VW I.D. R auch in Goodwood als Rekordbrecher

Elektro-VW I.D. R Pikes Peak auch in Goodwood erfolgreich
Romain Dumas bewahrt nach Pannen Ruhe

VW hat es wieder getan: Mit dem Elektro-Rennwagen I.D. R Pikes Peak sind die Wolfsburger auch beim Goodwood Hill Climb in England erfolgreich. Romain Dumas zirkelte den Wagen mit dem Monster-Heckflügel gekonnt ins Ziel – einen nennenswerten Berg musste der Franzose dabei nicht bezwingen. Allerdings verliefen die Vorläufe alles andere als glatt.

3,5 Sekunden war Romain Dumas am Ende schneller als der bisherige Rekord für Elektroautos beim Goodwood Hill Climb. Nachdem Dumas mit seinem I.D. R Pikes Peak am Samstag schon 43.05 Sekunden schnell war, reichten ihm am heißeren Sonntag 43,86 Sekunden zum Sieg und Rekordbruch. Den alten Rekord von 47,34 Sekunden hielt seit 2013 Jonny Cocker mit einem Lola-Drayson B12 69/EV.

Goodwood 2023

Zweiter wurde Peter Dumbreck auf einem Nio EP9 Prototyp mit 44,32 Sekunden. Dabei war der von vier Motoren angetriebene Nio mit einer Leistung von mehr als einem Megawatt (1.360 PS) unterwegs, aber beinahe auch doppelt so schwer wie der Wolfsburger E-Renner.

VW hatte keine Zeit, den I.D. R Pikes Peak auf die Bedürfnisse des Goodwood Hillclimb umzurüsten. Schließlich ist der englische Kurs gerade mal etwas länger als eine Seemeile und er liegt beinahe auf Meerespiegel-Höhe. Somit haben hier Verbrennungsmotoren ihre volle Leistung und deshalb deutlich weniger Nachteile gegenüber ihren elektrischen Brüdern.

In einem der Vorläufe touchierte Dumas mit dem Heckflügel die streckenbegrenzenden Heuballen – der Goodwood Hill Climb ist Richtung Ziel erheblich schmaler als die Strecke in Pikes Peak. Dabei brachen die beiden seitlichen kleinen Zusatzflügel ab. Die Ersatzflügel kamen erst am selben Abend mit einem Flieger aus den USA zurück. Am nächsten Tag leuchtete während eines Laufes die Batterie-Warnleuchte, woraufhin sich das VW-Rennteam entschied, den Lauf abzubrechen. Später stellte sich die Warnung als Fehlalarm heraus. Am Sonntagvormittag kam Dumas dann von der Strecke ab, konnte den I.D. R aber noch einfangen und ein abermaliges Berühren der Heuballen vermeiden. Später hieß es, der Frontmotor hätte Probleme gemacht und Dumas wollte die Grenzen des Wagens auf dem Kurs in Goodwood austesten. Währenddessen blieb das Rennteam vollkommen ruhig – und es sollte Recht behalten, Romain Dumas knackte den nächsten Rekord.

Im Gegensatz zu Pikes Peak, wo Dumas dieses Jahr auch den Gesamtrekord beeindruckend um fast eine Minute unterbot, konnte der Franzose die Goodwood-Gesamtbestzeit nicht knacken. Diese stellte 1999 Nick Heidfeld mit seinem Formel-1-Auto McLaren MP4/13 auf: Nach 41,6 Sekunden raste der Mönchengladbacher durchs Ziel. Aktuell sind Formel-1-Autos aus Sicherheitsgründen nicht für den Goodwood Hill Climb zugelassen, fahren aber als Demonstrationsfahrzeuge mit.

Epischer Sieg beim Rennen zu den Wolken auf dem Pikes Peak 2018

Tiefe Wolken hingen über Colorado Springs, als am Renntag die Sonne aufging. Am Crystal Lake, einem Stausee am Pikes Peak Highway, zeigt sich der 4.300 Meter hohe Granitgigant an einem schönen Tag in voller Größe, aber dieses Mal war der Berg einfach wie aus der Landschaft radiert. Immerhin, der Wetterbericht drohte nicht mehr mit Regen am Morgen. Gegen Mittag, hieß es dann, werde es am Gipfel sogar schneien. Nebel zwischen Kilometer 2,5 und fünf machten Romain Dumas und den VW-Mannen Sorgen, aber eine halbe Stunde vor Rennbeginn war der Himmel plötzlich klar, blau und wolkenlos.

