Avantgarde, Ikone oder auch Revolution – seit seiner Präsentation sammelte Peugeots jüngster Le-Mans-Renner extreme Beschreibungen. Denn kein anderes Modell nutzt die Freiheiten des LMH-Reglements derart mutig wie der 9X8. Im Mittelpunkt seines bisherigen Konzepts steht der Verzicht auf einen Heckflügel. Die Idee dahinter ist auf dem Papier – oder moderner: auf dem Bildschirm mit Simulationstool – durchaus clever.
Dank eines ausgeklügelten Groundeffect-Unterbodens kann die Luftführung über die Motorabdeckung minimalistisch gehalten werden. Eine kleine, schnell abfallende Finne, die von Elementen auf den hinteren Radkästen unterstützt wird, und ein wannenförmiger Spoiler geben nötige Extras bei der Stabilität und beim Abtrieb. Zum einen schenkt der Fokus auf die unteren Ströme dem Hypercar eine aus Marketing-Sicht gewollt extravagante Optik.
Zum anderen lässt sich der Schwerpunkt möglichst zentral ansetzen. Kombiniert mit dem kompaktesten Antrieb im Prototypen-Feld – als Ausgleich für den schweren Frontmotor – und einheitlichen Vorder- und Hinterrädern (31 cm) zur gleichmäßigen Abgabe der Hybrid-Power hatte der Allrad-Renner reichlich gute Argumente für seine Form.
Steile Lernkurve und BOP-Sorgen
In der Realität scheiterte der Plan jedoch häufiger, als er aufging. Ähnlich wie in der Formel 1 brauchten die Ingenieure eine längere Zeit, um die Feinheiten ihres Groundeffect-Konzepts zu verstehen. Besonders auf ebeneren Bahnen wie Katar und auch Monza, wo der 9X8 sein bislang einziges Podiumsergebnis einfuhr, konnten die Fahrer dann die Stärken des Konzepts ausspielen. Des Weiteren hielten auch Probleme mit der konventionelleren Technik die Mannen von Stellantis-Sportchef Jean-Marc Finot mehrmals zurück. So zeigte sich das Getriebe beispielsweise nicht immer sattelfest.
Der Tiefpunkt des Projekts war die letztjährige Ausgabe der 1.000 Meilen von Sebring. Auf dem rustikalen floridianischen Flugplatzkurs erlebte der Peugeot 9X8 sein Waterloo. An diesem März-Wochenende fiel bei den Verantwortlichen die Entscheidung, dass es einer Änderung bedarf. "Wir haben verstanden, dass die Bandbreite der Balance of Performance uns das Leben auf Dauer schwer machen könnte. So wie sie ausfiel, konnten wir nicht wettbewerbsfähig sein", erklärt Finot.
Die BOP war aber nur ein Symptom für eine größere regulatorische Schieflage. "Wir haben unser Auto im Jahr 2021 für die LMH-Regularien entworfen. Auf deren Basis nutzten wir gleich breite Reifen für die Simulationen. Hier liegt die Grundlage für unseren Fokus auf die ausgeglichene Balance. Wir waren stolz, ein Allrad-Konzept mit dem Verhältnis 50 zu 50 geschaffen zu haben." Zu diesem Zeitpunkt ging sein Team ebenfalls davon aus, dass die Schwelle für die Hybrid-Aktivierung bei 120 km/h liegen würde.
Probleme mit der Traktion
Doch dann kam die große Zäsur durch eine späte Konvergenz zwischen den LMH- und den amerikanisch geprägten LMDh-Regularien (z.B. Porsche 963). "Nur wenige Monate später wurde die Speed-Schwelle leider hochgesetzt. Außerdem konnte Toyota eine Freigabe der Reifengrößen 29 cm vorne und 34 cm hinten durchsetzen. Für uns war es schon zu spät, um darauf noch zu reagieren." Weil der 9X8 seinem Balance-Konzept treu bleiben musste, geriet er allen voran in langsamen Kurven in den Rückstand.
"Auf technischen Strecken mit engen Kurven fehlte uns Traktion. Als Folge davon litten die Fahrbarkeit und der Komfort für unsere Piloten, die damit haderten, die Reifen am Leben zu erhalten." Für sein Team bedeutete diese unglückliche Lage eine doppelte Arbeitslast in den vergangenen zwölf Monaten. Während man die Saison mit dem essenziellen Le-Mans-Heimspiel so gut wie möglich absolvieren wollte, musste parallel das neue Aero-Paket entwickelt werden.
