GP Aserbaidschan 2024 - Analyse Training & Longrun-Zeiten

Trainingsanalyse GP Aserbaidschan 2024
Warum schöpft Red Bull Hoffnung?

GP Aserbaidschan 2024

Nach der Pleite von Monza drehte Red Bull die Uhren zurück. Die Fahrer testeten zwei Unterboden-Spezifikationen und waren wieder bei der Musik. Der Boden von Sergio Perez scheint das Auto berechenbarer zu machen.

Max Verstappen - Red Bull - Formel 1 - GP Aserbaidschan - Baku - 13. September 2024
Foto: Red Bull

Ferrari vorne, dicht gefolgt von Red Bull und Mercedes. McLaren hat noch etwas Rückstand, doch alle wissen, dass Lando Norris und Oscar Piastri ihre Karten noch nicht auf den Tisch gelegt haben. Ferrari-Teamchef Frédéric Vasseur schloss aus dem ersten Trainingstag: "Es ist wieder verdammt eng. Alle vier Top-Teams können gewinnen."

Bei Red Bull ergab der Unterboden-Vergleich, dass die Version von Sergio Perez das Fahrverhalten des RB20 deutlich beruhigte. Der Mexikaner war eine halbe Sekunde schneller als Max Verstappen, war aber auch mit mehr Power unterwegs. Auch die anderen Teams hatten noch ihre Sorgen. Charles Leclerc markierte mit sechs Tausendstel Vorsprung die Bestzeit, hatte im ersten Training aber auch einen heftigen Unfall. George Russell verlor durch einen Motorwechsel viel Trainingszeit. Sein Mercedes war noch nicht perfekt getrimmt. Lewis Hamilton dagegen war mit der Balance seines Autos zufrieden.

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McLaren hielt sich noch zurück. Der fünfte Platz von Oscar Piastri war nicht das Ende der Fahnenstange. Lando Norris musste seine schnellste Runde abbrechen. Pierre Gasly stand zu Beginn der langen Zielgeraden im Weg. Bis dahin war er so schnell wie Tagessieger Leclerc. Auf einen zweiten Versuch mit Soft-Reifen verzichtete der WM-Zweite.

Die Longruns waren wenig aufschlussreich. Viele Runden mussten wegen Verkehr abgebrochen werden, und die Strecke wurde mit jeder Runde besser. Bei einem Siebenrunden-Vergleich gewann Piastri mit einem Mittelwert von 1.46,5 Minuten vor Sainz mit 1.46,6 Minuten, zeitgleich mit Russell, der als einziger des Trios mit harten Reifen unterwegs war. Auch im Topspeed ergaben sich kaum Unterschiede: Leclerc 344 km/h, Piastri 343 km/h, Perez 341 km/h, Hamilton 340 km/h.

Max Verstappen - GP Aserbaidschan 2024
Red Bull

Red Bull zeigte sich am Freitag in guter Form. Das Weltmeister-Team schöpft wieder etwas Hoffnung nach dem Monza-Debakel.

Sechs Dinge, die Sie wissen müssen:

1) Ist Red Bull wieder ein Siegkandidat?

Red Bull probierte zwei neue Unterboden-Varianten an seinen beiden Autos. Genau genommen war es ein Mix aus neuen und alten Komponenten. "Monza hat uns gezeigt, welche Stellen im Boden zu der Instabilität des Autos geführt haben", erklärte Teamchef Christian Horner. Max Verstappen führte das erste Training an, Sergio Perez das zweite, bis ihm Charles Leclerc eine Viertelstunde vor Torschluss die Freitags-Pole wegschnappte.

Ist damit das Comeback geschafft? Sportchef Helmut Marko warnt: "In Monza haben wir auch gut angefangen. Wir wollen nicht zu früh zu euphorisch sein. Die Strecke war noch in einem schlechten Zustand. Aber vom Gefühl her sehen wir besser aus als in Monza. Die Fahrer spüren das Auto wieder." Horner relativierte ebenfalls: "Die Strecke von Baku kommt uns entgegen. Es gibt hauptsächlich 90-Grad-Kurven. Das macht es einfach, das Auto abzustimmen."

Der Unterboden-Vergleich ergab, dass die Spezifikation von Perez das Auto berechenbarer macht. "Die von Max war giftiger", verriet Marko. Perez war eine halbe Sekunde schneller als sein Teamkapitän. Das muss noch nichts heißen, denn bei Verstappen war der Motor nicht voll aufgedreht.

