch die Wolken vor die Sonne geschoben", erklärt Sportchef Helmut Marko. Der harte Reifen wurde damit kritischer. Verstappen klagte im Rückblick: "Der erste Stint war okay, der zweite und dritte Stint dagegen sehr schlecht. Wir haben keine Balance mehr im Auto gehabt."

Teamchef Christian Horner gab zu, dass man seinem ursprünglichen Plan medium-hart-hart abschwören musste. "Die Fahrer haben sich auf dem harten Reifen nicht so wohl gefühlt. Der Zeitpunkt, an dem ein Safety-Car dem harten Reifen wegen der Restlaufzeit einen Vorteil gegeben hätte, war irgendwann überschritten. Ab dem Moment zählten nur noch die weicheren Mischungen."

Max Verstappen - Formel 1 - Spielberg - GP Österreich 2024
xpb

Ein Fehler beim Boxenstopp kostete wertvolle Zeit. Nur so konnte Norris am Ende attackieren.

Killer war der Boxenstopp

So trat Verstappen im Schlussspurt mit einem gebrauchten Satz Medium gegen einen frischen am McLaren von Lando Norris an. In der Regel ist das ein Reifensatz, den man in der Sprintqualifikation benutzt hat. Da gilt die Faustregel: Jede Runde, die ein Reifen auf der Lauffläche hat, kostet gegenüber einem neuen 50 Millisekunden an Rundenzeit.

Was bei einem Vorsprung von 6,9 Sekunden vor dem zweiten Boxenstopp immer noch kein Beinbruch gewesen wäre. Mit einer Standzeit von 6,5 gegen 2,9 Sekunden für Norris aber schon. Hinten links musste der Mechaniker zwei Mal ansetzen, um die Radmutter zu lösen. "Vielleicht war es unter den Umständen nicht die ideale Reifenwahl", räumt Horner ein. "Aber das Rennen haben uns die vier Sekunden verloren, die wir beim Boxenstopp auf Norris verloren haben."

Als sich Verstappen in der OUT-Runde vor Kurve 4 verbremste, kostete das den Reifen weitere Körner. Jetzt kam Norris der Vorteil des frischeren Reifen entgegen. In Runde 53 brachte ihn eine Zeit von 1.08,016 Minuten gegen 1.08,712 Minuten von Verstappen direkt in den DRS-Bereich des Gegners.

Und der brachte weitere Vorteile. "Der Verfolger braucht nicht so viel Energie, weil er mit Windschatten und DRS länger segeln kann", erklärte Verstappen. Auf einer Strecke mit drei DRS-Zonen ist das aus Sicht des Verteidigers ein echtes Handicap. Der Angreifer kann die Energie leichter rekuperieren und sich seine Elektro-Power besser einteilen. Norris legte sie hauptsächlich auf die Gerade vor Kurve 3. Verstappen setzte auf die folgende Gerade. In Kurve 4 ließ sich die Führung einfacher verteidigen.

George Russell - Mercedes - Formel 1 - GP Österreich - 30. Juni 2024
Wilhelm

Sieger Russell fuhr die beiden Medium-Sätze am Anfang des Rennens.

Russell mit Standard-Taktik gegen den Trend

Die Kollision zwischen den beiden WM-Gegnern brachte George Russell zum Abstauber-Sieg. Der Brite wählte mit der Reifenfolge medium-medium-hart eine Alternativ-Strategie, die nach Aussage der Mercedes-Strategen eigentlich die Standard-Taktik sein sollte. "Dass wir mit George dann allein da standen und alle anderen das Gegenteil machten, hat uns doch überrascht."

Russells Strategie mit den weicheren Mischungen am Anfang und der harten am Ende ist aus mehreren Gründen der natürliche Weg für ein klassisches Zweistopp-Rennen. "Wenn du 30 Runden vor Schluss ein Safety-Car bekommst, kannst du mit dem harten Reifen durchfahren. Mit dem Medium wäre es grenzwertig. Und hätten wir die Chance auf einen Undercut in dieser Phase des Rennens gehabt, hätten wir es mit dem harten Reifen riskieren können, weil der die längere Restlaufzeit bietet."

Für alle Fälle hatte Russell wie Verstappen noch einen gebrauchten Medium zur Verfügung. Mit Lewis Hamilton wollte Mercedes das Gegenteil machen, um beide Autos zu trennen und eine andere Karte zu spielen. Ein stark beschädigter Unterboden nach einem zu aggressiven Ritt über einen Randstein, ein Loch im Seitenkasten nach Feindkontakt, eine Fünfsekunden-Strafe und ein freiwilliger Platztausch mit Carlos Sainz, um einer weiteren Strafe zu entgehen, bescherten dem Rekordsieger aber eine weitere Enttäuschung.