Um acht Uhr Ortszeit schickte der Veranstalter den ersten von 22 Motorradfahrern auf die Piste. Für Romain Dumas als Trainingsschnellsten schien eine Startzeit gegen neun Uhr realistisch. Doch ausgerechnet die beiden einzigen elektrisch angetriebenen Motorräder schieden durch Unfälle aus. Der Krankenwagen musste auf die Strecke. Gleichzeitig zogen frische Wolken auf und verhüllten den oberen Teil der Strecke.

VW I.D. R Pikes Peak Rennen
VW
7:57,148 Minuten: Mit diesem Superrekord beendet Romain Dumas im VW I.D. R Pikes Peak das härteste Bergrennen der Welt.

Tatsächlich traf der VW I.D. R, nachdem er um kurz nach Zehn endlich auf die Strecke durfte im mittleren Teil auf feuchten Asphalt. „Ich dachte, ich bin zu langsam“, sagte Dumas, der sich die acht Spitzkehren zum Devil’s Playground hochkämpfte. Im oberen Streckenteil war die Sicht klar, und Dumas gab wieder Gas.

Elektro-Rekord und Gesamtrekord: Spielend geknackt

Bei 8:57,118 Minuten stand seit 2016 der Elektrorekord, den die VW-Mannen offiziell zu brechen gedachten. Die Zeitmessung blieb bei Dumas fast exakt um eine Minute früher stehen. 7:57,148 Minuten spuckte die Uhr aus. Damit hat Dumas nicht nur einen neuen Gesamtstreckenrekord aufgestellt, sondern auch als erster Fahrer am Pikes Peak die Acht-Minuten-Schallmauer durchbrochen. Den ebenfalls seit 2016 gültigen Gesamtrekord von Sébastien Loeb unterbot sein Landsmann Dumas um rund 16 Sekunden.

Chancenlos im Kampf um den Sieg, aber dennoch starker Zweiter wurde Pikes-Peak-Neuling Simone Faggioli in seinem Norma-Prototyp. Der zehnmalige Berg-Europameister war in 8.37,230 Sekunden trotz verhaltener Fahrt nur 20 Sekunden langsamer als Loeb 2016. Seine Prognose unter die Top Fünf zu fahren machte Paul Dallenbach in seinem sechs Jahre alten Wells Coyote wahr. Der dreimalige Pikes-Peak-Sieger gewann die „Open Wheeler“-Klasse für Rennwagen mit freistehenden Rädern.

Der Regen kam zwar später als erwartet, aber dafür umso heftiger. Gegen 14:30 Uhr schlugen bis zu zwei Zentimeter große Hagelkörner im Fahrerlager ein. Im oberen Streckenteil fiel Schnee. Das Rennen wurde für eine Stunde unterbrochen, dann zum Regenrennen erklärt, und schließlich auf etwa ein Drittel bis Glen Cove verkürzt. Erst als die letzten Teilnehmer ihren Lauf beendet hatten, konnte der Sieger den Gipfel verlassen. Um 17:30 kam Dumas im Sicherheits-Auto des Veranstalters zurück ins Tal. Als kleiner Junge war er fasziniert von den Pikes-Peak-Auftritten von Walter Röhrl und Ari Vatanen. Nun hat der 40-Jährige aus Alès selbst Geschichte geschrieben und bekannte: „Das war heute sehr emotional.“

Keine Gesamtrekorde mehr für Verbrenner am Pikes Peak?

