Während nur ein paar Kilometer weiter westlich zwischen Wembley und Kensington der Verkehr mal wieder zusammenbricht, ist es hier im Londoner Stadtteil Bloomsbury fast idyllisch ruhig. Ein typisches Backsteingebäude, ein cooler Eingangsbereich mit viel Glas und Holz. Mittendrin Lars Klawitter, Direktor Strategie und Entwicklung von InMotion, einer Tochtergesellschaft des Automobilherstellers Jaguar Land Rover. Scherzhafte Frage an den Deutschen mit dem großen Faible für die britische Lebensart: „Mobilität und London, ist das nicht ein Gegensatz?“ Klawitter lacht, und schon sprudelt es aus ihm heraus: „London ist der Prototyp für Mobilität, wie sie sich für einen Teil der Bevölkerung in vielen Ländern darstellt. In den großen Megacitys definiert sich Mobilität völlig anders als in der Kleinstadt oder auf dem Dorf. Und deshalb müssen wir den Menschen Angebote machen, die für ihre Lebenssituation passen und die mitwachsen, wenn sich ihr Leben ändert.“ Klawitter weiß aus persönlicher Erfahrung, wovon er redet. Es lebt sich prima auf dem flachen Land außerhalb von London, am Wochenende ist er auch sehr gerne mit einem seiner Range Rover unterwegs. Aber sich jeden Tag ins Auto setzen, um zwei Stunden nach London hineinzupendeln und abends wieder zurück? „Beim besten Willen nicht“, sagt Klawitter.
Den Weg hinein oder heraus aus der Stadt bewältigt er mit der Bahn. Wenn er in London ein Auto braucht, dann lässt sich das über Carsharing managen. „Sich das Auto mit anderen zu teilen, heißt aber nicht, dass es allein darum geht, mit irgendeinem Fahrzeug von A nach B zu kommen“, sagt Klawitter, „auch bei Carsharing werden die Kunden in Zukunft Premium-Produkte nachfragen.“
Mit Cove hat InMotion ein solches Produkt in seinem Portfolio. Das Venture-Capital-Unternehmen hat in den Mobilitätsdienst investiert, der seinen Kunden Premium-Fahrzeuge bietet – der beiden Marken Land Rover und Jaguar. „Menschen sind bereit, für ein Smartphone ihrer Lieblingsmarke vierstellige Euro-Beträge zu bezahlen. Warum sollte man dann annehmen, dass sie beim Thema Mobilität nur auf den günstigsten Preis schauen?“
Zeithorizont bis zu 15 Jahre
Der Markt der neuen Mobilitätsdienste wird in den nächsten gut zehn Jahren geradezu explodieren. So schätzt das Beratungsunternehmen PricewaterhouseCoopers, dass der weltweite Umsatz in diesem Segment von derzeit immerhin knapp 65 Milliarden Euro auf rund 2,2 Billionen Euro im Jahr 2030 steigen wird. Automobilhersteller wollen dabei auch in Zukunft mehr sein als nur die Lieferanten der Hardware Auto.„Das ist ein Riesenmarkt, der technologisch und von der Kreativität im Silicon Valley und in Israel getrieben wird“, sagt Lars Klawitter. Als Venture-Capital-Unternehmen hat InMotion das Ziel, frühzeitig zu erkennen, welche Ideen das Zeug haben, zu einer großen Geschäftsidee zu werden. Das Unternehmen investiert in Early-Stage-Start-ups, „unser Zeithorizont liegt dabei zwischen fünf und 15 Jahren“, sagt Klawitter. Mit dem Engagement bei kleinen, innovativen Unternehmen erhalte InMotion „ein frühes Fenster in neue Technologien, Zukunftsideen und entstehende Märkte“.
Das Portfolio von InMotion besteht aktuell aus einem Dutzend Start-ups (einige Beispiele für Investments siehe Kästen unten). „Bei den Angeboten und den daraus resultierenden Geschäftsmodellen unterscheiden wir letztendlich immer zwischen zwei Hauptgruppen: On-demand-Diensten, die zwar möglicherweise regelmäßig genutzt werden, aber trotzdem nur bei Bedarf gebucht werden, wie zum Beispiel eine Fahrt mit dem Anbieter Lyft. Und auf der anderen Seite Abo-Angeboten für die regelmäßige oder auch langfristige Nutzung – mittels einfachen Laufzeitvertrags oder Flatrate.“ Die Angebote sollen ihren Nutzern das Leben erleichtern und auch älteren Menschen so lange wie möglich komfortable und sichere Mobilität gewährleisten – oder Kindern, wie beim Start-up GoKid. „Wir stellen die technologischen Tools zur Verfügung, um auf diese Angebote zugreifen zu können“, sagt Klawitter und ergänzt: „Den wesentlichen Schlüssel trägt eigentlich jeder in der Tasche: ein Smartphone.“
Daten als Geschäftsmodell
Aus den dabei anfallenden Daten neue Business-Ideen zu entwickeln, da zieht Klawitter eine klare Grenze: „Persönliche Daten müssen geschützt bleiben.“ Aber es gibt eine Vielzahl anderer Daten, die anonym vorliegen – etwa aus der Fahrwerkssteuerung von vernetzten Autos. „Mit einer ausreichenden Datenmenge und intelligenter Auswertungs-Software kann man frühzeitig und genau erkennen, auf welchen Straßenabschnitten die Fahrbahndecke beschädigt ist“, skizziert Klawitter eine mögliche Anwendung, die ins Profil des Start-ups Synaptiv passt, das sich auf die Auswertung großer Datenmengen spezialisiert hat. Kunde wäre der Bauträger der Straße, der einerseits Kontrollfahrten sparen und andererseits schon in einem frühen Stadium beginnende Schäden beheben kann.
Für Lars Klawitter heißt die Frage auch in Zukunft nicht: „Mobilitätsdienste oder eigenes Auto?“, sondern: „Wie lassen sich durch neue Angebote die Wahlmöglichkeiten bei der individuellen Mobilität erweitern?“. Das kann, mitten in London, tatsächlich der Verzicht auf ein eigenes Auto sein und ein Abo bei einem Premium-Carsharing-Dienst. Aber ebenso gut auch das klassische Modell mit eigenem Auto und einem Familienkombi, der über einen solchen Dienst durch einen (regelmäßig) gemieteten Roadster oder Sportwagen zeitweise ersetzt wird – aus Lust am Autofahren.
Die Autohersteller werden wegen der neuen Dienste in nächster Zukunft nicht weniger, sondern mehr Autos verkaufen. Damit sich ein Auto in einem Sharing-Dienst rechnet, muss es möglichst viel auf der Straße sein. „Elektrofahrzeuge bringen ideale Voraussetzungen mit, der Wartungsbedarf ist deutlich geringer“, sagt Klawitter. Waymo, die Google-Tochter für fahrerlose Mobilitätsdienste, setzt deshalb auf Elektrofahrzeuge – und wird in den nächsten zwei Jahren bis zu 20.000 Jaguar I-Pace kaufen und mit Jaguar Entwicklung und Konstruktion selbstfahrender Autos vorantreiben.