Beide Red Bull waren von Anfang an mit verhältnismäßig viel Abtrieb unterwegs. Das erklärt, warum sie im letzten Sektor drei bis vier Zehntel auf die Konkurrenz verloren. Man traute sich nicht, den Anpressdruck zu reduzieren. Marko: "Max hatte Angst, dass dann die Reifen nicht halten." Zur Wahrheit gehört aber auch, dass Max Verstappen in der zweiten Trainingssitzung wieder über Balanceprobleme klagte. "Ab dem Scheitelpunkt setzte das Untersteuern ein." Das Ergebnis waren zwei Ausflüge in den Notausgang der Kurven 6 und 7. Perez hatte einen seiner besseren Trainingstage, verlor in seiner besten Runde eineinhalb Zehntel auf der Zielgeraden auf Leclerc. In den Kurven war der Mexikaner schneller. Der zweifache Baku-Sieger ist auf dieser Strecke eine Bank. "Für Sergio wäre es das Beste, wenn wir zehn Mal in der Saison in Baku fahren würden", schlug Marko vor.

Charles Leclerc - Ferrari - Formel 1 - GP Aserbaidschan - Baku - 13. September 2024
Motorsport Images

Der Crash von Charles Leclerc im ersten Training raubte Ferrari wichtige Zeit.

2) Wird Ferrari seiner Favoritenrolle gerecht?

Ferrari umschrieb den ersten Trainingstag mit der Schlagzeile: "Ein nicht ganz perfekter, aber produktiver Tag." Carlos Sainz demonstrierte mit der drittschnellsten Tageszeit auf Soft-Reifen mit 1.43,950 Minuten und seiner Bestzeit auf dem Medium-Reifen mit 1.44,323 Minuten, dass Ferrari bei der Musik ist. Der Spanier landete aber auch drei Mal im Notausgang diverser Kurven. Baku-Spezialist Charles Leclerc musste nach einem Unfall im ersten Training in der bergab führenden Kurve 15 und Problemen mit der Lenkung sein Programm umstellen.

Der Mann, der drei Mal in Baku auf der Pole-Position stand, spulte die ersten 43 Minuten der zweiten Sitzung auf Medium-Reifen ab. Erst dann ließ er Soft-Reifen aufziehen. Es reichte zu einer knappen Bestzeit mit sechs Tausendstel Vorsprung auf Perez. Allerdings war die Strecke zu dem Zeitpunkt bereits drei Zehntel schneller als bei den Bestzeiten seiner Gegner. Teamchef Frédéric Vasseur glaubt, dass da noch mehr drin lag: "Es war seine erste Runde auf Soft-Reifen an diesem Tag."

Trotzdem ärgerte sich der Franzose: "Ich bin nicht zufrieden mit diesem Tag. Wir haben zu viele Fehler gemacht." Er spricht dabei nicht nur Leclercs Unfall an. Carlos Sainz stand Perez gefährlich im Weg. Er hatte Glück. Die Sportkommissare beließen es bei einer gelben Karte, weil der Fahrer in dem Moment von zu vielen Warnsignalen abgelenkt war. Vasseurs Einschätzung: "Von den Top-4-Teams kann jeder gewinnen."

George Russell - Mercedes - Formel 1 - GP Aserbaidschan - Baku - 13. September 2024
xpb

George Russell hatte viel Pech am Trainingsfreitag in Baku. Wegen eines Lecks am Motor musste er sich in der zweiten Session lange gedulden.

3) Kriegt Russell eine Motorstrafe?

George Russell verpasste die ersten 28 Minuten des zweiten Trainings wegen eines Motorwechsels. Bei einer Öluntersuchung wurde eine Kontamination mit Fremdteilen festgestellt. Der Motor musste aus Sicherheitsgründen getauscht werden. Die Ingenieure sind aber optimistisch, dass der Motor bald wieder in das Sortiment zurückgeführt werden kann. Eine Strafe droht Russell nicht. Er hat noch genug gesunde Antriebseinheiten in seinem Pool.

Es war einfach nicht sein Tag. Der Engländer spulte nach dem späten Start in die Sitzung noch zwölf Runden auf den harten Reifen ab, bevor er auf Soft-Reifen wechselte, damit aber nur die neuntschnellste Zeit erzielte. Russell klagte über Balanceprobleme. Zu allem Überfluss musste er sein Training zwei Minuten vor Schluss wegen eines Sensor-Alarms abbrechen. Der stellte sich als falsch heraus.

