Der Mensch neigt zur Verklärung. Nicht nur, dass er die Schulzeit nachträglich zum launigen Landschulheimaufenthalt umdekoriert, auch die Pubertät wird später rosa eingefärbt. Klar war das damals alles furchtbar aufregend, aber das sind Wurzelbehandlungen beim Zahnarzt auch. Doch an den Lamborghini Countach erinnert man sich nicht mit Schrecken und Kieferschmerzen, sondern meist mit einem breiten Lächeln.
Im Autoquartett macht er alle platt
Wenn Farah Fawcett im vor gar nicht so langer Zeit erworbenen Farbfernseher ihr Strahlegebiss zeigte und ihre güldene Mähne schüttelte, wurde einem irgendwie anders. Noch schwummriger machte uns Adrienne Barbeau, die einen Reißverschluss bediente, worunter etwas zum Vorschein kam, mit dem man Strafzettel abwehren konnte. Es ist aber nicht abschließend zu klären, ob das wüste Wummern hinter dem eigenen Brustbein eher vom Dekolleté der Darstellerin herrührte oder von ihrem Untersatz. Den Lamborghini Countach fand vielleicht nicht jeder schön, aber beeindruckend war der schärfste Keil in der Entwicklungsgeschichte der Menschheit allemal. Von klein auf wussten wir, dass sich mit zwölf Zylindern und 375 PS beim Autoquartett nahezu alles plattmachen ließ. Die Chronisten streiten sich, ob es ein Bertone-Mitarbeiter oder Designer Marcello Gandini oder gar Firmengründer Ferruccio Lamborghini selbst war. Jedenfalls soll einer der Besagten beim Anblick des ersten Prototypen seiner montesischen Umgangssprache freien Lauf gelassen und „Countach!“ ausgerufen haben, was nicht mehr und nicht weniger als „Donnerwetter, geil“ heißt.
Wenn ein Lamborghini Countach geil ist, was sind dann drei? Zur immer noch auftretenden Reizüberflutung tragen auch Laura und Patrizia bei. Stellen wir uns vor, es wäre wieder Cannonball, es gäbe wieder eine Million Dollar Preisgeld für die schnellste Durchquerung Amerikas von Connecticut nach Kalifornien. Womit sollte man fahren?
Schwarzer Lack und wildes Leder
Laura würde sich vom Preisgeld ein Designer-Haus bauen lassen. Sie mag es puristisch und erwärmt sich für das Lamborghini Countach-Urgestein LP 400. Nachdem der Motor des Fünfliter-Prototypen nie zuverlässig lief, kam der erste Serien-Countach 1974 mit einem Vierliter-V12 auf die Straßen. Die Urform der Karosserie war bis auf die zwei aufgesetzten Kühlschächte hinter den Seitenfenstern noch unverfälscht.
Nicht nur die zwei Damen sind eine Augenweide, auch der Lamborghini Countach ist eine Beauty-Queen, die schon beim Schönheitswettbewerb im kalifornischen Pebble Beach für Aufsehen sorgte. Der Meister signierte sein Kunstwerk nachträglich. Gandini hinterließ auf dem Wildleder- Instrumentenbrett sein Autogramm. Am Anfang fehlte die optische Wucht. Der LP 400 war vor allem schlank. Die Räder muten heute an wie Winterbereifung. Mit 205 Millimetern vorn und 215 hinten lebte der Ur-Countach auf schlankem Fuß.
Heckflügel und dicke Backen
Der runtergerüstete Motor riss aber auch noch nicht so an den Antriebswellen wie später. Für Laura ist das erst mal sekundär. Die 20-Jährige ist nach fünfminütiger Fotofahrt aus dem Klassiker kaum mehr herauszukomplimentieren. Patrizia mag es markanter. Die dicken Backen des Quattrovalvole haben es der 26-Jährigen angetan und noch mehr der Heckflügel. Beides hatte der finanzklamme Lamborghini dem kanadischen Multimillionär Walter Wolf zu verdanken.