VW behauptete immer, dass die Entwicklungszeit von neun Monaten für den I.D. R viel zu kurz sei, um Sébastien Loebs auf dem Peugeot 208 T16 aufgestellten Rekord von 8:13.878 Minuten in Angriff zu nehmen. Dumas pulverisierte nun die fünf Jahre alte Bestzeit seines Landsmannes. Kein Fahrer vor ihm raste in unter acht Minuten den Pikes Peak hinauf. Im Schnitt bewältigte Romain Dumas die 19,99 Kilometer lange Strecke mit einer Geschwindigkeit von 150,82 km/h. Damit könnte die Zeit für Verbrennungsmotoren am Pikes Peak vorbei sein – weitere Rekorde in der dünnen Luft dürften nur noch durch Antriebe fallen, bei deren Betrieb kein Sauerstoff nötig ist. Elektroautos beispielsweise haben mit der dünnen, vergleichsweise sauerstoffarmen Höhenluft kein Problem.

Um den Sieg am Pikes Peak zu erringen, war für VW eine umfassende Strategie und ebensoviel Detailarbeit nötig. Hier der Weg, den VW zum Sieg gegangen ist.

Extreme Spezialbatterie

Die Energie des VW I.D. R Pikes Peak wird in einer ausgeklügelten Spezialbatterie gespeichert. Diese Batterie ist auf die Bedürfnisse des Rennwagens angepasst. Und diese Bedürfnisse bestimmt unter anderem das Pikes-Peak-Reglement: Wer seinen Lauf aus Sicherheitsgründen abbrechen muss (Hagel, anderes Fahrzeug muss geborgen werden) hat 20 Minuten Zeit, sich auf einen zweiten Versuch vorzubereiten. VW möchte alles Eventualitäten abdecken und hat den Akku des VW I.D. R Pikes Peak so konstruiert, dass er sich in dieser Zeit voll aufladen lässt.

Technische Daten

Volkswagen I.D. R Pikes Peak (2018)

Motor

Bauweise

rein elektrischer Antrieb

Leistung

500 kW (680 PS)

Drehmoment

650 Nm

Kraftübertragung

Achsantrieb

permanenter Allradantrieb mit aktiver Drehmomentverteilung

Fahrwerk

Vorder-/Hinterachse

Doppelquerlenkerachse

Reifen

Michelin 31/71-18

Chassis/Karosserie

Aufbau

Sicherheits-/Crash-Struktur vorn, Karbon-Monocoque mit Stahl-Überollkäfig

Maße und Gewicht

Länge/Breite/Höhe

5.200/2.350/1.200 mm

Spurweite

1.600 mm

Radstand

2.850 mm

Mindestgewicht

<1.100 kg (inklusive Fahrer)

Fahrleistungen

Beschleunigung

0–100 km/h in 2,25 Sekunden (abhängig vom Grip-Niveau)

Höchstgeschwindigkeit

ca. 240 km/h

Verantwortlich für die Entwicklung des Hochvoltspeichers war bei VW die gleiche Mannschafft, die auch die Batterien für die VW-Serien-I.D.s konzipiert. Die Unterschiede der I.D.-R-Pikes-Peak-Batterie zu einer Serien-Batterie sind allerdings gewaltig – schließlich sind auch die Anforderungen grundverschieden. Auf der 19,99 Kilometer langen Strecke hoch zum Gipfel des Pikes Peak muss der Wagen 156 Kurven bewältigen – und genauso viele Beschleunigungsphasen muss der eine Leistung von 680 PS speichernde Akku möglich machen. Die Lithiumionen-Batterie hat eine hohe Energiedichte und wird vorsichtig geladen.

Die Ladeleistung beträgt gerade mal 90 Kilowatt, dies verhindert eine zu starke Wärmeentwicklung während des Ladevorgangs. Außerdem kann die Batterie beim Laden mit Luft gekühlt werden. Als ideale Betriebstemperatur für den Speicher gelten 30 Grad. Am Pikes Peak können im Juni Temperaturen um den Gefrierpunkt genauso herrschen wie hochsommerliche Hitze. Zu kalt darf es für die Hightech-Batterie ebenfalls nicht sein, sonst besteht die Gefahr der Kondenswasserbildung.

VW I.D. R Pikes Peak finale Erprobung
VW
Die Batterie des VW I.D. R Pikes Peak lässt sich innerhalb von 20 Minuten laden.

