Ikonen qua Geburt: Dafür stehen die GT1-Autos aus den 1990er-Jahren sinnbildlich. Porsche 911 GT1, Toyota GT-One oder Mercedes CLK GTR – bei den Namen läuft Motorsport-Fans das Wasser im Mund zusammen. Was heutige Hypercar-Hersteller vollmundig versprechen – reinrassige Rennwagen für die Straße –, erfüllten die rohen Geschosse bereits vor mehr als 20 Jahren.
Möglich war das, weil die Homologation die Hersteller zwang, auch Straßenautos ihrer Rennwagen zu bauen. Homologationen stehen für die Vorgaben eines Reglements, das ein Automobilverband ausgibt. Im Fall der GT1-Monster musste eine Mindeststückzahl von Straßenautos existieren, um in der Weltmeisterschaft beziehungsweise bei den 24 Stunden von Le Mans starten zu dürfen. Als Siegerauto aus dem Jahr 1998 überstrahlt der 911 GT1 viele Rennwagen der Konkurrenz. Porsche wollte Spitzenmotorsport betreiben, der auch bezahlbar war.
Die Stuttgarter standen im engen Austausch mit dem ACO. Schließlich hatten die Franzosen Interesse daran, dass die Werke nach der Gruppe-C-Ära an die Sarthe zurückkehrten. 1992 starteten nur 28 Autos zum 24h-Rennen. Es entstand das GT-Konzept. Porsche kam werksseitig aber erst 1996 zurück. Die Marke hatte etwas gutzumachen. Das Formel-1-Experiment als Motorenlieferant Anfang der 1990er-Jahre war gescheitert. Porsche wollte mit dem neuen Motorsportprojekt reüssieren und das etwas angekratzte Image aufpolieren – das gelang.
911 GT1 triumphiert in Le Mans
Rund um Designer-Legende Norbert Singer schufen die Stuttgarter den 911 GT1. Die erste Version hatte noch mehr mit dem Straßenelfer gemein, doch Porsche evolutionierte den in Weissach entwickelten GT-Rennwagen immer weiter. Am Ende überschnitten sich nur noch die Scheinwerfer mit denen der damaligen 996-Baureihe.
Unter der Haube steckte ein Boxermotor mit sechs Zylindern – wie es sich für Porsche gehört. Der 3,2 Liter große Motor generierte 600 PS und war doppelt aufgeladen. Besonders stolz ist Porsche auf die Motorelektronik. Sie soll dem GT1 beim effizienten Spritsparen geholfen und einen Teil zum Triumph 1998 beigetragen haben. Die Jahre zuvor musste sich der Rekordsieger noch geschlagen geben. 1996 gewann Porsche zwar als Motorenlieferant des Joest-Teams, die Werks-GT1 landeten aber auf den Rängen zwei und drei. Ein Jahr später schied der in Führung liegende GT1 wenige Stunden vor Rennende aus.
1998 passte dann alles, und Porsche triumphierte. Von dem 911 GT1 aus 1996 baute der Sportwagenhersteller nur zwei Autos für die Straße, von der 97er-Version entstanden 21 Stück und von dem Siegerwagen gar nur ein Exemplar für die Straße. Dieser Elfer-GT1 fristet aktuell sein Dasein im hauseigenen Porsche-Museum.
Japanische Legende
Der Traum, mit dem Geschoss aus Stuttgart-Zuffenhausen mal über die Straße zu fliegen, dürfte somit unerfüllt bleiben. Das Gleiche gilt für den Toyota GT-One. Die Japaner wollten mit dem roten Renner den ersten Gesamtsieg in Le Mans feiern. Dafür verpflichtete Toyota den Konstrukteur André de Cortanze und die Aerodynamikerin Joanna Moss. Das Endergebnis war das radikalste GT-Auto seiner Generation. Moss erkannte Parallelen zum Peugeot 905. Der von de Cortanze entworfene Prototyp gewann 1992 und 1993 in Le Mans. Toyota fertigte zunächst ein Exemplar für die Straße. Somit erfüllten die Japaner die Mindestanforderung, um bei den 24 Stunden antreten zu dürfen.
Der von der Motorsportabteilung in Köln-Marsdorf gebaute GT-One hatte einen 3,6 Liter großen V8-Biturbo im Heck. 630 PS lieferte das Aggregat an die Hinterräder. Die Straßenversion regelte Toyota etwas herunter, um wie viel, ist nicht bekannt. Lediglich 920 Kilogramm brachte die Flunder auf die Waage. Erfolgreich war der rote Blitz jedoch nicht. Sowohl 1998 als auch 1999 schlug sich Toyota wegen Unzuverlässigkeit und Pech selbst. Der Speed stimmte, die Ergebnisse nicht. Die legendären Renner verschwanden in Museen. Toyota baute von dem GT-One ein weiteres Straßenauto. Wie der 911 GT1 aus 1998 dienen die beiden Exemplare als Ausstellungsstücke. Ein GT-One steht in Köln, der andere verweilt in Nakagute.
