Seit 40 Jahren schreibt Klaus Westrup über Autos in auto motor und sport. Für Motor Klassik erinnert er sich, heute an eine italienische Schönheit, den Lamborghini Espada 400 GT.
Der Lamborghini Espada 400 GT bietet auch eine gewisse Nützlichkeit
Der Testwagen trägt ein dekoratives Grünmetallic und soll ein Glanzlicht in der jährlich erscheinenden "Motor Revue" sein. 1974 gibt es den Espada , ein großes viersitziges Coupé, bereits sechs Jahre lang, nur in Details verändert. Ein ganzes Jahrzehnt schon baut der einstige Traktorenhersteller Ferruccio Lamborghini exklusive Sportwagen, die man nun in einem Atemzug mit den Dauer-Ikonen Ferrari und Maserati nennt. Der Espada ist neben dem technisch ganz ähnlichen Jarama , dem kleineren Urracco und dem Miura-Nachfolger Countach der erfolgreichste Lamborghini aus dem 400-Mann-Betrieb in Santa Agata nahe Bologna - sicherlich auch deshalb, weil selbst in Traumwagen-Kreisen eine gewisse Nützlichkeit nicht verschmäht wird. Hinzu kommt, dass die uneingeschränkte Viersitzigkeit durch eine hinreißende Bertone- Linienführung begleitet wird.
Am auffälligsten erscheint dabei das höchst ungewöhnliche Höhen/Längen-Verhältnis. Mit genau 4,74 Meter Länge ist das Rassepferd von imponierender Stattlichkeit, mit 1,18 Meter Höhe aber extrem niedrig - zugegeben auch unpraktisch flach. Doch wer drin ist, ist auch richtig drin - im Fond auf gut geformten Einzelfauteuils, deren Separatismus durch eine längs durch das Auto laufende Konsole betont wird. Lederpolsterung gibt es serienmäßig, der Knieraum ist für ein Auto dieser Art höchst beachtlich, Raucher sind nicht so geächtet wie heute und finden in diesem schicken Separée mit Ausnahme der Zigaretten alles Notwendige vor. Die Verarbeitungsqualität ist überraschend gut, Türen und Hauben schließen einwandfrei, keine Selbstverständlichkeit gerade in diesen noblen Auto-Kreisen. An das flach liegende Lenkrad muss man sich gewöhnen, auch an die hohen Betätigungskräfte für die Kupplung und den langen Gaspedalweg. Er setzt ja auch einiges in Marsch, nämlich einen Zwölfzylinder in klassischer V-Form, der wie sein eigenes Denkmal unter der langen und extrem flachen Motorhaube kauert.
Es sollte ein eigener Zwölfzylinder von Lamborghini sein
Ferruccio Lamborghini hat von Anfang an der Versuchung widerstanden, in eine italienische Karosserie-Schönheit einen billigen und austauschbaren amerikanischen Großserien-V 8 einzupflanzen - wie geschehen bei De Tomaso mit dem Pantera oder Iso mit dem Grifo. Ein eigener, hochkarätiger Zwölfzylinder musste es sein, auch weil das bewunderte Feinbild Ferrari von Anfang an auf diese heldenhaft wirkende Zylinderzahl gesetzt hat. Mitte der Siebziger ist die Benzineinspritzung auch bei Hochleistungsmotoren noch nicht Standard, und so quillt der V12 fast über von seinen sechs Weber-Doppelvergasern, die höchst dekorativ neben den schrumpflackierten Nockenwellengehäusen thronen und dem Motorabteil Le Mans-Atmosphäre verpassen. Mit einer Bohrung von 82 mm und einem Hub von nur 62 mm ist die Maschine extrem kurzhubig ausgelegt. Die Nenndrehzahl, bei der die maximale Leistung von 350 PS erzeugt wird, liegt bei 7.000 Umdrehungen denn auch so hoch, wie man es bei einem solchen Hightech-Triebwerk erwartet. Nicht weniger als 14 Liter Öl befinden sich im Nass-Sumpf, wollen vorsichtig in dem aggressiv klingenden, mechanisch nicht besonders leisen Kraftwerk auf Temperatur gebracht werden.