Der Akku des VW I.D. R Pikes Peak besteht aus zwei Blöcken, die neben und hinter dem Cockpit platziert sind. Ihren Strom beziehen sie von einem fahrbaren Glycerin-Aggregat. VW hat sich für Glycerin entschieden, da der Stoff weitegehend rückstandsfrei verbrennt, ungiftig ist (Lebensmittelzusatzstoff E422) und als Nebenprodukt der Biodiesel-Herstellung anfällt. Der Generator liefert nicht nur den Strom für den Rennwagen, sondern auch für die elektrischen Verbraucher in der Box wie die Computer der Ingenieure oder für die Kaffeemaschine.

Neue Optik, neue Verkleidungen

Beim letzten Test vor dem Rennen zeigt VW seine Rekordhoffnung für das Bergrennen Pikes Peak International Hill Climb 2018 im Renntrimm: Der I.D. R Pikes Peak trägt eine graue Folierung. Dieses Grau ist die Identifikationsfarbe für VWs gesamte rein elektrisch angetriebene I.D.-Flotte. Ebenfalls bisher noch nicht auf Testfahrten zu sehen: Die hinteren Räder sind nun komplett verkleidet – dies verbessert die Aerodynamik.

Der I.D. R Pikes Peak trägt die Startnummer 94, was wiederum ein Hinweis auf das Kürzel „I.D.“ ist – schließlich sind das „I“ der neunte und das „D“ der vierte Buchstabe im Alphabet. Die kleinen Geheimnisse lüftete VW jetzt bei der zweiten und somit letzten Testmöglichkeit am Pikes Peak – während dieses kurzen Tests mussten sich die Wolfsburger den Berg mit sämtlichen anderen Teams teilen. Außerdem durfte nur in einem der drei Streckenabschnitte getestet werden.

Testbeginn bei Kälte und in tiefster Dunkelheit

Um kurz vor 4:00 Uhr morgens ist es hier stockfinster und kalt. Der Mitarbeiter am Eingang zum Pike National Forest erwartet uns schon: Er öffnet die Schranke, lässt uns durch, dann senkt sich der Schlagbaum wieder für alle, die da kommen mögen. Bevor seine Schicht zu Ende ist, fährt der Parkwächter noch eine letzte Runde zum Gipfel des Pikes Peak hoch, sieht nach dem Rechten und macht sich dann auf den Weg nach Hause. Wir schlängeln uns weiter durch den dunklen Wald und landen endlich auf einem Parkplatz. Dort, in totaler Abgeschiedenheit, arbeitet eine Handvoll deutscher Mechaniker im Taschenlampenlicht an zwei Raumschiffen.

VW I.D. R Pikes Peak Erprobung
Heinrich Hülser
Andre Dietzel (links), Leiter VW Motorsportkommunikation, erklärt Redakteur Gregor Hebermehl vor Ort am Pikes Peak das Karbon-Chassis des I.D. R.

Anders kommen einem die beiden VW I.D. R hier in 2.850 Metern Höhe am Startpunkt der Pikes-Peak-Bergrennstrecke nicht vor. Eines der beiden Modelle dient nur der Erprobung und als Ersatzteillager sowie Ersatzfahrzeug. Mit dem anderen möchte VW am 24. Juni 2018 auf den Gipfel stürmen. Schwarz und flach duckt sich der I.D. R an den Asphalt, an seinem Heck trägt er einen Monster-Flügel, der beinahe an den Löffel eines schweren Bergbau-Baggers erinnert. In Sachen Aerodynamik ist bei Pikes-Peak-Autos nämlich alles erlaubt. Somit beneiden Formel-1-Ingenieure den VW I.D. R um seinen Abtrieb – ab 200 km/h soll er falsch herum an der Decke fahren können. Dass die beiden Elektroflitzer hier, 30 Fahrminuten von Colorado Springs entfernt, im Mondlicht stehen, ist fast ein Wunder und basiert auf einer cleveren Idee.

Erst seit September in der Entwicklung

Im September 2017 hat VW beschlossen, mit einem Elektrorenner beim Pikes Peak International Hill Climb mitzumachen. Zum Pushen eines Elektroautos ist dies ein cleverer Trick: Das Rennen geht gerade mal über 20 Kilometer und in der dünnen Luft am Ziel in über 4.000 Metern Höhe büßen Verbrennungsmotoren mit Turboaufladung zirka 35 Prozent ihrer Leistung ein. Die kurze Entwicklungszeit setzte natürlich die Ingenieure unter Druck, andererseits konnten andere Autohersteller auf diesen Blitz-Beschluss nicht mehr reagieren.