Für den Stellantis-Sportchef ist das Zusammenkommen der beiden Reglements zwar der Ausgangspunkt für die Entwicklung, die nun in den Heckflügel mündete. Aber die Schwierigkeiten der BOP-Macher darauf zu reagieren, hätten am Ende den Ausschlag gegeben. "Wir hätten uns auch lieber die Zusatz-Arbeit erspart. Erst recht, wenn man sieht, dass es mit einer guten Einstufung wie in Katar ja doch recht ordentlich funktioniert. Aber da die BOP dort am Limit gewesen ist, bleibt der Wechsel der Philosophie auf Heckflügel und größere Hinterräder ohne eine Alternative."
90 Prozent überarbeitet
Laut Technik-Direktor Olivier Jansonnie reichte die bloße Ergänzung eines Heckflügels nicht aus. "90 Prozent des Autos wurden überarbeitet. Dazu arbeiteten wir an der Haltbarkeit des Motors." Jean-Marc Finot ergänzt: "Wir mussten zur Unterstützung der Hinterräder die Aero-Balance verschieben. Aus diesem Grund wanderten Teile und Ballast zum Heck." Theoretisch wäre es sogar möglich gewesen, auch hierfür auf den Unterboden zu setzen, da das Fenster der Regeln erneut passende Freiheiten geboten hätte. Neben zusätzlichen Kalkulationen hätte dies jedoch neue Crash-Tests erzwungen. So ist das Skelett des Renners dasselbe.
Im Dezember 2023 ging das neue Konzept erstmals auf die Strecke. "Der Testträger in Le Castellet war nahe an der jetzigen Stufe, brauchte aber weitere Anpassungen. Unter anderem sammelte das Team zusätzliche Referenzen im Windtunnel. Vor etwas mehr als einem Monat fuhren wir dann in Portimão." Zwischen 7.000 und 8.000 Kilometer konnten die Piloten währenddessen schon abspulen. Vergangene Woche war die Mannschaft zudem im spanischen Aragón. Wie lautet das vorläufige Fazit?
"Das Auto ist schneller, aber wir verraten das Ausmaß natürlich noch nicht. Wenn man bedenkt, dass die 2023er-Form bei passender BOP schon wettbewerbsfähiger war, stehen die Vorzeichen gut." Wegen ebendieser möchten die Franzosen für das angestrebte Debüt in Imola noch keine Prognose abgeben. Ähnlich zurückhaltend blickt man auf das Kennenlernen mit den neuen Reifengrößen. "Eines kann ich aber sagen: Wir sind in der WEC, um vorne mitzufahren und Rennen zu gewinnen. Da Imola sehr spezifisch durch Höhenunterschiede, anspruchsvolle Kurven und aggressive Randsteine ist, wird es schwerfallen, daraus schon größere Schlüsse zu ziehen."
Fahrer können härter rangehen
Ein erstes positives Fazit präsentierten die Piloten beim Zwei-Tages-Test in Aragón. Der Schweizer Nico Müller berichtet: "In den Bereichen, in denen wir uns verbessern wollten, haben wir einen Schritt nach vorne gemacht. Jetzt gilt es, das Performance-Fenster zu optimieren und bessere Rundenzeiten rauszuziehen." Natürlich sei es zu früh zu sagen, wie die Realität im Wettbewerb aussehen wird.
Die größten Änderungen liegen für den früheren DTM-Fahrer im Bereich des Setups. Doch auch beim Fahrverhalten musste er sich etwas anpassen. "Man kann wieder mehr so fahren, wie man es von anderen Autos gewohnt ist. Das ursprüngliche Fahrzeug reagierte sehr sensibel auf Inputs. Man musste aufpassen, dass man es nicht zu sehr pusht und überfährt. Die Evo-Variante erlaubt eine härtere Gangart, das ist für uns Fahrer natürlicher."
Trotzdem sei das Auto im Kern ähnlich. "Die Änderungen spürt man direkt nach dem Abschalten des Pit-Limiters. Das heißt nicht, dass alles per se besser ist. Verschobene Parameter bedeuten Effekte, auf die man anderweitig reagieren muss." Müllers Hoffnung ist, mit dem 9X8 2024 daran anzuschließen, was er in Katar begonnen hat. "Dort haben wir ein enges Setup-Fenster getroffen, beim Neuen soll es viel breiter sein." Er und seine Kollegen wollen so dauerhaft aggressiv zur Sache gehen und den Ikonenstatus endlich mit Erfolgen untermauern.