Die Corona-Krise setzt dem Supersportwagen-Spezialisten heftig zu: Erst musste McLaren Teile seiner exklusiven Fahrzeugsammlung verkaufen. Auch das architektonisch außergewöhnliche Hauptquartier im englischen Woking wurde kürzlich veräußert. Und dann mussten die Briten wiederholt die Anzahl des Elva reduzieren. 399 Exemplare des Extrem-Roadsters wollte McLaren ursprünglich bauen. Bereits im April 2020 kündigte der Hersteller eine Kürzung auf 299 Exemplare an. Im Spätsommer sah sich McLaren sogar gezwungen, nochmal um die Hälfte runterzugehen: Nur 149 Elva gehen zu den Kunden.
Ende 2020 startete die Auslieferung der ersten Exemplare. Einige Kunden hatten sich zuvor bereits Produktionsslots gesichert und verhandelten mit McLaren die Ausstattung ihres Boliden. Jeder Kunde, der bereits dieses Stadium erreicht hatte, sollte auch seinen Elva bekommen. Falls McLaren die Produktionszahl nicht noch weiter senkt, wäre der Elva das zweitexklusivste Auto der Briten – nach dem auf 106 Exemplare begrenzten Speedtail.
Mitglied der Ultimate Series
Ob P1, Senna oder Speedtail: McLarens Ultimate Series strotzt nur so vor illustren Sportwagen. Bis der Elva die Bühne betrat, fand sich darin jedoch nie ein offener Vertreter. Und der ist so offen, wie ein Auto nur sein kann (Extremisten à la Ariel Atom oder Caterham Seven zählen jetzt mal nicht). Der Elva verzichtet nicht nämlich nur auf ein Dach, sondern auch auf Seitenfenster sowie eine Windschutzscheibe.
Zumindest bis jetzt, denn nun gibt McLaren dieses Alleinstellungsmerkmal auf und stellt die bereits von Beginn an in Aussicht gestellte Windschutzscheiben-Version des Roadsters vor. Die Briten begründen diese Entscheidung unter anderem damit, lokale gesetzliche Anforderungen in einigen Staaten der USA erfüllen zu wollen. Zudem soll so mancher Kunde den Wunsch nach etwas mehr Wetterschutz geäußert haben. Auf Seitenfenster, Dach oder Heckscheibe verzichtet der Elva jedoch auch in dieser Variante.
Kohlefaser-Karosserie mit intelligenter Luftführung
Der Neuling zeigt sich nicht nur namentlich, sondern auch optisch von Bruce McLarens Kundensport-Renn und -sportwagen aus den Sechzigerjahren inspiriert. Geschwungene Linien zeichnen hier wie da die Formgebung aus, genau wie typische Mittelmotor-Proportionen. Auch die markanten Lufteinlässe auf Hüft- und B-Säulen-Höhe ähneln sich. Allerdings präsentiert der neue Elva eine deutlich aggressivere Front mit den sichelförmigen Scheinwerfern, die für die Marke exemplarisch sind. Und derart viele Sicken, Falze und Charakterlinien, dass sich an fast jeder Karosserieecke irgendwo das Licht bricht.
Die Außenhaut besteht aus Kohlefaser und stülpt sich, wie bei McLaren üblich, über ein Chassis aus demselben Material. In ihr verstecken sich nicht nur im Ernstfall blitzschnell ausfahrende Überrollbügel, sondern auch das "Active Air Management System" (AAMS). Stark vereinfacht leitet die Technik den Fahrtwind durch diverse Kanäle so intelligent durch den Vorderwagen sowie vor und neben dem Cockpit wieder hinaus, dass in diesem eine "Blase der Ruhe" entsteht. Allerdings nicht bei Stadttempo, sondern nur bei höheren Geschwindigkeiten – und da lässt es sich vom Fahrer deaktivieren. Dank AAMS soll sich der McLaren Elva auch ohne Helme entspannt fahren lassen.
Verfügt der Elva über die beheizte Glas-Windschutzscheibe, entfällt das AAMS. Dafür erhält der Extrem-Roadster Scheibenwischer samt Regensensor, Waschdüsen und Sonnenblenden. Im Vergleich zur komplett fensterlosen Variante steigt das Gewicht um etwa 20 Kilogramm.
Vierliter-Biturbo-V8 mit 815 PS
Ist AAMS inaktiv, werden mit der kanalisierten Frischluft übrigens die beiden vor den Vorderrädern installierten Niedrig-Temperatur-Kühler gespeist. Diese temperieren nicht nur das Öl des Sieben-Gang-Schaltgetriebes, sondern senken auch die Ladeluft-Temperatur. Schließlich muss der aus dem McLaren Senna übernommene, doppelt aufgeladene Vierliter-V8 im Elva auf 815 PS (und damit 15 PS mehr als beim Senna) gebracht werden. Beim maximalen Drehmoment – 800 Newtonmeter – sind sich beide Modelle einig. Tempo 100 soll der Roadster aus dem Stand in 2,8 Sekunden erreichen, von Null auf 200 km/h geht es in 6,8 Sekunden.