VW I.D. R Pikes Peak Erprobung
Heinrich Hülser
Die allradgetriebene Elektroflunder VW I.D. R Pikes Peak blitzt in 2,25 Sekunden auf 100 km/h. Von 100 auf 250 km/h braucht er genauso lange.

Trotzdem: Am Pikes Peak International Hill Climb nimmt man nicht einfach so teil – auch VW als aktuell größter Autobauer der Welt nicht. Nur Fingerspitzengefühl und viel Erfahrung bringt einen ins Teilnehmerfeld. Unerfahrene Manager würden vielleicht mit der Anmeldung einfach eine Agentur beauftragen – bereits an dieser Stelle wäre für sie das Abenteuer Pikes Peak vorbei. Zum Rennen wird nämlich eingeladen – von der mächtigen Broadmoor-Stiftung. Und diese Stiftung hat ein Problem nicht: Geld. Selbst das von ihr in Colorado Springs betriebene Pikes-Peak-Museum weist auf seiner Webseite freundlich aber bestimmt darauf hin, dass man doch bitte von jeglichen Spenden Abstand nehmen möge.

VW I.D. R Pikes Peak Erprobung
Gregor Hebermehl
In 2.850 Metern Höhe: Der Startpunkt des Bergrennens am Pikes Peak.

Der Veranstalter muss Lust haben

Ihr flauschiges Finanzpolster erhält die Stiftung vom gleichnamigen Konzern, der unter anderem ein Immobilien-Business betreibt und dem gefühlt halb Colorado Springs gehört. Aktuell lädt Broadmoor immer nur einen großen Hersteller gleichzeitig zum Rennen ein, der Rest sind Privatteams. Wer mitspielen will, muss die richtigen Leute kennen und eine gute Geschichte im Köcher haben. VW hat Broadmoor mit seiner Idee eines Rekorde brechenden leichten Elektrorenners überzeugt.

VW I.D. R Pikes Peak Erprobung
Gregor Hebermehl
Gefürchtet: Ziehen Wolken über den Pikes Peak, können sich die Fahrer nur noch nach vorne tasten. An Gesamtsiege oder Rekorde ist dann nicht mehr zu denken - dann zählt nur noch heil ankommen. Wetterumschwünge vollziehen sich am Pikes Peak rasend schnell und sind meistens unvorhersehbar.

Auch, dass der I.D. R in die Fußstapfen des VW Twin-Golf Pikes Peak von 1987 tritt, kommt bei den Amis gut an. Fahrer Jochi Kleint sah nämlich schon das Ziel, bevor er 400 Meter vor der Durchfahrt mit seinem über 600 PS starken Doppelmotor-Golf wegen eines kaputten Schmiernippels liegen blieb. 1987, das Jahr, in dem Walter Röhrl auf seinem Audi Sport Quattro E2 Pikes Peak den Sieg holte und auf der damals noch nicht asphaltierten Strecke mit 10:47.850 unter elf Minuten blieb. Was im Angesicht von Röhrls legendärem Ritt in die Wolken auf einem schon optisch monströs wirkenden Audi in Vergessenheit geriet: Der eher unscheinbare Pikes-Peak-Golf lag bis zu seinem Ausscheiden zeitlich auf Augenhöhe mit dem Audi. Der Stachel des Ausscheidens so knapp vor dem Ziel sitzt bei VW bis heute tief. Erfahrene Motorsport-Manager mit guten Kontakten, ein Elektrorennauto als technologisches Leuchtturm-Projekt und eine klassische Wiedergutmachungsgeschichte: So hat es VW mit dem I.D. R zum Bergrennen geschafft.

