Vielleicht wäre alles anders gekommen, wäre nicht auf halber Strecke der Turboschlauch vom Ladeluftkühler abgefallen. Ari Vatanen wusste schon nach sechs Minuten, dass er maximal als Zweiter über die Ziellinie fahren würde. In der Qualifikation war der Rallye-Weltmeister von 1981 noch vier Sekunden schneller gewesen als Walter Röhrl im Audi Quattro S1. Aber das Flügelmonster aus Ingolstadt lahmte da auch noch wegen unerklärlicher Elektronik-Probleme mit dem Umluftsystem. Am Renntag im Sommer 1987 flog Röhrl mit einem perfekt laufenden Quattro und perfekt arbeitenden Füßen an den Pedalen den Berg hinauf. Der Bayer gewann das Ding nicht nur, er setzte nicht nur einen neuen Streckenrekord, er hackte den bisherigen Rekord von Bobby Unser in kleine Schnipsel. Um 22 Sekunden war die deutsche Legende schneller als die amerikanische.
Dazu muss man wissen, dass Bobby Unser der König des Pikes Peak ist. Elf Mal triumphierte der heute 84-Jährige beim „Rennen zu den Wolken“, niemand gewann öfter. Bevor irgendeine Nation den Berg für sich reklamieren kann, könnte ihn die Unser-Familie zum Familien-Eigentum erklären. Die Unsers stammen aus Colorado Springs. Stammvater Louis gewann von 1934 bis 1953 neun Mal, mit Al Unser (2 Siege), seinem Sohn Al Unser Junior (1 Sieg) und schließlich Robby Unser (4 Siege) haben fünf Familienmitglieder den Berg gerockt und 27 Trophäen eingesackt.
Amerika wird auf die Quattros aufmerksam
Und so war der Röhrl-Sieg auch in den Staaten eine große Sache, denn auch wenn Bobby bei seinem elften Sieg nicht mehr der allerjüngste war, so war er eben bis dahin in den USA doch der Allergrößte im Bergauf-Rasen. Und niemand konnte behaupten, Unsers Rekord von 11.09,220 Minuten sei gegenüber Röhrls Husarenritt mit unterlegenem Material zustande gekommen. Denn auch Unser fuhr einen Quattro S1.
Seit Beginn der Quattro-Ära machte Audi auf Premium, und so kamen die Marketing-Verantwortlichen schnell auf den Trichter, dass sich mit dem Vorsprung durch Technik in Amerika ein veritables Stück vom Kuchen abschneiden ließe. Man schickte zunächst einen Rallye-Quattro über den Teich, mit dem der einheimische Drifter John Buffum die dünne amerikanische Rallye-Szene aufmischte.
Es traf sich gut, dass die Veranstalter des Bergrennens im Colorado sich im Quattro-Debüt-Jahr 1981 ohnehin einen weniger provinziellen und etwas globaleren Anstrich geben wollten. Also führten sie eine offene Klasse für Rallye-Fahrzeuge aus Europa ein, ohne zu ahnen, wem man damit die Tür geöffnet hatte. Buffum gewann die „Unlimited Class“ 1982 und 1983, erstmals wurde Amerika auf die Quattros aufmerksam. Noch aber waren die speziell vorbereiteten Geräte der Einheimischen im Kampf um den Gesamtsieg schneller, und so legte man sich anschließend entspannt wieder hin.
Michele Mouton erobert Pikes Peak
1984 zündete Audi in zweierlei Hinsicht die zweite Stufe. Erstens schickte man nun den neuen, kürzeren Sport Quattro, der agiler, aber vor allem leistungsstärker war. Zweitens schickte man Michele Mouton, und plötzlich sah auch Deutschland hin. Die Französin kannte man hierzulande bestens, seit sie im WM-Kampf 1982 Röhrl fahrerisch und vor allem verbal ins Schwitzen gebracht hatte. Der arme Regensburger stand als Macho und ewig gestriger Chauvinist da, nur weil er ehrlich zugab, er wolle nicht unbedingt der erste Mann sein, der von einer Frau am Lenkrad verdroschen wird. Als Drift-Amazone und unfreiwillige Frontkämpferin für den Feminismus war Mouton in Deutschland eine Berühmtheit. Ihr Erfolg in der Rallye-Klasse am Pikes Peak 1984 erregte erstmals auch die Aufmerksamkeit der teutonischen Öffentlichkeit, weshalb Audi die Französin im Folgejahr gleich noch mal entsandte.
Man wollte den Amis die letzten zwei Bastionen schleifen. Erstens, dass man schon ein echter Kerl mit dicken Eiern sein muss, um hier ganz oben zu stehen, und zweitens, dass man im Kampf um Rekorde eben doch auf eine der einheimischen Eigenbauten zurückgreifen müsse. Mouton gibt zu, dass ihr der Berg Angst einflößte. Schließlich gab es damals nicht den Hauch einer Leitplanke, der einen vom hunderte Meter tiefen Purzeln bewahrte, wenn es über die Kante ging. Beim ihrem Debüt hatte sie noch Beifahrerin Fabrizia Pons neben sich sitzen, die ihr jede Kurve mit einem Rallye-Aufschrieb ansagte. Aber 1985 hatte Mouton genug Routine am Berg und sparte sich das Zusatzgewicht. Sie stürmte in 11.25,390 Minuten über die knapp 20 Kilometer, exakt 45 Sekunden schneller als im Vorjahr.