Genau 1.700 Kilogramm wiegt der Testwagen mit gefülltem 95-Liter-Tank und seiner serienmäßigen Klimaanlage, kein Pappenstiel selbst für zwölf Zylinder und vier Liter Hubraum. Die Beschleunigung ist deshalb auch nur gut, aber keinesfalls raketenartig. Acht Sekunden benötigt der Espada vom Stand auf 100 km/h, in 18 ist er auf 160 - ein Ferrari Daytona, in Hubraum und Leistung vergleichbar, fährt dem Traumwagen aus der Traktorenfabrik auf und davon. Die Höchstgeschwindigkeit liegt bei 240 km/h - aus heutiger Sicht, wo Jedermann-Autos schon 200 oder 220 erreichen, nicht sehr aufregend, damals aber doch eine Marke, mit der man sich auch von den Schnellen im Lande deutlich distanziert. Der Zwölfzylinder mit seiner eleganten, aber eben auch sehr gewichtigen Verpackung lässt sich zwar schon ab 1.000 Umdrehungen ruckfrei beschleunigen, aber viel Durchzugskraft bietet er nicht. Man muss häufig schalten, bei sehr engen Kurven bis hinunter in den Ersten, der immerhin bis fast 80 km/h reicht.
Der Lamborghini Espada 400 GT ist kein klassisches Rennpferd
Das klassische italienische Rennpferd ist der Espada also nicht, wohl aber ein exzellenter GT, mit dem sich lange Strecken mühelos und schnell zurücklegen lassen. Denn die größte Überraschung liefert dieser lange Lambo in einer Disziplin, die bei Autos dieser Art eher Kritik heraufbeschwört. Der Federungskomfort ist mit seinem ausgeprägten Schluckvermögen auf langen Bodenwellen unerwartet gut. Nur Kopfsteinpflaster mag der Espada partout nicht - mittelalterliche Städte wie Bad Wimpfen gilt es zu meiden. Vom imposanten optischen Auftritt her gehört er ohnehin ganz woanders hin, vor das Negresco in Nizza oder Brenners Parkhotel in Baden-Baden.
Die Wahrscheinlichkeit, heute noch eines der letzten überlebenden Exemplare im Straßenverkehr zu begegnen, gleicht der Chance eines Lottogewinns. Doch es gibt sie noch, die seltenen Geschöpfe aus einer Zeit, als Lamborghini noch Lamborghini war. Wilfried Bockelmann, einst Entwicklungschef bei VW, hat lange nach einem Espada gesucht und ihn vor sechs Jahren zufällig gefunden, fast vor der Haustür, genau 15 Kilometer entfernt. Das Auto stammt aus Erstbesitz, ist erst 32.000 Kilometer gelaufen - einer der seltenen Glücksfälle im Oldtimer-Leben. Erst jüngst hat es zur Zufriedenheit seines technisch ja nicht unbegabten neuen Lenkers eine 3.000-Kilometer-Tour durch die Alpen absolviert, Anreise eingeschlossen, ebenso die Dolomiten, Locarno, Bad Gastein und ein bisschen hin und her. "Unter 20 Liter Verbrauch kommt man praktisch nicht", sagt der im Ruhestand befindliche VW-Techniker, und er sagt es ohne schlechtes Gewissen. Der CO2-Ausstoß eines freudig bewegten Espada ist zwar entsetzlich hoch (der Testwagen konsumierte sogar 23,3 Liter/100 km), aber zur Klimaveränderung wird er mangels Verbreitung nicht beitragen. Die Dosis macht das Gift, erkannte schon der mittelalterliche Arzt Paracelsus.