Kein Hubschrauber für Vorstände

Auf dem morgendlichen Parkplatz, wo die VW-Leute an den beiden I.D. R arbeiten, riecht es neben dem auf einem MAN-Lkw in einem 20-Fuß-Seecontainer sanft vor sich hintuckernden Stromaggregat ganz leicht nach Diesel. Wieso nur ganz leicht? Weil der Strom- und Kühllufterzeuger (für den Ladevorgang wird sogar mehr kühlende Luft als Strom erzeugt) mit Glycerin läuft. Das passt besser zu einem lokal emissionsfreien Renner als ein Diesel-Aggregat. Einen Starkstrom-Anschluss gibt es hier oben nicht, genauso wenig wie einen Wasseranschluss oder viel Platz. Handyempfang hängt vom Wetter ab und ist meistens nicht vorhanden. Selbst für die Zeitmessung schlängelt sich ein Kabel den Berg hoch, da dort Funksignale oft nicht ankommen.

Und wenn der ein oder andere Firmenvorstand fragt, wo denn sein Hubschrauber landet, kommt die Antwort: in 80 Kilometern Entfernung. Hubschrauber, Drohnen, Flugzeuge beim Rennen? Die U.S. Air Force Academy betreibt nördlich von Colorado Springs ein gigantisches Flugfeld. Dort sind unter anderem Tarnkappen-Flugzeuge und schwere Lockheed C-5 Galaxy Transportmaschinen stationiert. Auf dem Pikes Peak selbst betreibt die United States Army das Pikes Peak Research Laboratory zur Untersuchung von Höheneinflüssen auf den Menschen. Deshalb setzt die Air Force am Berg rigoros ein Flugverbot durch und der Firmenvorstand muss sehen, wie er zum Rennen kommt. Kamera-Drohnen sorgen für das umgehende Aufsteigen von Abfangjägern. Ein einzelner Kamerahubschrauber ist erlaubt und auch der darf nur in engen Grenzen arbeiten. Und es gibt noch einen Rettungshubschrauber mit einem Piloten, einem Arzt und einer Krankenschwester als Besatzung. Muss dieser Hubschrauber in der Nähe des Ziels einen Patienten aufnehmen, bleibt die Krankenschwester zurück: In der dünnen Höhenluft kann er maximal drei Personen transportieren. Der fehlende Sauerstoff macht auch den Menschen zu schaffen: Regelmäßig stürmen Touristen nach ihrer Fahrt auf den Berg mit einem Fotoapperat bewaffnet aus dem Auto – und sinken dann für kurze Zeit in Ohnmacht. Die Rennfahrer müssen bei ihrem anstrengenden Job hinterm Steuer ebenfalls mit der dünnen Luft klar kommen. VWs Top-Rennfahrer Romain Dumas hat beim Rennen sicherheitshalber Sauerstoff dabei und meint: „Mal sehen, ob ich den brauche.“

VW I.D. R Pikes Peak Erprobung
Gregor Hebermehl
Bei unserem Besuch waren die Wolken nach einer Stunde komplett verschwunden.

Es wird knapp und spannend

Während andere beim Pikes-Peak-Rennen zu immer mehr Leistung tendieren, setzt VW beim I.D. R auf ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Gewicht und Leistung. 2016 brannte der Neuseeländer Rhys Millen mit seinem elektrischen 2016 eO PP100 einen E-Auto-Rekord von 8:57.118 Minuten in den Pikes-Peak-Asphalt. Das Modell hat 1.618 PS, ist mit einem maximalen Drehmoment von 2.520 Newtonmeter unterwegs und wiegt 1.200 Kilo. VWs I.D. R mussten mit 680 PS ordentliche 938 PS weniger reichen, um den Rekord zu knacken. Dafür wiegt der Wolfsburger Renner nur um die 1.000 Kilogramm und ist mit einer Aerodynamik unterwegs, wie sie nur ein großer Hersteller ausfeilen kann. Der Abtrieb würde bei Normaldruck fast zu einer Unfahrbarkeit führen, in den Höhen des Pikes Peak ist er in den engen Kurven von großem Vorteil. Schließlich träumte VW nicht nur vom Rekord für Elektroautos und vom Gesamtsieg: Die Wolfsburger gaben es nicht zu, aber die 8:13.878 Minuten von Sébastien Loeb auf seinem Peugeot 208 T16 Pikes Peak (der Wagen gehört ihm inzwischen) aus dem Jahr 2013 war die Zeit-Traube, die es zu pflücken galt. Loebs Renner kam bei einem Leergewicht von 875 Kilogramm auf eine Leistung von 875 PS – ein Kilogramm pro PS. Die Aerodynamik des Peugeot soll dabei noch nicht mal perfekt gewesen sein und in den Gipfelregionen muss die Leistung auf um die 600 PS gesunken sein. VW hatte also durchaus seine Chancen, auch wenn man in der Wolfsburger Rennabteilung bisher nicht so heftig auf Abtrieb ausgerichtete Fahrzeuge entwickelt hat. Aber im Gesamtkonzern sitzen schließlich auch Aerodynamik-Experten von Porsche und Audi – beide kennen sich dank ihrer LMP1-Fahrzeuge bestens mit Abtrieb aus. So haben die Ingenieure miteinander gesprochen und die von VW entwickelte Aerodynamik wurde teilweise von Porsche geprüft. Vorher musste ein Eins-zu-Zwei-Modell in den Windkanal – in so vielen Varianten, dass 2.200 Modellteile im 3D-Drucker entstanden.

