Robert Schäfer packt seinen Plüschhasen wieder aus. Der 66 Jahre alte Renn- und Testfahrer ist 30 Jahre nach dem größten Erfolg seines Berufslebens noch einmal nach Nardo zur legendären Kreisbahn im Salento zurückgekehrt. „Das Stofftier hat mir damals mein Sohn als Glücksbringer mitgeben“, erzählt Schäfer und setzt hinzu: „Bei meiner ersten Fahrt hatte ich es noch unter meinem Fahreranzug, später habe ich es auf den Beifahrersitz gesetzt.“
Ungebrochene Rekorde
Vor 30 Jahren war Robert Schäfer einer der Rekordfahrer auf der genau 12,6 Kilometer langen Kreisbahn, der im schnellsten Auto saß. Mit fünf Fahrerkollegen stellte er unter der Leitung von Erich Waxenberger drei neue Weltbestmarken über die Distanzen 25.000 Kilometer, 25.000 Meilen und 50.000 Kilometer auf, dazu neun internationale Klassenrekorde. Neben Schäfers Plüschhasen war Boxengenie Waxenberger einer der Erfolgsgaranten für das Team „Rot“: „Er ist keine Rothaut, sondern er ist ein Fuchs und erfahren ohne Ende: Er weiß genau, was er will“, schwärmt Schäfer heute noch.
Waxenberger fehlte
Doch leider musste der 82-jährige Waxenberger beim runden Rekord-Geburtstag passen und sagte wegen einer Erkrankung kurzfristig ab. Mit dabei war aber sein damaliger Kollege Gerhard Lepler, 1983 der jüngste der drei Teamchefs und später ab 1988 der Werks-Koordinator für die DTM-Einsätze der 190er. Schon in der frühen Phase des Rekordversuchs im August hatte sein Team „Grün“ Pech: „Mir ist ein Fuchs vor das Auto gelaufen“, erinnert sich Lepler am Rand der Rekordpiste. Die Reparaturen an seinem Wagen sorgten für eine längere Standzeit.
Nur ein Defekt
Später hatte Leplers Team erneut Pech: Der Verteilerfinger brach, möglicherweise als Folge des Unfalls zu Beginn. Es gelang seiner Mannschaft, den Mechanikern und dem Forschungs- und Entwicklungsvorstand Werner Breitschwerdt, das Teil zu reparieren. Da sich kein Ersatz an Bord des Autos befand, war der Einbau eines Austauschteils laut Reglement nicht möglich. Es blieb der einzige technische Defekt an den drei Autos auf 50 000 Kilometern unter Volllast. Zum Zeitpunkt dieses Reparaturstopps führte das Auto des Teams „Rot“ schon mit weitem Vorsprung vor den Teams „Weiß“ und „Grün“. Erich Waxenberger hatte ausgerechnet, dass allein die Ersparnis von drei Sekunden pro Boxenstopp für sein Team schon in der Summe einen Rundenvorsprung ergab.
Nach dreißig Jahren ist Professor Breitschwerdt für das Rekord-Jubiläum wieder nach Nardo gereist. Er genehmigte damals die Versuchsfahrt: „Der W201 sollte neue Kunden gewinnen, und wenn man die Jugend begeistern will, muss man sich sportlich betätigen“, fasst der heute 86 Jahre alte Ingenieur zusammen. „Wir wollten beweisen, dass Mercedes-Benz ein sportliches Auto bauen kann.“
Schäfers Deja Vú
Um die Mittagszeit des Rekord-Revivals beginnt es zu regnen. Weltrekordler Robert Schäfer, der sich sehr über die Würdigung des Triumphs gefreut hat, kann es fast nicht glauben: „Das ist ja wie damals, wie bei der Rekordfahrt“, erzählt er. „Es gab auch eine heftige, kurze Schauer, aber wir sind mit den Slicks weitergefahren und nach zwanzig Minuten war alles wieder vorbei.“ Dieser Mut wurde belohnt: Während die anderen beiden Teams kurzfristig auf Regenreifen wechselten, sparte sich Schäfer den Stopp und fuhr auf Slicks weitere Runden Vorsprung heraus. Die Standzeit des Autos seiner Mannschaft am Ende: unglaubliche 55 Minuten bei einer Gesamtfahrdauer von 201 Stunden, 39 Minuten und 43 Sekunden.
Wieder fahrbereit
Eines der insgesamt drei eingesetzten Rekordautos ist mittlerweile wieder in fahrbereiten Zustand versetzt worden. Mit dem originalen 185 PS starken Vierzylinder-Motor brummt die viertürige Limousine in Rauchsilber Metallic nach drei Jahrzehnten wieder über die geneigte Hochgeschwindigkeitstrecke. Unter der Haube arbeitet jener Motor, der mit einem von Cosworth entwickelten Vierventilkopf ausgestattet wurde, und für die Rekordfahrt in mehreren Punkten verändert wurde: Dazu zählte eine Nachfülleinrichtung für das Motorenöl, die während der Fahrt aus einem Ausgleichsbehälter mit einem Liter Schmierstoff über eine Pumpe aktiviert werden konnte.
Topspeed 264 km/h
Weitere Finessen des Rekord-190ers im Vergleich zur ab 1984 erhältlichen Serienversion: Ausbau des Lüfters und Einbau einer Kühlerjalousie, Einsparen der Gemischanreicherung für den Kaltstart sowie der Leerlaufregulierung an der Einspritzanlage, Verwendung eines Auspuffkrümmers aus hitzebeständigerem Stahl, einer Achse mit längerer Hinterachsübersetzung, einer hydraulischen Niveauregulierung zum Absenken des Autos sowie eines tieferen Frontspoilers. In Verbindung mit den eigens von Pirelli entwickelten Leichtlaufreifen beschleunigte der Rekord-Mercedes der 80er Jahre auf die Spitzengeschwindigkeit von 264 km/h. Dieser Topspeed, die dem Rekordteam auf 50.000 Kilometern die Durchschnittsgeschwindigkeit von 247,9 km/h ermöglichte, bleibt beim Rekord-Revival allerdings in Garage der Geschichte zurück. Für die Erinnerungstour ist bei 120 km/h Schluss.
Mercedes 190 von Ayrton Senna
Zu den zahlreichen Versionen des Mercedes-Benz 190 sowie der C-Klasse, die den Nardo-Rekordwagen begleiten, gehört auch der 190E 2,3-16 mit der Aufschrift „Senna“. Neun Monate nach Beginn der Weltrekordfahrten in Nardo gewann der spätere dreifache Formel 1-Weltmeister Ayrton Senna mit diesem seriennahen Tourenwagen das Eröffnungsrennen der Grand-Prix-Strecke des Nürburgrings. Spätestens bei diesem Rennen mit 20 baugleichen Mercedes-Benz 190 zeigte sich, dass im Baby-Benz nicht nur Rekord- und auch echte Renn-Gene steckten. Dank des Engagements von Gerhard Lepler und Hans-Werner Aufrechts Tuningfirma AMG rollte 1986 der erste 190er in der DTM – die Startflagge für einen ebenfalls rekordverdächtigen Dauerlauf über mittlerweile 27 Jahre.
Mercedes 190 E 2.3-16 | |
Außenmaße | 4430 x 1706 x 1361 mm |
Hubraum / Motor | 2298 cm³ / 4-Zylinder |
Höchstgeschwindigkeit | 235 km/h |