Jetzt war Mouton auch in den Staaten in aller Munde und mit ihr diese deutsche Firma mit den vier Ringen, deren Autos so schlecht ja nicht sein konnten, wenn damit selbst Frauen die Cowboys von Colorado niederreiten können. Evergreen Bobby Unser unterbot Moutons Rekord gleich ein Jahr später wieder, in 11.09,220 Minuten war er 16 Sekunden schneller, aber er saß ja auch in einem geflügelten Quattro S1 mit einem Turbo, groß wie ein Schnellkochtopf, die letzte Eskalationsstufe der Gruppe-B-Ära. Wichtig war den Ingolstädtern, dass er in einem Audi gewann und für die Quattro-Idee die Werbetrommel rührte. Und so war Unsers Erfolg irgendwie auch unser Erfolg. Deutschland hatte erneut den Himmel erobert.
„Devil’s Playground“: Spielplatz der Rallye-Elite
Das vorher im europäischen Motorsport nahezu unbekannte Rennen am Pikes Peak war plötzlich eine hochgradig bedeutende Angelegenheit, die sich vor allem die Rallyefans neben den zwölf WM-Läufen in den Kalender malten. Die Rallyeautos, die man in Colorado als Farbtupfer ins Feld geholt hatte, kauften jetzt Jahr um Jahr den Eingeborenen den Schneid ab. „Devil’s Playground“ war jetzt der Spielplatz der Rallye-Elite und die einheimischen Starter allenfalls Staffage.
Audi und Peugeot nutzten das Rennen 1987, um die Kampfzone ihres seit 1984 währenden Duells auszuweiten. Audi hatte die Idee des permanenten Allradantriebs geboren, Peugeot hatte unter Sportchef Jean Todt mit dem bestens ausbalancierten Mittelmotorrenner 205 Turbo und flexibler Kraftverteilung am Ende den besseren Quattro im Programm. Peugeot eroberte 1985 und 1986 die Marken-WM, Audi hatte das Nachsehen. 1987 hatten beide Sportabteilungen Zeit. Der Motorsportweltverband FIA hatte wegen der schlimmen Rallye-Unfälle 1986 die Gruppe-B-Renner verboten.
Peugeot verklagte die FIA und zog grollend zur Rallye Dakar, wo ein ebenso freizügiges Reglement galt wie in der unlimitierten Klasse am Pikes Peak. Bei Audi musste man erkennen, dass im seriennahen Gruppe-A-Zeitalter mit dem langen und dicken 200 Quattro auf Rallyepisten nichts zu gewinnen war, also konzentrierte sich auch Ingolstadt aufs Bergsteigen, schließlich war man ja nun Platzhirsch in Colorado. Neben Ford, die einen RS200 entsandten, war auch VW am Start. Es war der dritte Anlauf der Sportabteilung aus Hannover, die bereits 1985 und 86 mit zweimotorigen Gölfen an den Start gegangen war, sich aber erst 1987 schlagkräftig zeigte, seit beide Motoren Turbounterstützung hatten und man damit Audi und Peugeot ebenbürtig war.
Im Nachhinein wirkt es cool, dass VW seinen Bimotor-Golf grau lackiert hatte und im Gegensatz zu Audi und Peugeot keinerlei Flügelwerk installiert hatte. Der unscheinbare Volkswagen spielte in den Testsessions und in der Qualifikation keine große Rolle, das Auto litt an allerlei Problemchen. Aber am Tag X waren der Golf und Fahrer Jochi Kleint voll da. Was wäre wohl gewesen, hätte es nicht zwei Kurven vor dem Ziel einen Querlenker aus der Verankerung gerupft. Laut Veranstalter war die graue Maus bei der Zwischenzeitnahme ganz vorn, eine Sekunde vor Röhrl.
Hätte, hätte, Fahrradkette, der Golf fiel aus, der Audi gewann und damit neben „Made in Germany“ auch noch ein deutscher Fahrer, dessen Name die Leute in den Kneipen von Colorado Springs mit von Bier gelockerten Zungen im Morgengrauen zunehmend souveräner aussprechen konnten.
Vierter Anlauf von VW
Nachdem Audi sich vom Rallyegeschäft zurückzog, fiel der Berg hierzulande wieder in einen tiefen Dornröschenschlaf. Dank der elf Siege japanischer Fahrer und der 16 Siege japanischer Autos in den 90er und Nuller Jahren war der Pikes Peak lange eine Domäne Nippons, durch die fünf Erfolge Rod Millens in den späten Neunzigern auch der Berg der Kiwis, und nicht nur durch Peugeots Siege 1988 und 1989, sondern vor allem durch den Fabelrekord des Sébastien Loeb 2013 und die drei Siege von Romain Dumas zuletzt doch eine sehr gallische Veranstaltung.
Der vierte Anlauf von VW ist nicht nur das Bemühen, nach drei Jahren Diesel-Affäre endlich mal ein paar emissionsfreie Schlagzeilen zu machen, sondern auch die Mission, eine seit 31 Jahren offene Wunde zu schließen. Der I.D. R wird mit der Nummer 94 an den Start gehen. Es ist natürlich auch der Versuch, den Berg nach Deutschland zurückzuholen und mit Technikchef Francois-Xavier Demasion am Kommandostand und Romain Dumas am Steuer ein schönes Stück deutsch-französischer Freundschaft.