Nur drei Stunden zum Testen vor Ort

Einer der Reize des Pikes-Peak-Rennens sind die wenigen Möglichkeiten, den Rennwagen zu testen. VW hat viel simuliert und ist in anderen Regionen gefahren, vor Ort in Colorado sind zur zwei Testtermine möglich. Ein Termin für den Hersteller allein und später ein weiterer Termin für alle Teilnehmer. Der exklusive Termin startet mit Sonnenaufgang um 5:30 Uhr und endet um 8:30 Uhr – um 9:00 Uhr ist der Park dann für die Öffentlichkeit zugänglich.

VW I.D. R Pikes Peak Erprobung
Gregor Hebermehl
Seltenes Bild: Die beiden VW I.D. R Pikes Peak nebeneinander auf dem Montage-Pakrplatz. Im Hintergrund tuckert der MAN-Lkw mit dem stromerzeugenden Glycerin-Aggregat.

Und so rattert das Glycerin-Aggregat, die speziell von Michelin nur für den I.D. R entwickelten Reifen wärmen in Heizmatten vor, die Mechaniker schrauben an den Wagen und Fahrer Romain Dumas steigt über eine nach vorne öffnende Luke von oben in den Wagen – erst dann wird von oben der zweite Teil der Sitzschale hinter ihn gesteckt. In einer Notsituation könnte Dumas das Auto auch über die herausnehmbaren Seitenscheiben verlassen. Türen hat der I.D. R aus aerodynamischen Gründen und einem geringen Gewicht zuliebe nicht. Was noch fehlt sind beispielsweise Frontscheinwerfer und Heckleuchten, Bremslichter und Außen- sowie Innenspiegel. Felgen mit Zentralverschluss? Pustekuchen: Felgen mit fünf Radmuttern sind leichter und während des Rennens sind keine Reifenwechsel möglich. Rückwärtsgang? Braucht hier niemand. Jedes Gramm zählt. Deshalb ist es auch ein Problem, dass das ansonsten extrem lockere Pikes-Peak-Regelwerk eine Fahrzeug-Mindestlautstärke von 120 Dezibel verlangt. Damit soll an der Strecke stehendes Wild vertrieben werden. Als den VW-Ingenieuren ein Geräuschgenerator zum Erzeugen dieser Strartender-Jet-Lautstärke präsentiert wurde, stellte sich heraus, dass das Gerät 3,5 Kilogramm wiegt. Die Ingenieure wurden umgehend grau im Gesicht: 3,5 Kilo gelten als inakzeptabel viel. Aktuell piept der I.D. R nur recht leise vor sich hin, seine Fahrgeräusche sind beinahe lauter. Das Mindestgeräusch-Problem wurde aber gelöst.

VW I.D. R Pikes Peak Erprobung
Gregor Hebermehl
Verdunkelt die Sonne: Der riesige Heckflügel des VW I.D. R Pikes Peak.

