Es gibt in jedem Jahr vor dem 24h-Rennen Nürburgring zwei Themen, die auf Social Media für hitzige Diskussionen sorgen. Da wäre zum einen die Starterzahl. Machen wir es kurz: 130 Starter sind im Vergleich zum vergangenen Jahr mit 131 Teilnehmern eine solide Zahl. Zumal die Unruhen rund um den Langstreckensport auf der Nordschleife durchaus Spuren hinterlassen haben. Von über 200 Autos kann man nur noch träumen. Das ist allerdings ein komplexes Thema, das nicht nur einem Faktor zuzuschreiben ist.
Ebenfalls komplex: die Balance of Performance (BOP). Womit wir beim zweiten emotionsgeladenen Thema wären. Zumal diese beim Blick auf die Favoritenrolle einen entscheidenden Einfluss hat. Wir kennen natürlich noch nicht die finale Einstufung der 25 GT3-Autos, aber die Balance of Performance spielte im vergangenen Jahr beim Sieg des Ferraris neben der respektablen Teamleistung von Frikadelli Racing definitiv eine Rolle.
Der Ferrari war rund zwei Sekunden pro Runde schneller unterwegs. Umso mehr stehen die BOP-Macher um Technikausschuss-Chef Norbert Kreyer in diesem Jahr unter Beobachtung. Allerdings wurde der Job der Regelhüter nicht leichter. Michelin und Falken durften aus Sicherheitsgründen neue Reifenspezifikationen einsetzen, was die Vergleichbarkeit kniffliger macht.
Neue Faktoren bei der BOP
Zudem kommt die neue Berechnung des Drucks für die Turbomotoren als weiterer Faktor hinzu. Das betrifft BMW, Ferrari und Aston Martin. Streng genommen hat sich nur die Berechnungsmethode geändert. Warum? Weil das 24h-Rennen nun zur Intercontinental GT Challenge gehört und man deshalb auf den SRO-Standard setzt. An sich sollte das keinen Einfluss haben, doch die Werte sind jetzt nicht mehr so einfach mit denen aus dem Vorjahr zu vergleichen. Auch bei den Herstellern herrscht Verwirrung.
Schaut man sich nur die Ergebnisse ohne jeglichen Kontext an, sieht Porsche ziemlich gut aus. In vier Rennen gingen vier Siege an den 911 GT3 R. Einer an Manthey bei NLS 2, die anderen drei an Falken. Woher kommt der Sprung im Vergleich zum vergangenen Jahr? "Wir haben das Auto über die Saison 2023, als es ja noch im Debütjahr war, immer besser kennengelernt. Zudem waren wir auch nach dem 24h-Rennen regelmäßig am Start", sagt Sven Schnabl, der die blau-türkisen Elfer für Falken einsetzt.
Insgesamt trumpfte Porsche mit Falken, Manthey und der Mannschaft von Herberth Motorsport auf. Und Manthey hat sicher noch ein paar Pfeile im Köcher. Das Gesamtbild überrascht nicht: Im Vergleich zum 24h-Rennen 2023 durfte man bei gleichem Gewicht einen der beiden Restriktoren um 1,5 Millimeter vergrößern. Plus: Die Reifenprobleme sind gelöst, das Auto ist erprobt, die Line-ups können sich alle sehen lassen. In der neuesten BOP-Version vor dem Rennen musste man nun aber wieder 15 Kilogramm zuladen.
Recht unscheinbar blieb Mercedes-AMG in der Vorbereitungsphase. Es hieß, man habe noch Setup-Probleme mit der neuen Michelin-Spezifikation. Die Pole-Positions von Daniel Juncadella bei NLS 1/2 sprechen eine andere Sprache. Studiert man die Besetzungen der vier werksunterstützten Mercedes-AMG GT3, ist schnell ein Favorit ausgemacht. Das GetSpeed-Trio Maro Engel, Jules Gounon und Fabian Schiller dürfte in Sachen Erfahrung und Speed überzeugen. Die anderen Autos sind schwieriger einzuschätzen, könnten aber überraschen – etwa die Kombi Auer/Christodoulou/Ellis/Grenier oder Stolz/Götz/Juncadella/Maini. Das hängt sicher auch von der Fahrzeit der einzelnen Piloten ab.
Starke Fahrer bei BMW
Bei BMW fällt auf, dass man wie Mercedes-AMG mit einem ausgereiften Auto an den Start geht, aber gefühlt in sich noch stärkere Fahrerpaarungen hat. Rowe Racing setzt wie gehabt zwei Autos ein und hat nun das Juwel Raffaele Marciello an Bord. Er teilt sich den M4 GT3 mit Marco Wittmann, Maxime Martin und Augusto Farfus. Der Brasilianer sitzt ebenfalls im Schwesterauto, in dem er mit Dries Vanthoor, Sheldon van der Linde und Robin Frijns angreift. Dazu kommt der dritte BMW M4 GT3 von RMG.
Audi gilt wie immer als gesetzt, auch wenn es keine offizielle Werksunterstützung mehr gibt. Zumal Scherer Sport PHX mit klangvollen Namen glänzt: Haase/Winkelhock/Vervisch/Feller und Stippler/Mies/Marschall/Feller gehören zum Aufgebot. Man hat aber 2024 nur zwei heiße Eisen im Feuer.
Der Ferrari 296 GT3 wurde beim Thema Turboboost bei den Vorbereitungsrennen an die kurze Leine genommen. Dazu kamen fünf Kilogramm. Eine Woche vor dem Rennen folgte eine weitere Reduzierung des Turbodrucks. Die Fahrerpaarung erscheint etwas schwächer als im Vorjahr: Daniel Keilwitz, Luca Ludwig, Felipe Fernández Laser und der in der Eifel noch unbekannte Nicolas Varrone. Trotzdem sollte man den Ferrari auf dem Zettel haben.
Genauso wie Aston Martin. Prodrive, die die GT-Einsätze betreuen, spielt das BOP-Spiel traditionell immer extrem clever. Aktuell steht die Evo-Version des Vantage am Start. Der neue Partner Walkenhorst Motorsport ist ein Nordschleifen-Urgestein. Die Fahrer David Pittard, Nicki Thiim, Christian Krognes und Kuba Giermaziak sprechen für sich. Ebenfalls hoch gelistet: der Lamborghini in den Händen von Abt Sportsline. Bereits im vergangenen Jahr war man mit einer freundlichen Einstufung flott. Mit 25 Kilogramm mehr war man in der Vorbereitungsphase ebenfalls nicht im Schneckentempo unterwegs. Zuletzt musste man den Restriktor um einen halben Millimeter reduzieren und durfte dafür 10 Kilogramm ausladen.