Die beiden Endrohre des aus Titan und Inconel gefertigten Auspuffs ragen weit nach innen und etwas nach oben versetzt aus der Karosserie. Die Lenkung arbeitet elektrohydraulisch und das Fahrwerk mit hydraulischen, aktiven Dämpfern, die nicht nur blitzschnell auf die Fahrsituation reagieren, sondern auch die Grundabstimmungen Komfort, Sport und Track erlaubt. McLaren rüstet den Elva darüber hinaus nicht nur mit einer einstellbaren Stabilitäts-, sondern auch mit einer variablen Driftkontrolle aus.
Hightech in allen Bereichen
Die Aerodynamik des McLaren Elva zeigt sich natürlich ebenfalls ausgefeilt. Bis zur Hinterachse verfügt der Extrem-Roadster über einen völlig flachen Unterboden, der an dieser Stelle in den Diffusor übergeht. Dessen vertikale "Zäune" sollen in Verbindung mit dem aktiven Heckspoiler das Elva-Hinterteil stabilisieren. Die für McLaren typische Airbrake kommt im Neuling selbstverständlich ebenfalls zum Einsatz. Die eigentliche Bremsanlage agiert mit speziell bearbeiteten und dadurch sehr leichten 390-Millimeter-Scheiben, die jeweils von Titan-Sattelkolben in die Zange genommen werden.
Ex- und Interieur bilden beim McLaren Elva eine Einheit; Ersteres geht in Zweiteres über. So fließen die oberen Abschnitte der Türen ebenso bis in die Kabine wie die hinter den Sitzen platzierten Höcker, deren Verlängerung als Mittelkonsole und Armlehne fungiert sowie den Motor-Startknopf und die Tasten für's Getriebe beherbergen. Das Armaturenbrett verläuft über die Türen um die Passagiere herum, deren Sitze sich in Kohlefaser-Konsolen befinden. Das Kombiinstrument befindet sich auf der Lenksäule und bewegt sich mit, wenn das Volant verstellt wird. Dieses wiederum verfügt selbstverständlich über Schaltwippen. Der zentral montierte Acht-Zoll-Touchscreen mit seitlich angebrachtem Bedienrad dient als Schnittstelle zum Infotainment-System.
Ein Exemplar kostet 1,7 Millionen Euro
Eine Audioanlage ist in der Basisausstattung aus Gewichtsgründen nicht enthalten, kann aber kostenfrei dazu bestellt werden. Ebenfalls gratis können die serienmäßigen Zehnspeichen-Felgen gegen ultraleichte Fünfspeichen-Pendants und die Pirelli P Zero-Sportreifen gegen deren Corsa-Variante getauscht werden. Wer möchte, kann sich auch ein Lift-System für die Karosserie aufpreisfrei installieren lassen.
Teuer dürften dagegen die vielen Material- und Farboptionen für den Innenraum und die unzähligen anderen Sonderausstattungen werden, welche die hauseigene Individualisierungsabteilung McLaren Special Operations (MSO) anbietet. Wobei der Begriff "teuer" relativ ist bei einem Auto, das inklusive deutscher Mehrwertsteuer mindestens 1.695.000 Euro kostet. Wo sich die ab Ende 2021 verfügbare Windschutzscheiben-Version preislich einordnet, hat McLaren noch nicht verraten.
Fazit
Während die großen Autohersteller im Corona-Jahr 2020 heftig zu kämpfen haben, geht es kleinen Herstellern richtig schlecht: McLaren kämpft verzweifelt, musste seine Sammlung verkaufen, bietet sein Hauptquartier zum Kauf an und muss nun auch noch die Produktionszahl des Elva von ursprünglich 399 auf jetzt nur noch 149 reduzieren. Für die Käufer, die jetzt ein – auf unerwartete Weise – noch exklusiveres Modell erhalten, mag das gut sein – für McLaren ist das blanker Horror. Wir können nur hoffen und die Daumen drücken, dass der tapfere englische Hersteller diese harte Zeit übersteht.
Schließlich ist McLaren mit dem Elva eine echte Überraschung gelungen. Es war nicht unbedingt davon auszugehen, dass die Briten als nächsten Vertreter der Ultimate Series einen derart kompromisslosen Open-Air-Boliden auf die Räder stellen. Möglich, dass der Elva hart an der Grenze zum "Over-Engineering" wandelt, aber irgendwie muss die Aerodynamik- und Technik-Kompetenz aus der Formel 1 ja auf die Straße kommen.