Mercedes CLK GTR mit V12-Sauger
Die einzig realistische Chance, eines dieser extrem seltenen GT1-Autos zu fahren, bietet der Mercedes CLK GTR. Für die Le-Mans-Teilnahme waren 25 Straßenfahrzeuge nötig. Zusammen mit Technikpartner HWA baute Mercedes die Supersportwagen – fünf Roadster und 20 Coupés. Heutzutage tauchen hin und wieder Modelle bei Versteigerungen auf, bei denen sie Summen von mehreren Millionen Euro erzielen. Der Neupreis des CLK GTR betrug rund drei Millionen D-Mark. Da wurde sogar der heutige FIA-Präsident Mohammed Ben Sulayem schwach und schlug zu. Mercedes platzierte den mächtigen V12-Motor mit seinen knapp sieben Litern Hubraum vor der Hinterachse. Der Sauger leistete mehr als 600 PS. In zwei Chassis ihres Supersportlers verbaute Mercedes sogar 7,3 Liter große Zwölfzylinder, die 664 PS generierten.
Mit der Rennversion wollten die Silberpfeile in Le Mans siegen. Doch 1998 mussten sie sich der schwäbischen Konkurrenz in Form des 911 GT1 geschlagen geben. Ein Jahr später schickte Mercedes hoffnungsvoll den weiterentwickelten CLR nach Le Mans. Das Wochenende war jedoch ein einziges Debakel für die Silberpfeile. Aufgrund eines Konstruktionsfehlers verunfallten die Mercedes dreimal spektakulär, als sie auf der hügeligen Piste abhoben. Danach endete die Ära der GT1-Renner. Die autogewordenen Träume waren einst Poster-Helden wie die Backstreet Boys und versetzten beim Anblick meist junge Petrolheads fast in Ohnmacht.
Im Geiste von 300 SL und 250 GTO
Die Geschichte und der Spirit von Rennern, die ihren Weg von Le Mans auf alltägliche Straßen fanden, ist schon älter. Während die drei zuvor erwähnten Publikumslieblinge in den 1990ern für Begeisterung sorgten, sind der Ferrari 250 GTO und der Mercedes 300 SL wie die Beatles Pioniere ihrer Ära. Die Italiener bauten Anfang der 1960er-Jahre insgesamt 36 Exemplare des 250 GTO. Schon der Name erklärt seine Herkunft: Das GTO bedeutet im Italienischen "Gran Turismo Omologato". Unter die Haube steckte Ferrari einen V12-Motor. Noch heute sind zwar alle Autos erhalten, trotzdem werden astronomische Summen für die Ferrari 250 GTO aufgerufen. Mit Werten von mehr als 30 Millionen Euro überflügeln sie sogar alte Formel-1-Legenden. Ein Sieg beim 24-Stunden-Klassiker gelang der Mythosmarke trotz mehreren Anläufen mit dem Rennwagen jedoch nicht.
Noch älter – und auch erfolgreicher – war der Mercedes 300 SL. Der von Rudolf Uhlenhaut designte Rennwagen triumphierte 1952. Mit dem Sieger im Kopf bauten die Stuttgarter zwei 300 SLR – liebevoller Spitzname: Uhlenhaut-Coupé. Eins der geschlossenen Autos genießt wie seine Fackelträger Porsche 911 GT1 und Toyota GT-One ein Dasein als Museumsstück. Das andere Coupé wechselte im Jahr 2022 auf einer Auktion für 135 Millionen Euro den Besitzer und ist damit das teuerste Auto der Welt. Aus dem Uhlenhaut-Coupé leiteten die Stuttgarter den intern als W198 bezeichneten 300 SL ab, der eine Ikone der Automobil-Geschichte wurde.
Ford bringt den GT zurück
Trotz der strengen modernen Homologationsauflagen, die Serienautos nahezu als Basis erzwingen, überlebte der Spirit der alten GT-Superstars bis in die Neuzeit. Vor allem die US-Boys dachten bei ihren Sportlern erst an die Rennstrecke – und dann an die Serie. Auf die Spitze trieb es Ford mit der jüngsten Reinkarnation des GT. Der umjubelte GTE-Klassensieger des Jahres 2016 knüpfte nicht nur an die glorreichen 1960er-Jahre an, sondern war das technische und optische Vorbild für die Straße.
Weitaus weniger extrem gingen die US-Rivalen von Chevrolet vor. Auch bei der C8 und ihrer Performance-Version Z06 standen die sportlichen Bedürfnisse im Vordergrund, die Basis war schon grundsätzlich gegeben. Dementsprechend sei dem Marketing durchaus verziehen, wenn es dem neuen Mittelmotor-Monster die sportliche Wiege attestiert.
Auch wenn in Zeiten von Balance of Performance und Co. GT1-Helden unmöglich erscheinen, können Sportwagen-Enthusiasten so weiter davon träumen, ein echtes Rennauto mit Kennzeichen zu bewegen. Etwas, mit dem andere Hersteller nur beleglos prahlen.