Lewis Hamilton beschwerte sich über die schlechte Sicht wegen der tief stehenden Sonne und wieder einmal über einen zu heißen Sitz. Der Rekordsieger machte mit den Plätzen zwei und drei trotzdem einen starken Eindruck. Im Gegensatz zu Russell war er mit der Balance seines Mercedes zufrieden. Hamilton geriet früh in der Runde bis Kurve 10 in Rückstand, machte aber alles wieder bis Kurve 18 wett.

Mercedes schlug bei der Reifenwahl eine andere Richtung ein als die Konkurrenz. Als einziges Top-Team führte man Longruns auf den harten Reifen durch. Das heißt, dass man am Sonntag einen Medium-Reifen und eine harte Mischung im Arsenal haben wird. Alle anderen setzen auf zwei Garnituren harte Reifen.

Lando Norris - GP Aserbaidschan 2024
xpb

McLaren ließ es am Freitag noch ruhiger angehen. Doch mit den MCL38 von Lando Norris und Oscar Piastri ist zu rechnen.

4) Warum war McLaren unsichtbar ?

McLaren versteckte seine wahre Form auf den Plätzen fünf und 17 am Freitag. Lando Norris musste seine schnellste Runde auf den Soft-Reifen nach guten Zwischenzeiten abbrechen, weil Pierre Gasly in den Kurven 19 und 20 im Weg stand. Bis dahin fuhr Norris auf dem Niveau der Bestzeit von Leclerc.

Oscar Piastri verfehlte die Bestzeit immerhin um fast eine halbe Sekunde. Die McLaren verlieren ihre Zeit hauptsächlich in den Kurven 4, 5 und 6. Seine Longrun-Bestzeit zeigt aber, dass mit McLaren wieder zu rechnen ist. Der Australier bestätigte: "Das Potenzial ist da. Wir müssen über Nacht nur ein paar Aufräumarbeiten leisten." Norris dagegen sucht noch nach einer guten Balance. Seine Hausaufgaben-Liste ist länger.

Pirelli - Formel 1 - GP Aserbaidschan - Baku - 12. September 2024
ams

Die Fahrer und Teams haben in Baku Angst vor körnenden Reifen.

5) Was darf von Hülkenberg erwarten?

Mit den Plätzen acht und zehn darf Haas wieder auf Punkte hoffen. Die Überraschung war Aushilfsfahrer Oliver Bearman. Der Engländer, der sein F1-Debüt im März in Jeddah mit einem Ferrari feierte, bewegte sich auch in dem US-Renner auf Anhieb wie ein Fisch im Wasser. Bearman fehlten nur 0,074 Sekunden auf Nico Hülkenberg. Zwischen den beiden Haas-Piloten rangierte Mercedes-Pilot Russell. Hülkenberg hakte den ersten Trainingstag als Erfolg ab: "Wir haben einen guten Speed. Jetzt wird es darauf ankommen, wie sich die Strecke entwickelt. Wenn die Reifen nur einmal anfangen zu körnen, bist du verloren."

6) Warum waren die Rundenzeiten so langsam?

Die Rennstrecke war so schmutzig wie noch nie. Der Veranstalter wollte den Teams den Gefallen der Vorjahre nicht tun, das 6,003 Kilometer lange Asphaltband mit einem Hochdruckreiniger zu säubern. So lag die Bestzeit des ersten Trainings von Max Verstappen um 3,2 Sekunden über Vorjahr. Im zweiten Training war der Kurs spürbar besser. Die Rundenzeiten fielen von 1.45,546 auf 1.43,484 Minuten. Hülkenbergs Fazit: "Der Schlüssel war heute, sich ständig den verbesserten Streckenbedingungen anzupassen."

Die staubige und rutschige Asphalt sorgte für viele Verbremser, diverse Mauerberührungen und zwei Unfälle (Leclerc, Colapinto). Und er malträtierte die Hinterreifen beim Beschleunigen. Das sorgte für starkes Körnen. Haas-Teamchef Ayao Komatsu warnte: "Das Körnen wird abnehmen, je besser die Strecke wird. Es weiß nur keiner, wie lange das dauert und um wie viel besser die Strecke wird. Deshalb ist es sehr schwierig, sich auf ein Abtriebsniveau festzulegen. Wenn die Strecke so schlecht wie am ersten Tag bliebe, bräuchte man Abtrieb, um die Reifen zu retten."