Als 4000 S mit Vierliter-Motor ist er der Star in der Hollywood-Komödie „Auf dem Highway ist die Hölle los“, die den Produzenten reichlich Geld und manchem Darsteller eine Goldene Himbeere für die schlechteste Leistung einbrachte. Mittlerweile waren die Hinterräder des Lamborghini Countach auf standesgemäße 345 Millimeter angeschwollen. 1985 erhielt der 60-Grad-V12 einen Vierventil-Kopf. Die Leistung lag bei 455 PS, die Höchstgeschwindigkeit bei 297 Kilometer pro Stunde. Damit kann man sich sehen lassen, allerdings weniger mit den hinteren Kotflügeln, die als Spiegel unterhalb der Hüften ziemlich auftragen. „Guck mal, ich habe ganz kurze Beine“, sagt Patrizia schockiert. Zu pretiös ist ihr auch das Interieur. Das kurze Schwarze als Außenhaut kommt bei den Damen gut an, die rote Lederunterwäsche nur bei Laura: „Ist doch ein schöner Kontrast.“ Patrizia hat sofort realisiert, dass sich das Gestühl des Quattrovalvole mit ihrem Catsuit in Rot-Metallic beißt und bestimmt: „Schwarz!“
Countach schießt Flammen aus dem Heck
Das lenkt den Blick auf den Dritten im Bunde, der sogar Schwarz in den Felgen trägt. Die Räder sind von weitem das markanteste Merkmal einer der größten Raritäten der Sportwagenwelt. Der Schriftzug auf den Flanken lautet: Turbo. Einen Lamborghini Countach Turbo hat es offiziell nie gegeben – oder doch? Zu Beginn der Achtziger überredete der Schweizer Lamborghini-Händler Max Bobnar die Lamborghini-Führung zu diesem Experiment. Der österreichische Aufladungs-Spezialist Franz Albert machte sich in Wörgl an den Bau eines Prototypen. Dem Erstlingswerk drückte es vor lauter Druck regelmäßig die Schwimmer der sechs Doppelvergaser zusammen. Aus dem Heck schossen meterlange Flammen. Das schwarze Geschoss, in das sich Laura gleiten lässt, ist der extremste Lambo, der je geschaffen wurde und der einzige echte Überlebende der von 1982 bis 1986 kurz aufflammenden Turbo-Ära der Marke mit dem Stier, die wegen eines Notverkaufs des Unternehmens an Chrysler und dem Modellwechsel zum Diablo sang- und klanglos begraben wurde.
In der Ferrari-Sammlung eines Dänen immer irgendwie ein Fremdkörper, spürte ein Schweizer Lambo-Infizierter das rare Stück auf und erzählte Dietmar Götz davon. Der Unternehmer aus Oberschwaben hat sich schon lange alten Sportwagen verschrieben und produziert mit seiner Firma „Klima Lounge“ klimatisierte Garagen zum Erhalt automobiler Klassiker. Götz fuhr einen Diablo, erlag dem Augenaufschlag des Miura, und verfiel schließlich dem Lamborghini Countach.
Tacho bis 425, doch schon bei 333 km/h ist Schluss
Auf der Jagd nach seltenen Exemplaren reiste er um die halbe Welt. Den Turbo ließ er am 8. Dezember 2007 zu. Seit dem schwört er: „Der schönste Tag meines Lebens.“ Laura streichelt das schwarze Leder und fragt zum zweiten Mal: „Wie viele PS hat der?“ In der braven Variante mit 0,8 bar Ladedruck waren es immerhin um die 600, Patrizias lange Fingernägel umschließen das schwarze Rädchen neben dem Lenkrad. Wenn sie bis zum Anschlag dreht, pusten Ladeluft-Kästen über dem 4,8-Liter-Zwölfzylinder thronen, 1,5 bar durch die Ansaugkanäle. Sprit liefern sechs aufwändig synchronisierte Doppelvergaser. 748 Pferdestärken entwickelt das Monstrum des Lamborghini Countach Turbo im Ernstfall. Der Tacho reicht bis 425, das ist übelste Hochstapelei, aber die versprochenen 333 km/h Topspeed hätten dennoch gereicht, um alles, was 1986 über Autobahnen und Highways düste, allenfalls am Auspuff schnüffeln zu lassen.
Klassische Linienführung hin oder her, das beeindruckt auch Laura. Schließlich tritt man nur in zweiter Linie an, um eine gute Figur zu machen. Es gilt, ein Rennen zu gewinnen. Und wo wir gerade beim Auspuff sind, da verwöhnt der Vierliter im Lamborghini Countach LP 400 die Ohren der Damen mit einer erstaunlich fein abgestimmten Symphonie aus zwölf über drei Jahrzehnte gereiften Explosionsinstrumenten – es fehlt aber ein bisschen an Krach.
„Ich weiß nicht, der klingt so normal“, bekrittelt Laura. Dann schon eher das blecherne Räuspern des bösen Drachens mit den zwei Turboladern. Laura schwärmt: „Das klingt so metallisch.“ Als Favorit in der Akustikwertung ist eigentlich der Vierventiler-Sauger angetreten. Im Gegensatz zur Serie wurde bei der Larini-Auspuffanlage aller überflüssige Widerstand aus den Endrohren entfernt. Das Resultat ist höllisches Gebrüll „Der ist böse“, meint Laura beeindruckt, fügt aber an: „Der Turbo fliegt mehr.“ Und darum geht es ja schließlich beim Cannonball – der Konkurrenz davonzufliegen. Ein Lamborghini Countach ist das richtige Gerät dafür.
Patrizia würde vom Preisgeld gern selbst eine Sportwagensammlung anlegen – mindestens ein Lamborghini Countach wäre dann natürlich Pflicht. Sie zieht den Reißverschluss ihres hautengen Fummels hoch und die Klettverschlüsse der Lederhandschuhe zu. Die Entscheidung ist gefallen. „Turbo“, lautet die Kampfparole. Dass die in aggressiv roter Warnfarbe gewandete Blondine das Steuer übernimmt, ist für Laura kein Problem. „Da kann ich schön die Landschaft genießen“, spricht der Schmollmund unter der braunen Mähne. Patrizia rückt die Sonnebrille zurecht und bürstet sich innerlich auf Krawall: „Langsam genießen? Vergiss es!“