Eigentlich konnte Thierry Neuville nichts Besseres passieren, als ein auf der Böschung hockender Sébastien Ogier, dessen Toyota-Motor auf der vorletzten Prüfung abgeraucht war. Null Punkte für den Tabellenführer, das bringt den nach seinem Estland-Ausfall eigentlich chancenlosen Belgier wieder bis auf 14 Punkte an den sechsfachen Champion heran.
Nur spielt das wohl keine Rolle mehr, denn der Tabellenführer ist zum zweiten Mal seit Februar in Schweden ein Waliser, und Elfyn Evans hat satte 32 Punkte Vorsprung auf Neuville, angesichts von nach bisherigem Stand nur noch zwei ausstehenden Rallyes mehr als ein Polster.
"Nach meinem Gefühl hatten wir mehr verdient", schmollt der Zweite des Wochenendes, und wer mag es ihm verdenken? Sieben von zwölf möglichen Bestzeiten gingen auf Neuvilles Konto. Obwohl er am Sonntag als Einziger 23 Kilo Extra-Gewicht für ein zweites Ersatzrad mitführte, war er auf drei von vier Prüfungen der schnellste Mann.
Hyundai hatte beim härtesten Wochenende des Jahres das beste Auto, Neuville fuhr auf den Knüppelpisten der Provinz Mugla ohne jeden Fehler, lieferte ein Musterbeispiel an Tempo, Selbstbeherrschung und Nervenstärke, nur mündete das alles nicht in das gewünschte Resultat.
Plattfuß-Parade auf Cetibeli
Es ist ein schwacher Trost nicht allein zu sein in seinem Elend: Auf den 38,15 Kilometern von Cetibeli, parkten am Sonntagmorgen zeitweilig nicht weniger als vier World Rally Cars am Straßenrand, die zwischen 1.14 Minuten (Ogier) und 2.13 Minuten (Esapekka Lappi) einbüßten, weil ein Rad zu tauschen war.
Eigentlich forderte die härteste Prüfung der Saison und die längste der Rallye fünf Kautschuk-Opfer, aber der bis dahin Zweite Sébastien Loeb entschied sich, mit seiner Panne durchzufahren. Im Ziel war die Felge rechts vorn bis auf den inneren Kern durchgeschliffen.
Wenn es fünf Plattfüße auf einer Prüfung gibt, werden immer Fragen nach der Güte der Gummis laut, Alleinausrüster Pirelli kam zu dem Schluss, dass die Felgen über Gedeih und Verderb entschieden hätten, was insofern korrekt ist, dass der Schmied zum Hammer immer auch ein Amboss braucht, um seinen Stahl platt zu schlagen.
Die meisten Fahrer experimentierten mit einem Mix aus der harten Schotterreifen H4 und der Medium-Variante M6, denn trotz aller Härte des Belags lag die Boden-Temperatur bei kühlen 23 Grad. Es zerrieb sowohl die weicheren als auch die härteren Pneus, was darauf schließen lässt, dass es weniger um Verschleiß ging, sondern um purem Feindkontakt, der meistens gut ausging, aber eben nicht immer.
"Das ist eine reine Lotterie", maulte Sébastien Ogier, und sein Zorn über seinen Plattfuß war so groß, dass er weder realisierte, dass er erstens schneller gewechselt hatte als jeder andere, und zweitens, dass es ihn trotz seines Missgeschicks gerade um einen Rang nach vorn auf Platz zwei gespült hatte.
Lotterie in der Türkei
Neuville hätte vielleicht trotz seines Reifenschadens gewinnen können. Dass er auf Cetebeli am Morgen 34 Sekunden mehr verlor als Ogier, lag nicht an den schlechteren Radwechselkünsten der Belgier. Neuville wähnte vielmehr anfangs einen gebrochenen Dämpfer als Ursache für das Gerumpel und humpelte erst einmal weiter. Im Ziel fehlten ihm 35,2 Sekunden auf den Sieger.
Es wäre leicht zu sagen, mit Elfyn Evans hätte eben der gewonnen, der in der Lotterie das glücklichere Los gezogen hat. Der neue WM-Leader hatte selbst am Samstag eine halbe Minute mit einem Plattfuß eingebüßt. Er war außer auf Cetibeli 1 nie der Schnellste, aber nahezu immer unter den Top Vier.
Evans blieb fehlerlos und trotz etwas Hektik wegen eines Missverständnisses beim Start von WP 10 behielt er im Finale die Nerven. Obwohl er am meisten zu verlieren hatte, absolvierte er den zweiten Durchgang von Cetibeli knapp 50 Sekunden schneller als am Morgen und ließ den Schnellsten Neuville nur um fünf Sekunden herankommen.
"Der würdige Sieger", lobte Teamchef Tommi Mäkinen, der sich entspannt zurücklehnen kann. Mit Evans und Ogier beherrscht er das Fahrerklassement, in der Markenwertung hat Toyota mit dem Sieg und Platz vier für Kalle Rovanperä wieder ein bisschen Luft. Finnlands neuer Superstar wird sich an den Namen Cetibeli vermutlich sein Leben lang erinnern: "Noch nie bin ich auf einer Wertungsprüfung so langsam gefahren."