Wie aus einer anderen Welt

Die Mechaniker lassen den I.D. R per Wagenheber runter, vorsichtig setzt Dumas die piepende Flunder in Bewegung. Asphalt-Split rasselt hohl in den Karbon-Radhäusern. Dumas biegt vom Parkplatz auf die Rennstrecke ab und ein Surren aus der Zukunft lässt den Wald erzittern. Wie vom Katapult abgefeuert zischt der I.D. R in Sekunden aus der Sichtweite in die Kurve, wo er seine Geschwindigkeit anscheinend kaum verringern muss. Kurz vor der Kurve, bei zwei seitlich platzierten orangefarbenen Betonblöcken, startet die fliegende Zeitnahme. Taucht die Flunder zwischen den Bäumen auf, hat man das Gefühl, Technik aus einer anderen Welt wäre gelandet. In 2,25 Sekunden soll der I.D. R auf Tempo 100 blitzen, von 100 km/h auf 250 soll es in der gleichen Zeit gehen – optisch geht alles noch viel schneller. Laut Dumas sind beim Rennen maximal 240 km/h drin, dann zwingt die nächste Kurve zum Bremsen. Das ist nicht nur schlecht: Beim Bremsen holt sich der I.D. R bis zu 20 Prozent seiner Energie durch Rekuperation zurück. Ansonsten gibt sich Chefentwickler Fabrice van Ertvelde ein bisschen verschlossen: Batteriekapazität? Kein Kommentar. Gewichtsverteilung? Ja, die gibt es – sie ist nicht 50 zu 50 Prozent und „wir arbeiten noch daran“. Immerhin: 500 Kilowatt Leistung speichert der nur für den I.D. R entwickelte Akku, die Stromstärke beträgt 40 Ampere. Im Unterschied zu einer Serienauto-Batterie muss er nicht möglichst wenig Energie gleichmäßig über längere Zeiträume abgeben, sondern ad hoc die volle Power raushauen. Und van Ertvelde verrät noch eine kleine Überraschung zu dem Allradwagen, der jeweils auf Vorder- und Hinterachse einen eigenen Motor trägt: Die Verteilung der Antriebsmomente zwischen rechts und links erfolgt über herkömmliche Differentiale – ein spezielles Torque Vectoring ist nicht vorgesehen.

Testergebnis: Beim Fahrwerk geht noch was

Laut Dumas lässt sich der Pikes-Peak-Kurs in drei Abschnitte einteilen: Im Sektor eins gibt es viel Grip und die Kurven erinnern ihn ein bisschen an den Nürburgring, im zweiten Sektor geht es vergleichsweise langsam zur Sache, auf den Fahrer wartet nur eine schnelle Kurve – kompliziert wird es in Sektor drei. Seit 2012 ist die Strecke komplett asphaltiert und seitdem verschlechtert sich ihr Zustand Jahr für Jahr – besonders im oberen Bereich.

VW I.D. R Pikes Peak Erprobung
Heinrich Hülser
Romain Dumas freut sich auf das Rennen - mit Privatteams ist er bereits mehrfach den Pikes Peak hinaufgejagt.

Zu den vielen schnellen Kurven gesellen sich immer mehr Bodenwellen, die zudem immer heftiger werden. Da dieser Streckenabschnitt entscheidend ist, müssen die Ingenieure das I.D.-R-Fahrwerk nun komplett auf diese Bodenwellen abstimmen. Außerdem stellt Dumas ein leichtes Untersteuern auf dem anfangs noch feuchten Geläuf fest. Zudem nehmen die Ingenieure Erfahrungen in Sachen Logistik aus dem Test mit und selbst ihr Glycerin-Aggregat profitiert von dem Ausflug: Als die Ladestation die komplette Leistung auf einmal abverlangt, verschluckt es sich kurz und muss neu gestartet werden – beim Rennen muss der Strom-Generator natürlich reibungslos funktionieren. Aber selbst wenn die Technik optimal läuft: Der große Gleichmacher ist auf dem Pikes Peak das Wetter. Sturm, Schnee, Regen sind keine Gründe, das Rennen abzubrechen – aber um Rekorde oder Siege fährt derjenige, den es erwischt, nicht mehr mit – und bloß ankommen will VW ganz bestimmt nicht. Gefürchtet sind auch die ruckzuck über den Gipfel ziehenden Wolken – dann tasten sich die Fahrer im Schneckentempo durch den Nebel und müssen auf eine zweite Chance in frühestens einem Jahr hoffen. Bei VW passte alles: Das Glycerin-Aggregat, das Ladegerät, das Auto, der Fahrer und das Wetter – besser ging es nicht.